Freitag, 30. November 2018



Abschiedsbrief eines 
Säuglings

Liebe Mama,

Du hast mir das Leben geschenkt. So kam ich in Eure Familie. Natürlich wusstet ihr schon viel früher von meiner Ankunft. Erst war es jedoch eine große Überraschung für euch alle, dann aber wuchsen die Vorfreude und ich auch. Und endlich war ich da. Mit einem Schrei begrüßte ich Euch und die Welt. Ich war aber noch ganz klein, hilflos und zerbrechlich. Behutsam hast Du mich an die Brust gedrückt, hast mich gefüttert und liebevoll umsorgt. Mir fehlte es an nichts. Deine Liebe umgab mich wie eine wärmende Decke. Meinen Schlaf hast du gut bewacht und dich gefreut, wenn ich dann wieder aufwachte und meine Augen öffnete. Dann strahlte dein Gesicht und Du warst so glücklich. Mit der Zeit nahm ich zu und wurde allmählich neugierig, wo ich denn war. Meine kleinen Hände haben angefangen zu greifen und zu tasten. Eure Gesichter lernte ich ganz langsam zu unterscheiden. Wenn ein bekanntes und freundliches Gesicht über meinem Bettchen erschien, belohnte ich es mit einem Lächeln. Dann habt auch ihr euch immer sehr gefreut. Das tat mir gut. Wenn ich weinte, dann warst Du, Mama, gleich zur Stelle und hast mich auf den Arm genommen und getröstet.  Dann wurde ich ganz schnell ruhig und konnte friedlich wieder einschlafen. Ich hab mich in unserer Familie sehr wohlgefühlt. Mama, Papa, Oma und Opa und meine großen Geschwister waren alle für mich da und sorgten für mich. Ihr alle wart meine Familie.

Meine Geschwister nahmen mich gern und oft auf den Arm und haben mit mir rumgealbert. Das hat mir gefallen. Ja, ich hab schon gern geschäkert und geplappert. Gern wäre ich länger bei euch geblieben. Es wäre bestimmt eine ganz tolle Zeit mit euch geworden. Gemeinsam hätten wir noch so viel Schönes erleben können. Der Sonnenschein und der Regen, die Blumen und Blüten, die Vögel und die bunten Schmetterlinge hätte ich noch so gern erlebt. Das alles wären für mich große Abenteuer. Auch das Spielen und Lernen hätte mir sicher viel Spaß gemacht. Ihr hattet bestimmt schon viele schöne Ideen, was wir alles zusammen machen könnten, wenn ich erst größer bin. 

Nun ist es aber so ganz anders gekommen. Plötzlich über Nacht war mein noch so junges Leben einfach vorbei. Ich bin an dem Abend ganz friedlich eingeschlafen. Am Morgen aber  nicht wieder aus dem Schlaf erwacht. Ihr habt nur noch meinen kleinen toten Körper in meinem Bettchen gefunden. Das war ein riesiger Schreck und ein furchtbarer Schmerz für dich, Mama und Papa und auch für euch meine Geschwister. Das war und ist alles noch so unfassbar für Euch und für alle. Da blieb wohl für einen Augenblick die Erde stehen.

Doch lasst euch heute von mir sagen, dass es mir gut geht. Ich hatte keine Schmerzen, als ich fort musste. Ich hab es nicht einmal gemerkt. Was mit mir passiert ist, kann ich gar nicht genau sagen. Auch wo ich jetzt bin, ist mir nicht wirklich klar. Es ist alles so hell und friedlich hier. Mir ist, als ob ich schwebe. Darum seid bitte nicht so traurig! Mir geht es jetzt wirklich gut. Nur dass ihr nicht da seid, das ist nicht schön. Aber ich denke an Euch. Besonders an Dich, Mama, du hast alles für mich getan. Ich war ja ein Teil von Dir. Auch jetzt bleiben wir für immer miteinander verbunden. Ich hab dich und euch alle lieb.

Manche werden euch vielleicht sagen, um euch zu trösten, ich sei jetzt ein Engel im Himmel. Aber ich war doch schon immer Euer kleiner Engel, als ich noch bei euch war. Eurer Sonnenschein und euer kleiner Prinz, wie ihr mich oft genannt habt. Andere meinen deshalb, dass mein fröhliches Lachen am Sternenhimmel zu hören sei, wenn ihr ganz still seid. Das klingt sehr schön. Deshalb schaut am Abend auf zu den Sternen auf und denkt an mich, dann könnt ihr das Flimmern der Sterne sehen und seid mir über die unendliche Weite auf eine ganz eigene Weise verbunden  Aber nur weil der Himmel so dunkel ist, könnt ihr das Leuchten der Sterne sehen. Hell und Dunkel gehören zum Leben der Menschen.  Nur auf dem dunklen Hintergrund seht ihr die Sterne leuchten. Das ist und bleibt ein großes Geheimnis. 

Vielleicht spürt ihr in diesen Augenblicken, dass ich in einer ganz neuen und völlig anderen Weise bei Euch bin. Ich denke gern an euch und ich danke Euch für die sechs Monate, die ich bei Euch in der Familie sein durfte. Es war eine tolle Zeit. Ich wünschte, sie wäre nicht so schnell vergangen und ich könnte noch bei Euch sein. Seid deshalb nicht allzu traurig. Haltet alle gut zusammen, ihr seid doch eine Familie. Da ist einer für den anderen da, wenn er gebracht wird. Bitte denkt an mich und freut Euch, dass ich für eine gewisse Zeit bei Euch sein durfte. Auch wenn ich nicht mehr bei Euch bin, in euren Herzen bleibe ich für immer. 

Es grüßt euch alle ganz, ganz lieb

Euer Baby Tyler

(Dieser Text entstand anlässlich einer Trauerfeier im Monat November 2018 für den sechs Monate alten Säugling Tyler.)