Freitag, 17. März 2017


Alles muss raus!

So tönt es lautstark aus den Lautsprechern im Kaufhaus. Zudem  springt uns dieser Satz überdimensional groß von den Plakatwänden förmlich an. Immer wenn eine neue Kollektion ins Haus steht, dann werden die Regale und Lager geräumt. Wenn Neues kommt, muss das Alte raus.

Alles muss raus! Okay, aber nicht immer und überall. Doch Vieles muss raus, kann raus, wenn Veränderungen anstehen. Genau dann merken wir nämlich, dass sich unsere Keller und Dachböden, die Schuppen und Schränke angefüllt haben mit Dingen, die wir nie wieder benutzt oder gar gebraucht hätten.

Ein im Sommer anstehender Umzug aus der Wohnung nach unglaublichen 58 Jahren, war jetzt der Anlass, zuerst einmal den Keller und den Schuppen im Garten auszuräumen. Zu viert haben wir innerhalb von knapp zwei Stunden einen ganzen Container mit Gerümpel beladen. Und das ist längst noch nicht alles. Man glaubt es kaum, was sich so im Laufe der Jahre angesammelt hat.

Bevor der Container kam, wurde aber noch einmal aussortiert, denn wie gesagt, nicht alles muss raus, aber Vieles kann weg. Da kamen nach langer Zeit noch so manche schöne Dinge wieder ans Tageslicht, Dinge mit Erinnerungswert, aber auch Dinge und Sachen, die schon längst als verloren galten. Viele Dinge, die zwar nicht mehr zu gebrauchen waren, von denen man sich aber nicht trennen konnte. Sie alle landeten im Keller oder im Schuppen und fristeten dort ein vergessenes Dasein.

Ich bin sicher, jeder von uns hat solche Räume, Schränke, Regale und Kisten, in denen verborgene Schätze, aber eben auch überwiegend unnötige Kleidung, Bücher und andere Dinge lagern. Langsam wird es dann immer enger. Für Neues ist kaum noch Platz. Ähnlich ist es in der digitalen Welt. Die Festplatten quellen schon bald über von Unmengen an Datenmüll. Die Speicher müssen immer größer werden. Was ist davon wirklich wichtig? Da heißt es dann logischer Weisen: „Vieles muss raus“. 

Doch wenn es uns schon so schwer fällt, uns von ausgedienten Gegenständen und zu eng gewordener Kleidung, also von rein materiellen Dingen zu trennen, wie sieht es dann erst mit unseren inneren Einstellungen und Haltungen aus? Auch da sollte wohl jeder Mensch von Zeit zu Zeit einmal aufräumen und aussortieren. Vorgefaste Meinungen über einen anderen Menschen blockieren dort zum Beispiel seit langem mein Denken. „Der andere ist eben so, basta!“ Solche festgelegte Haltung lässt dann auch keine Änderung mehr zu. Eine einmal gemachte schlechte Erfahrung in einer konkreten Situation wird pauschal auf alle anderen angewendet. Für neue Sichtweisen bleibt da kein Raum. Alles, was uns blockiert, muss deshalb dringend raus. Sonst nimmt allmählich unser ganzes Leben einen „dumpfen Kellergeruch“ an, der schier unerträglich ist.

Muss es denn immer erst eine menschliche "Grenzerfahrung" sein, die uns zum Nachdenken bringt. Nein, wenn das buchstäbliche Ausräumen von unbrauchbaren und schlechten Gedanken, Vorstellungen und besonders von lang gehegten Vorurteilen so wichtig ist, dann ist es jetzt an der Zeit, etwas für sich zu tun.

Die Franzosen nennen das „Revision de vie“, eine Lebensüberprüfung. Dabei wird aber nicht nur ausgeräumt und entrümpelt, sonder dabei wird wieder ganz viel Wertvolles zu Tage gebracht, da gibt es sicher bei jedem einzelnen von uns versteckte Fähigkeiten und Talente, gute Erinnerungen und viele Gründe zum Danken, das alles schlummert aber ungenutzt in uns. Diese Schätze können neu zum Tragen kommen und sie werden anderen Menschen gut tun. Der Blick auf unser Leben und auf das unserer Mitmenschen, der oft durch  solche sperrige Haltungen und tief sitzende Vorurteile verstellt ist, wird nun wieder frei. Nicht nur wir schauen mit neuen Augen in die Welt, sondern auch wir selbst werden ganz anders wahrgenommen und neu erlebt. Das macht froh und frei.

Warum also noch länger warten? Wir müssen nicht extra einen Container bestellen, aber wir sollten uns dafür etwas Zeit nehmen und uns ernsthaft fragen, was wirklich Wert und Bestand in unserem Leben hat und was ist eher hinderlich? Was schleppen wir an Ballast mit uns herum? Natürlich, nicht alles muss raus, aber vieles kann und sollte endlich raus, damit für das wirklich Wichtige, Bleibende und Wertvolle Platz wird.