Montag, 29. August 2016


Zwischen Todeswunsch und Lebenswille

Wie oft hat doch Tante Frieda in letzter Zeit schon gesagt: „Ach, am liebsten möchte ich sterben.“ Gleich darauf folgten auch schon ihre Worte: „ Ich darf nicht vergessen, meine Herztabletten zu nehmen, erinnert mich bloß daran“. Sie ist ständig  hin und her gerissen zwischen Todeswunsch und Lebenswillen.

Inzwischen ist sie fast 93 Jahre alt. In den zurückliegenden Jahren hat sie viele Krankheiten und altersbedingte Leiden er-tragen müssen. Von der einst tatkräftigen Frau ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die Knochen, die Gelenke, das Herz, die Lunge und anderes versagten immer mehr ihre Dienste. Schmerzen machten ihr das Leben schwer. Die unendlich vielen Medikamente bringen kaum noch Linderung, aber sie verlängern ihre Lebenszeit, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Die Kinder im Haus, nun auch nicht mehr ganz jung, betreuen sie liebevoll rund um die Uhr, stets ängstlich um sie besorgt. Bei jedem kleinsten Hilferuf sind sie sogleich zur Stelle und rufen den Notarzt. Eine Katastrophenmeldung nach der anderen macht dann ganz schnell die Runde in der Verwandtschaft. Nun beginnt wieder das Hoffen und Bangen, wird sie es schaffen? Was soll sie eigentlich schaffen?

Vor kurzem ist Friedas Mann mit 94 Jahren verstorben. Auch wenn beide füreinander nicht mehr viel tun konnten, so haben sie sich doch wenigstens umeinander gesorgt. Einer hat den anderen gebraucht. Nach einem langen gemeinsamen Eheleben, das sie über 64 Jahre in guten und in schweren Zeiten miteinander verbunden hatte, ist der Tod des Partners besonders schmerzhaft. Tante Friede fiel in ein dunkles Loch von Trauer und Schmerz.

Da ließ auch der nächste tatsächliche Fall nicht lange auf sich warten. Tante Frieda stürzte in ihrer Wohnung und brach sich den Oberschenkelhals. Was für so manch anderen im hohen Alter fast den sicheren Tod bedeutet hätte, war für sie zwar eine harte Prüfung, aber noch längst nicht das Ende. Der Bruch wurde operiert und gleichzeitig wurde ihr eine neue Hüftprothese eingesetzt. Alles ist möglich!

Tante Frieda hatte es wieder einmal überstanden, obwohl es harte Wochen für sie im Krankenhaus und in der Reha-Klinik waren.  Aber auch für das Personal und ihre Besucher ist es nicht immer ganz einfach gewesen. Manchmal war sie nicht mehr sie selbst, sie war so unwirsch und verstört und wollte nur noch nach Hause und sterben.

Das aber hatte die heutige Medizin mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wieder einmal verhindert. Ihre Schmerzen sind sogar kurzfristig etwas erträglicher geworden. Doch die innere Ruhe und Zufriedenheit kehrten bei ihr nie mehr ein. Sie klammert sich zwar an das Leben und empfindet es gleichzeitig nur noch als schwere Last.

Der Satz von Tante Frieda: „Ich möchte sterben, aber vergesst meine Herztabletten nicht“, macht  ihre innere Zerrissenheit sehr deutlich. Solche Worte zeigen auch den Gemütszustand  vieler anderer Menschen in ähnlichen Lebenssituationen auf. Die meisten von ihnen werden ebenso zwischen Todeswunsch und Lebenswillen hin und her gerissen. Sie wollen sterben, aber sie können das Leben nicht loslassen.

Die Medizin hat es heute geschafft, das Leben hochbetagter Menschen um Jahrzehnte zu verlängern, jedoch kann sie keinem von ihnen die immer schwerere Last dieser Jahre nehmen. Diese Last müssen sie nun allein und ihre pflegenden Angehörigen tragen. Jeder auf diese Weise künstlich hinzu gefügte Tag wird gleichzeitig mehr und mehr zur physischen und psychischen Belastung für sie. Dieser Zustand, der mit einem enormen Aufwand an Medizintechnik und jeder Menge an chemischen Substanzen erreicht wird, und häufig als Erfolg angesehen wird, hat aber einen hohen Preis. Selbst die medizinisch erfolgreichsten Operationen führen höchst selten zu einem selbstbestimmten und erfülltem Leben der Hochbetagten und ihrer Pfleger.

In früheren Zeiten gaben sich die Menschen viel weniger der Illusion hin, das Leben ließe sich unendlich und unbedenklich verlängern. Sie waren sich bewusst, dass jedes Leben zeitlich begrenzt ist. Wo heute diese Grenzen mit allen Mitteln der medizinischen Kunst und um jeden Preis verschoben werden, da führt das zwar zu einer Verlängerung der Lebenszeit, aber auch zur Verlängerung der Altersbeschwerden und des ungewissen Abschieds. Dieser oft zermürbende Zustand wiederum muss dann durch immer mehr Medikamente beruhigt werden und das nicht ohne „Risiken und Nebenwirkungen“.

Da stellt sich doch die Frage: „Ist wirklich alles gut, was machbar ist?“



Samstag, 6. August 2016


Ein ruhiger Sommertag

Ein herrlicher Sommertag, nicht zu warm aber sonnig. Nach dem Frühstück auf dem Balkon mit frischen Brötchen, Marmelade und duftendem Kaffee, streckte ich mich wohlig aus und machte Pläne für diesen geschenkten Tag, der so friedlich und ruhig begonnen hatte. Selbst der Lärm von der Straße ist in den Sommerferien geringer als im  geschäftige Alltagsleben. Das lädt zum längeren Verweilen im Freien ein. Kurz um, das Leben ist doch schön!

Dann aber machte ich einen gewaltigen Fehler. Ich schaute auf mein Smartphone, um nur kurz meine Mails zu checken und die neuesten Nachrichten zu lesen. Und da war sie wieder die grausame Wirklichkeit. Der Traum von einem friedlichen Sommertag war augenblicklich geplatzt. Die News, wie es heute heißt, schlugen mir buchstäblich mit harter Faust ins Gesicht. Es waren die knallharten „Schlagzeilen“, die wohl keinen Leser unberührt lassen. Dazu auch gleich die selbstgerechten bissigen Kommentare von allen Seiten.  

Zwar sind wir in diesem Sommer schon an viele Schreckensmeldungen gewöhnt, denn täglich hören und sehen wir von Terror, Mord und Krieg. Die Namen der Orte werden schnell zu Pseudonymen für diese schrecklichsten Verbrechen. Wenn wir von Afghanistan, dem Irak oder Syrien hören, stehen uns sofort die Bilder von grausamen Bombenanschlägen, Massakern und Flüchtlingsströmen vor Augen. Ortsnamen wie Paris, Nizza und Saint-Etienne-du-Rouvray lassen uns erschauern angesichts der dort verübten Gräuel. So viele Morde an unschuldigen Menschen, so viel Leid!

Lange Zeit waren die Orte des Schreckens noch so weit weg von Deutschland und von uns. Jetzt hören wir die Namen von Städten wie Ansbach, München und Würzburg. Der Terror geht weiter und er kommt näher. Eine Nachrichtensendung und ein „Brennpunkt“ nach dem anderen berichten pausenlos und liefern Berichte über Details, die noch reine Spekulation sind. Manchmal kann ich es nicht mehr mit anhören. Wem nützt dieses sensationslüsternde Gehabe und Gerede? Eine Falschmeldung jagt die andere. Weiß denn heute keiner mehr, dass jemand, der nichts Neues beizusteuern hat, doch lieber den Mund halten sollte? Auch wird eine Meldung nicht dadurch richtiger, je häufiger sie wiederholt wird.

Es hätte so ein schöner, ruhiger Sommertag werden können. Doch wir leben in unruhigen Zeiten. Brennende Fragen nach dem – „wie weiter?“ – beschäftigen die Menschen. Je mehr wir lesen und hören und die vielen schrecklichen Bilder sehen, je weniger können  wir in dieser Flut erkennen, was eine seriöse Information und was blanke Meinungsmache ist? 

Ich weiß, dass es keine Lösung ist, den Kopf buchstäblich in den Sand zu stecken, sprich sich den News total zu verweigern. Ich weiß aber auch und spüre es ganz deutlich, zu viel davon tut mir nicht gut. Das macht mich selbst parteiisch und ungerecht, traurig und zugleich böse. Aber ich will mich nicht in diesen Teufelskreis von Halbwahrheiten und Lüge, von Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit, von blankem Hass und Unmenschlichkeit hineinziehen lassen. Nein das bin ich nicht. Nein, das sind auch viele andere Menschen nicht. Keinem tut es nämlich auf Dauer gut, ständig mit Negativmeldungen, Brandmarkungen und einer  Fixierung auf einseitig ausgewählte Reizthemen bombardiert zu werden. Es führt zu negativen Denken und Handeln.

Trotzdem bleibe ich auch zukünftig kritisch interessiert, aber eine gewisse Askese (Verzicht auf mediale Dauerberieselung) hilft mir, nicht nur die Schattenseiten des Lebens als einzige Wirklichkeit wahrzunehmen zu müssen, sondern mich wieder über das Gute und Schöne auf dieser Erde zu freuen und einen sonnigen Sommertag ohne schlechtes Gewissen zu genießen.