Montag, 6. Juni 2016


Grün ist beautiful“

Das, was hier wie ein euphorisches Parteitagsmotto der „Grünen“ klingen könnte, ist es aber bei Weitem nicht. Es handelt sich auch nicht um einen Werbeslogan der Vegetarier und Veganer, die für grüne Kost oder andere grüne Produkte werben, sondern es ist ein Ausruf des reinen Entzückens beim Blick in die unendlich grüne Landschaft, von der das Foto leider nur einen ganz kleinen Teil wiedergeben kann. Grün soweit das Auge reicht.
Nicht ohne Grund wird deshalb Irland ja auch die „grüne Insel“ genannt. Gerade im Monat Mai, wenn alles Grün noch ganz jung und frisch ist, wird jeder Betrachter von dieser grünen Vielfalt fast überwältigt. Er stellt mit Erstaunen fest, dass grün eben nicht gleich grün ist. Die Anzahl der Farbnuancen scheint schier unendlich zu sein. Blätter, Büsche, Bäume und immer wieder die saftigen Weiden, alles prangt im satten Grün. Je nach Lichteinfall und Sonnenschein wechseln die verschiedenen Grüntönungen von einem Augenblick zum anderen ihr Aussehen. Und doch wirkt dieses Farbenspiel nicht etwa unruhig, sondern es schenkt dem Auge des Betrachters Ruhe und führt zum inneren Frieden.

Abgesehen von der Hauptstadt Dublin und den wenigen größeren Städten Irlands, strahlt das ganze Land eine besonders ruhige und friedliche Atmosphäre aus. Das Leben geht in den ländlichen Gebieten noch immer langsam und beschaulich zu. Hier wird der gestresste Besucher schnell zu Ruhe kommen, wenn er sich darauf einlassen kann.
Und doch hatte gerade dieses Land in seiner langen Geschichte selbst so wenig Frieden und Ruhe. Die „grüne Insel“ war oft eher rot vom Blut der Menschen, die immer wieder ums blanke Überleben und gegen Unterdrückung von außen kämpfen mussten. Bis in die jüngste Zeit hinein gab es die schlimmsten Auseinandersetzungen zwischen dem britisch dominierten Norden  und dem Süden der Insel. Die Folgen von Bomben, Terror und Trennung sind bis heute noch besonders in Belfast in Nordirland zu sehen und werden den Besuchern dort gezeigt. Wie viel Blut ist doch auf beiden Seiten in diesem Land vergossen worden? Und noch immer sind Ungleichheit und die Trennung nicht restlos überwunden. Noch längst sind nicht alle Iren einander „grün“, wie wir es zu sagen pflegen, wenn einer mit dem anderen nicht zurechtkommt.

Zwar ist der lange Irlandkonflikt, der in der jüngsten Geschichte 3600 Terroropfer kostete und unendlich viel Leid über die Betroffenen brachte, aus den Schlagzeilen der Presse und den Nachrichten verschwunden und seit 1998 weitgehend befriedet, aber Gras ist noch lange nicht über alles gewachsen und wenn, dann ist die Grasnarbe sehr dünn und verletzlich. Noch heute werden in Belfast die von Katholiken und die von Protestanten bewohnten Stadtviertel von einer acht Meter hohen Mauer getrennt und die schweren Eisentore zwischen ihnen werden nachts immer noch geschlossen. Als wir beim unserem Besuch in Belfast davon hörten, konnten wir das fast gar nicht glauben. Wir mussten aber erfahren, dass die Angst vor Übergriffen noch tief sitzt und sehr real ist. Leider wird diese Trennung noch von Hardlinern auf beiden Seiten künstlich aufrecht erhalten. Die Gräben sind tief und die Mauern hoch. Abgrenzung kann aber auf Dauer keine Lösung sein.
Auch wenn es bei der jüngeren Generation jetzt Zeichen der Hoffnung und der Gemeinsamkeit gibt, denn sie haben im 21. Jahrhundert ganz andere Sorgen und Herausforderungen, als diese jahrhundertealte Konflikttradition zu pflegen, so wird ihnen doch von den älteren Genrationen diese schwere Last immer wieder auferlegt. Es kostet viel Kraft und guten Willen, sich davon zu befreien. Was für ein schweres und schmerzliches Erbe können doch die Taten früherer Generationen für die heute Lebenden sein?

Schuld und Versagen, Hass und Streit der Menschen sind also nicht nur persönliche Verfehlungen, sondern haben immer eine strukturelle Dimension. Sie sind wie ein Erbe, dass der Einzelne nicht einfach ablehnen könnte. Alles Handeln der Menschen bringt eine Nachhaltigkeit mit sich, die entweder als drückende Last erfahren wird oder sie schenkt Freiheit und Frieden.
Mauern aufzurichten, Stacheldrahtzäune zu ziehen  oder Gräben auszuheben ist verhältnismäßig leicht und geht oft sehr schnell. Sie aber wieder abzubrechen und zuzuschütten ist dagegen schwer, denn sie hinterlassen ihre Spuren ganz  tief im Denken und Fühlen der Menschen. Darum stellt es für jede Generation eine große Herausforderung für alle Verantwortlichen dar, was sie den nachfolgenden Generationen ins Herz pflanzen; Hass und Streit, der die Zukunft vergiftet und Leben zerstört oder Versöhnung und Liebe. Das Letztere sollte immer das Ziel jeden Handelns sein.

Diese Hoffnung schenkt Leben und diese Hoffnung ist so „beautiful grün“ wie Irland selbst, die „Grüne Insel“.