Samstag, 15. Mai 2021

 

Kein  Kommentar 

„Kein Kommentar“, das ist das Einzige, was die wartenden Journalisten und Reporter dem Politiker, der vorzeitig die Nachsitzung verlässt, entlocken können. Dafür haben sie nun seit Stunden vor dem Sitzungsgebäude die Stative mit ihren Kameras mit den überdimensionalen Teleobjektiven aufgebaut. Als die Tür sich endlich einmal öffnet, kommt Bewegung und Unruhe auf. Aufgeregt und hektisch werden nun gefühlt hundert Mikrophone in die Höhe gehalten, um eine sensationelle Aussage des Politikers aufzuschnappen. Jede verräterische Regung in seinem Gesicht wird heran gezoomt und akribisch im Bild festgehalten. Er aber drängt sich durch die Meute, wie er sie schon oft erlebt hat, und er sagt nur ganz lapidar: „Kein Kommentar“.

Wozu auch, fragt sich der geübte Fernsehzuschauer, der solche Szenen ja schon oft auf dem Bildschirm gesehen hat und zur Genüge kennt. Immer wieder das gleiche Spiel und ein neuer Versuch. Jeder weiß, dass die Verhandlungen noch längst nicht abgeschlossen sind und sich noch Stunden hinziehen können. Um viele Details muss noch gerungen werden, bis es zu einem Ergebnis kommt. Darum, kein Kommentar!

Das aber will man nicht einfach abwarten. Und schon tritt in der nächsten Nachrichtensendung die Kommentatorin in gewohnter, allwissender Weise vor die Kamera und gib ihren Kommentar ab. Aber auch das kennt man schon, ein ständig wiederkehrendes Ritual. Es gibt noch gar nichts, was es zu kommentieren gäbe, aber sie kommentiert auch das. „Es sind schwierige Gespräche, die Fronten haben sich verhärtet, alle Seiten müssen ihr Gesicht wahren und dürfen ihre Wähler und die Lobbyisten nicht verunsichern.  Doch so viel steht jetzt schon fest, es wird wieder ein Ergebnis sein, dass nach unserer Meinung keinesfalls befriedigend ausfallen wird. Soweit der heutige Kommentar. Ich gebe zurück zum Sender.“

Ja, soweit der äußerst erhellende Kommentar. Da möchte man doch glatt sagen: „Bitte, keine Kommentare, jedenfalls nicht solche.“ Oder wie es Martin Luther, der hier wieder einmal als Zitatengeber gut ist, es ausgedrückt haben soll: „Kümmere dich nicht um ungelegte Eier“. Aber gerade darum scheint es in der heutigen, medialen Welt und in den sogenannten sozialen Medien hauptsächlich zu gehen. Da werden auch schon mal Ergebnisse kommentiert, die es noch gar nicht gibt. Und wenn es mal an „News“ mangelt, dann bleiben ja immer noch die „ungelegten Eier“ und die alternativen Fakten. Wer solche Kommentare hört oder liest, der braucht wirklich starke Nerven, denn jedes Ereignis oder auch Nichtereignis wird sehr subjektiv und kontrovers kommentiert.

In den Kommentarspalten bei Facebook und Co. scheint es nur weiß oder schwarz, links oder rechts zu geben. Und jede Seite kämpft verbissen und immer häufiger unfair und bösartig für die eigene Sichtweise, die natürlich die einzig richtige und wahre ist. Diesem Gemetzel von Pro und Contra fallen da zuerst die Orthographie und die Grammatik zum Opfer. Dem folgen zugleich die Wahrheit, der Anstand und die Würde des Anderen. Gnadenlos wird polemisiert, verurteilt, verunglimpft, beleidig und hasserfüllt ganz offen gedroht. Was da an, gelinde gesagt, Unsinn und Unrat in den Kommentaren zu lesen ist, wenn man es denn überhaupt noch lesen kann, was oft nur schwer möglich ist, das alles würde sicher ganze Mülldeponien füllen.

Kommentare aber sollen erhellen, ergänzen und so zum besseren Verständnis beitragen. Kommentatoren, die mit ihrer eigenen, vorgefassten Meinung oder der einer bestimmten Gruppierung, ihre Kommentare abgeben und sie auch noch als objektive Wahrheit verkaufen, die sollte man sich sparen. Die braucht kein Mensch. Sie dienen nämlich nicht einem besseren Verständnis, sondern sie polarisieren und tragen nicht zur Verständigung unter den Menschen bei. Da kann ich nur sagen: „Bitte, kein Kommentar!“