Sonntag, 10. Mai 2015


Ich mag Pusteblumen



Tausende und Abertausende von ihnen bevölkern besonders in den Monaten April und Mai die Wiesen und die Grünanlagen in der Stadt. Ihre Blüten leuchten wie unzählige kleine, goldgelbe Sonnen. Nur kurze Zeit darauf sind die Samen mit ihren kleinen Schirmen reif und es entstehen die vielen kugelförmigen und leichten Gebilde, denen der Löwenzahn seinen volkstümlichen Namen „Pusteblume“ verdankt. Geht ein Wind darüber, werden die Samen wie eine Wolke weißer Flocken davon geweht.

Die Pusteblume ist besonders bei Kindern beliebt. Sie pflücken sie gerne ab, halten sie vor den Mund und pusten solange bis ihre Samen an den Schirmen davon getragen werden, um an anderer Stelle sanft wieder zu landen. Aus den Blüten machen die kleinen Mädchen schöne Kränze und setzen sie auf ihren Kopf. Dann  sehen sie aus wie kleine Prinzessinnen mit ihren goldenen Krönchen. Fast jedes Mädchen möchte doch gern einmal  Prinzessin sein.

Selbst als Salat sind die zarten Blätter des Löwenzahns bei Feinschmeckern sehr geschätzt und beliebt. Aus den goldgelben Blüten lässt sich ein wohlschmeckender honigähnlicher Sirup als Brotaufstrich gewinnen. Welch  vielseitig verwendbare Pflanze der Löwenzahn doch ist.

Dennoch mochte ich den Löwenzahn in meinen Kindertagen gar nicht leiden, weil   ich damals im Garten und auf dem Rasen den Löwenzahn oft mühsam ausstechen musste, damit er sich nicht so sehr ausbreitete und andere Pflanzen erstickte. Die Hühner auf unserem Hof dagegen freute es sehr, wenn sie die jungen Blätter als zusätzliches Futter bekamen. Sie lohnten es uns mit ihren frischen Eiern mit einem besonders goldgelben Eidotter.

Heute sehe ich den Löwenzahn in seiner Blütenpracht, die eine ganze Wiese in herrliches Gelb taucht, wirklich gern. Auch der Flug der kleinen Samen an ihren Schirmen fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Der Löwenzahn in all seinen Formen hat etwas, was uns Menschen oft fehlt. Er hat Wurzeln, die tief in die Erde reichen und ihm einen festen Halt geben. Sein Stehvermögen ist unglaublich stark. In den engsten Pflaster- und Mauerritzen kann er sich behaupten. Durch seine Ausdauer und verborgene Kraft kann er selbst den Asphalt aufbrechen. Das sind beste Voraussetzungen für ein gelingendes Leben, nicht nur für ein Überleben. Vielen Menschen fehlt heute dieser gesunde "Wurzelgrund", das sind Orte, Gemeinschaften oder Aufgaben, die zwar  anstrengend sein können, die  aber auch Sinn und Kraft geben.

Der Löwenzahn hält seine Samenkörner nicht fest, er lässt sie vom Wind forttragen an unbekannte Orte, damit sie dort Wurzeln schlagen und neue Pflanzen bilden. Das geschieht nicht ohne Risiko, denn nicht jeder Samen geht auf. Krampfhaftes Festhalten aber wäre keine Lösung. Das gilt auch für uns Menschen. Immer nur den Status quo erhalten zu wollen, ist in allen Bereichen des Lebens häufig der Anfang vom Ende. Ein etwas paradox klingendes Wort lautet: „Nur wer sich verändert, bleibt sich treu.“

Mich beeindrucken deshalb die Standfestigkeit und zugleich diese Leichtigkeit des Löwenzahn sehr. Er hat nämlich beides, gleichsam Wurzeln und Flügel. Genau solche Menschen wünsche ich mir, die einen einen festen Standpunkt haben, aber immer bereit sind für Neues. Die ihre Ideen, ihr Wissen und ihren Glauben nicht für sich behalten, sondern die loslassen können, damit  der gute Geist sie weiter trägt an viele neue Orte und sie Wurzeln schlagen lässt in den Herzen anderer Menschen. 


Montag, 4. Mai 2015


Die Bahia -  wo andere Urlaub machen

Der Bundesstaat "Bahia" liegt im tropischen Nordosten von Brasilien. Ein besonderer Anziehungspunkt für viele Touristen aus aller Welt ist die Stadt San Salvador. Sie ist bekannt für die Lebensfreude ihrer Bewohner und besonders für den lauten und bunten Karneval. Überall ist dort noch die afrobrasilianische Kultur gegenwärtig und lebendig. Kilometerlange weiße Strände laden Einheimische und Besucher zum Baden und Chillen ein. Das Ziel unserer Reise aber lag wieder einmal abseits dieser touristischen Attraktionen.

Nach unserem Zwischenstopp in Rio fuhren wir sehr früh am Morgen zum dortigen Airport und flogen nach San Salvador. Die ehemalige Hauptstadt Brasiliens, denn das war Salvador einmal, war aber nicht unser eigentliches Ziel. In überfüllten Bussen ging es in rasanter Fahrt durch die drittgrößte Stadt Brasilien zur Anlegestelle der Fähre. In knapp einer Stunde erreichten wir mit dieser die vorgelagerte Insel Itaparica. Weiter ging es nun noch einmal mit dem Bus zur Stadt Nazare´. Über eine lange Brücke haben wir dann  wieder das Festland erreicht. Die letzten 25 km nach Jaguaripe, dem Ziel unserer Reise, fuhren wir mit einem Auto. Die Fahrer privater Autos bieten auf dem Marktplatz ihre Fahrdienste an. Das ist dort die übliche Weise, in die entlegensten Winkel des Landes zu kommen. Zudem ist es recht preiswert, jedoch mit eingeschränktem Komfort verbunden, denn es werden schon einmal bis zu sieben Erwachsene in einem kleinen PKW befördert und da wird die Luft schnell knapp und die Hitze fast unerträglich. Der Blick auf die sanften grünen Hügel mit Palmen und blühenden Büschen, die an uns vorüberzogen, entschädigte uns für die Strapazen der langen Reise.

In dieser wunderschönen tropischen Landschaft, wo andere gern einmal Urlaub machen würden, lebte und arbeitete Padre Arnoldo einige Jahre als Seelsorger bei den Menschen. Er sah ihre Armut, erkannte ihre Nöte und reagierte sofort mit der Einrichtung von zehn Projekten, die er heute noch betreut und finanziell mit Spenden aus Deutschland unterstützt. Sein Weg von Sao Paulo ist weit und beschwerlich, wie wir es ja selbst gerade erfahren hatten. Trotzdem versucht er, alle drei bis vier Monate in die Bahia zu fahren, zu den Menschen, die schon sehnsüchtig auf ihn warten.  Wir hörten bei jeder Begegnung  immer wieder den Satz: „Padre, du warst so lange nicht hier!“ Ihre große Freude und Dankbarkeit war deutlich zu spüren. Auch wir wurden immer ganz herzlich aufgenommen und begrüßt. Für alle war klar, der Besuch aus Deutschland ist ein Zeichen für eine große Solidarität, ohne die all die Projekte von Padre Arnoldo nicht möglich gewesen wären.

Nachdem wir unser einfaches Quartier auf einer Matratze auf dem Fußboden im Saal über der dortigen Creche für die nächsten Tage bezogen hatten, waren wir wieder mit  Arnoldo ständig unterwegs zu seinen Projekten. Nach einem Großeinkauf im Supermercado Sao Jose fuhr ein Mitarbeiter des Geschäfts und guter Freund des Padre die Lebensmittel mit seinem Pickup über teils unwegsame Straßen in die entlegenen Orte und Einrichtungen. Überall spürten wir eine große Herzlichkeit und Freude über den Besuch und die Lebensmittel. Waren doch dadurch in der nächsten Zeit die Mahlzeiten für die Kinder in den creches wieder abgesichert.

In diesen Tagen hatten wir zahlreiche Begegnungen mit den Menschen. Wir haben viele Eindrücke gewonnen von ihrer großer Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Trotz aller Armut spürten wir immer wieder ihre Dankbarkeit und ihre Lebensfreude. Wir erfuhren auch das persönliches Engagement der Helfer und dass die finanzielle Hilfe der Spender hier wirklich ankommt und genau die Bedürftigsten erreicht. Die Erinnerung an die übersprühende Lebensfreude und Herzlichkeit der Menschen durften wir als ein großes Geschenk für uns mitnehmen. Auch wir dürfen sagen: obrigado – danke!

Vor der langen Fahrt zurück nach Sao Paulo, konnten wir noch einmal in der wunderschönen Altstadt von San Salvador das sprühende und bunte Leben der afrobrasilianischen Kultur erleben. Die Besichtigung der historischen Altstadt mit den vielen Kirchen in ihrer kolonialen Pracht und der Sonnenuntergang am Strand rundeten unseren Besuch in der Bahia ab.

Brasilien ist ein wunderschönes und reiches Land. Der größte Reichtum sind wohl seine Menschen in ihrer Vielfalt und Buntheit. Millionen von ihnen aber müssen unter schwierigsten Bedingungen in größter Armut ihr Leben fristen. Abseits der Touristenpfade wurde unser Blick auf diese Not der Armen der Ärmsten gelenkt. Wir sahen aber auch das Engagement von Padre Arnoldo und seiner Helfer. Es ist ihnen wichtig, einfach anzupacken und etwas zu tun. 

Wir haben diese Reise gemacht und gern die Strapazen auf uns genommen, um mit den Spendengeldern zu helfen, die wir Padre Arnolodo übergeben haben und wurden selbst beschenkt. Indem ich darüber berichte, möchte ich vielen meiner Leser den Blick öffnen für die Situation anderer Menschen. Denn unter einem neuen Blickwinkel fällt es uns gewiss auch leichter, einmal dankbarer zu sein für all das, was wir hier in Deutschland allzu oft für so selbstverständlich erachten.



Sonntag, 3. Mai 2015


Brasilien - abseits der Touristenpfade

Nicht der Zuckerhut und die Copacabana, nicht die gewaltigen Wasserfälle des Foz do Iguacu oder der Karneval in Salvador waren das Ziel meiner Reise zusammen mit meinem Freund Charly, sondern diese Reise führte buchstäblich an die Ränder der brasilianischen Gesellschaft.

Am Flughafen in Sao Paulo erwartete uns unser Freund Padre Arnoldo. Seit 25 Jahren arbeitet er in Brasilien als Seelsorger und bemüht sich unaufhörlich, etwas gegen die himmelschreiende Armut und für die Ärmsten der Armen zu tun. Besonders die Kinder liegen ihm dabei sehr am Herzen. So hat er im Laufe der letzten Jahre an verschieden Orten am Rande von Sao Paulo, in Itapeceritca da Sierra, welches zum Großraum Sao Paulos gehört, in dem rund 20 Millionen Menschen auf engsten Raum leben, Kindergärten gebaut, sogenannte „creches“. Dort können die Kinder lernen und fröhlich miteinander spielen. Die rund 400 Kinder in der größten creche „St. Theresinha“ erhalten dort täglich vier Mahlzeiten und die Zuwendung der Mitarbeiterinnen. Das gleiche gilt auch für die anderen kleineren Einrichtungen und Projekte, die wir mit ihm besuchten und immer herzlich und laut von den Kindern und den Erzieherinnen begrüßt wurden.

Wir waren mit Padre Arnoldo ständig unterwegs. Er zeigte uns stolz, was schon geschafft wurde. Aber wir sahen auch so viele Menschen, die in Armut leben mussten und unter menschenunwürdigen Verhältnissen. In einer Favela, einem Armenviertel in St. Pedro, lernten wir ein weiteres Projekt kennen. Beim Besuch einiger der ärmsten Familien in dieser Favela verschlug uns der Gestank dort fast den Atem. Schmutz und Unrat waren überall. Dazwischen lebten auf engsten Raum oft mehrere Personen.  An sie wurde einmal im Monat eine „cesta basica“ ein Paket mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln verteilt. Wenn uns auch die äußeren Umstände oft auf den Magen schlugen, so entschädigten uns doch die Freude und die Dankbarkeit der Menschen. Immer wieder hörten wir zum Abschied ihr „muito obrigado“, vielen herzlichen Dank, denn all diese Projekte werden von Spenden aus Deutschland finanziert.

Nun konnten wir Padre Arnoldo auch besser verstehen, der mit seinen 73 Jahren noch längst nicht ans Aufhören denkt, denn die Not ist unendlich groß. Auch wenn seine Hilfe und sein persönlicher Einsatz nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, so bringt dieser doch wenigsten für einen kurzen Augenblick etwas Linderung für die Ärmsten und es keimt wieder neue Hoffnung auf.

Desweiteren lernten wir ein beeindruckendes Projekt der Schwestern von „Belem“ (Bethlehem) in Sao Paulo kennen. Das ist eine „Gemeinschaft von Frauen für Frauen“, die sich ganz besonders bemüht, Schwangere und Frauen mit Kindern von der Straße und den Drogen wegzuholen und ihnen dafür einen Ort der Geborgenheit zu geben. Drogen gehören allerorten zur unheilvollen Wirklichkeit für so viele in Brasilien. Diese Frauen von Belem haben früher oft selbst das Schicksal der Frauen auf der Straße geteilt und kennen deren Situation genau. Mit großem Engagement bemühen sie sich deshalb, wenigstens Einigen von ihnen die soziale Integration zu ermöglichen. Leider ist auch hierbei nicht jedes Bemühen mit Erfolg gekrönt.

Danach fuhren wir mit dem Überlandbus von Sao Paulo nach Rio de Janeiro. Das Ziel unserer Fahrt lag in der größten und gefährlichsten Favela „morro del aleman“, in der am Tag vor unserer Ankunft die Gewalt zwischen den Drogenbanden und der Polizei wieder einmal eskalierte. Ein Einsatzkommando der Polizei stürmte mit Unterstützung von Hubschraubern dieses Viertel. Schüsse fielen und Blendgranaten wurden abgefeuert. In der dortigen creche versteckten die Helferinnen die 20 Kinder in den Toiletten und Waschräumen. Alle hatten furchtbare Angst, von den Kugeln getroffen zu werden, denn die Wellblechdächer bieten keinen Schutz dagegen, so berichteten sie uns immer noch ganz verstört. Violencia, Gewalt, beherrscht weithin das Leben der Menschen in Brasilien.

Nach unserem Großeinkauf für die Armen in einem Supermercado brachten private Autos die Einkäufe und uns durch die engen und verwinkelten Gassen in die Favela. Wir duckten uns im Auto, denn Fremde sind dort nicht gern gesehen. Das „Comando“, das sind die Drogenbosse, beherrscht die ganze Favela, es gelten dort ihre eigenen Regeln. Einschüchterung und Angst, Drogen, Prostitution und Gewalt bestimmen das Leben der Menschen. Schon Kinder werden als Drogenkurier rekrutiert. Schwerbewaffnete Polizisten haben vor  der Favela Posten bezogen, halten sich aber ansonsten lieber heraus. In Rio leben rund 1,3 Millionen Menschen unter solchen Bedingungen in zahlreichen Favelas. Wie zum Hohn für die Bewohner führt die neue Seilbahn über dieses Armenviertel. Auf einer zwanzig minütigen Fahrt können die Touristen in einer Gondel über die Köpfe der Bewohner schweben und diese wie Exoten in einem Zoo betrachten. So kam mir das jedenfalls vor.

Immer wieder trafen wir dort Menschen, die sich nicht einfach mit diesem Schicksal abfinden. So zum Beispiel die Gruppe „sal do terra“, das heißt: „Salz der Erde“. Wir erfuhren von ihrer Arbeit und ihrem Engagement für die Ärmsten der Armen in der Favela und lernten auch einige von ihnen kennen. Die zehn ehrenamtlichen Mitglieder  der Gruppe bringen monatlich zu 25 Familien, die schon erwähnten „cesta basica“ und kümmern sich um ihre Probleme. Das Engagement und der Mut dieser Frauen und Männer haben uns sehr beeindruckt.