Montag, 18. Juli 2022

 

Konzertkarten

Was soll man nur zu Weinachten schenken? Ein Blick ins Internet und schon ist etwas Passendes gefunden. Ja, Konzertkarten gehen immer. Toll, die Oldie-Band City gastiert gerade auf ihrer Abschlusstour in Halle an der Saale im Steintor-Variete´, einem der ältesten Variete´s
Deutschlands, denn diese Spielstätte kann auf einen über 120-jährigen Spielbetrieb verweisen. Na, das ist doch schon mal etwas, oder?

Auch wenn ich kein Fan solcher Musikgruppen bin, ich musste letzte Woche mit ins Konzert. Schließlich hatten wir die Karten doch geschenkt bekommen. Selbst in jüngeren Jahren war mir City und Co. reichlich unbekannt. Deshalb hab ich mich erst einmal im Internet über die Band etwas informiert. Gegründet 1972 in der tiefsten DDR-Zeit. Von diesem Ost-Charme vermeinte ich im Laufe des Abends im Konzert immer noch etwas zu spüren.

Dann machten wir uns auf den Weg. Mein Gott, ich traute meinen Augen kaum, als ich die riesige Schlange auf dem Vorplatzt am Steintor sah. Langsam bewegten sich die Besucher des Konzerts auf den Eingang zu. Das konnte dauern, war mein erster Gedanke. Na, dann. Beim Einlas hatte nämlich die moderne Technik Einzug gehalten. Die Eintrittskarten musste jeder selbst scannen, was wohl nicht immer klappte und zur Staubildung führte. Als wir endlich unsere Plätze im schon dunklen Saal erreichten, für einen Drink vorher war natürlich nun keine Zeit mehr gewesen, da stiegen bereits die ersten Bühnennebel auf und die bunten Scheinwerfer zuckten durch den Saal.

Auf der Bühne  spielten zum Auftakt die Musiker der Berliner Symphoniker. Das stimmte mich wieder etwas milder. Und dann sprangen vier kleine, alte Männer mit ihren Instrumenten auf die Bühne und wurden vom Publikum frenetisch begrüßt, was mich etwas verwunderte. Ja, diese Begeisterung für die Band müssen die meisten bereits seit Jahrzehnten gehabt haben. Viele waren in etwa der gleiche Jahrgang, also um die 70 Jahre. Aber auch einige Dreißig- und Vierzigjährige waren gekommen. Direkt vor mir kriegte sich einer von diesen kaum noch ein, er sprang von seinem Sitz auf und verrenkte sich begeistert zu der lautstarken Musik. Nicht ganz mein Ding.

Mit den bekannten Plattitüden begrüßte der Sänger lautstark und enthusiastisch das Hallenser Publikum als sein Lieblingspublikum und bot ihm auch gleich das „DU“ an. Wieder stürmischer Applaus. Die Brücke zum Publikum war geschlagen und nun konnte es richtig losgehen.

Es folgten, diverse Songs aus den 50 Jahren von City, immer elektronisch verstärkt und deshalb sehr laut. Nichts für jemand, der eher leise Töne liebt. Jetzt kamen die Musiker und besonders der Sänger so richtig in Fahrt. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er wie Rumpelstilzchen über die Bühne hüpft, in seine etwas zu klein geratene Lederjacke gezwängt, die scheinbar noch aus den 70iger Jahren aus dem Intershop stammte. Sollte ich etwa auch aufzuspringen und ebenso euphorisch herum hüpfen? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Also abwarten, was kommt. Der Abend war ja noch lang.

Doch dann kamen recht unerwartet einige besinnliche Gedanken und Texte, die für die angespannte Weltsituation sehr passend schienen. Dadurch wurde die ausgelassene Stimmung etwas gedämpft und es kam sogar bei dem Lied von Bettina Wegner, „Sind so kleine Hände“, eine gewisse Besinnlichkeit auf. Genauso  beim darauf folgenden Lied, „Sag, mir wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben“, da gingen die Gedanken gewiss am Schluss des Liedes hin zu dem Menschen in den Kriegsgebieten in der Ukraine und besonders zu den Soldaten an der Front, die ihr Leben verloren haben. Dabei stellten sich genau diese Fragen: „Sag, wo die Soldaten sind, wo sind sie geblieben? Was ist gescheh´n? Über Gräbern weht der Wind. Wann wird man je versteh´n?“  Den Irrsinn des Krieges und der grausamen Gewalt wird man wohl nie verstehen. Gab es da nicht einmal den Ausspruch: „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Doch auch das wird nicht geschehen, denn es wird immer willfährige Befehlsempfänger und Mittläufer geben.

Aber auch in diesen schlimmen Zeiten muss das Leben weitergehen. Darum ging auch das Konzert an diesem Abend weiter. Die Augenblicke der Nachdenklichkeit waren schnell verflogen. Das Publikum war ja schließlich gekommen, um seine Kultband City noch einmal hören und sich mitnehmen zu lassen von ihrer altbekannten Musik und sie zu feiern. Von der Band  waren da wohl die Augenblicke der Nachdenklichkeit gut gemeint, aber eher ein Stilbruch. Deshalb wechselte die Stimmung nun wieder ganz rasch, als es weiterging und die Bässe dröhnten. Das Publikum wurde ziemlich angeheizt und ging so richtig mit und aus sich heraus. Da fühlte ich mich wie im „BIERKÖNIG“ auf Mallorca mittags um halb eins. 

Ein bisschen DDR-Nostalgie und die Erinnerungen an 50 Jahre, der inzwischen zur Kultband avancierten Band City, war für das Publikum im ausverkauften Saal des Steintor-Variete´s doch das Wichtigste an diesem Abend im Juli 2022. Darum waren sie ja gekommen.

So wie das Konzert endete, so enden hier auch meine doch recht subjektiven Gedanken und Eindrücke über diesen Konzertabend im Steintor-Variete´ in Halle, mit dem klaren Resümee, dass ich mir beim nächsten Mal lieber Karten für ein Klassisches Konzert wünschen sollte.

Freitag, 1. April 2022

Die Sanduhr

Wie der Sand in einer Sanduhr durch eine winzig kleine Öffnung rinnt, so verrinnt auch die Lebenszeit des Menschen. Im Augenblick des Todes läuft das letzte Körnchen des Lebens durch diese enge Öffnung. Deshalb ist seit alters her die Sanduhr ein Sinnbild für die Vergänglichkeit allen Seins. In der Kunst und der Literatur taucht sie daher als Symbol immer wieder auf. So heißt es in einem Gedicht: „Die Sanduhr des Lebens kann keiner drehen. Für jeden von uns bleibt sie irgendwann stehen.“ Eigentlich eine simple Wahrheit, dass jedes Leben zeitlich begrenzt ist. Gewiss ist aber nur, dass es irgendwann einmal geschieht. Das Wann ist unbekannt. Doch es gibt dabei erhebliche Unterscheide, denn der eine wird über 90 Jahre alt, ein anderer muss bereits mit 32 Jahren gehen.

Bei der Sanduhr des Lebens, um im Bild zu bleiben, ist im Gegensatz zu einer normalen Sanduhr das obere Glas für den Betrachter nicht sichtbar. So ist es auch mit der Anzahl der Lebensjahre eine Menschen. Sie kennt keiner.  Sichtbar und erkennbar sind  nur die vergangen Jahre und Jahrzehnte, die wie der Sand durch die Uhr gelaufen sind. Das Zukünftige ist und bleibt dem Menschen verborgen. Mit dem zunehmenden Lebensalter kommt häufig das Gefühl auf, dass der Sand in der Uhr scheinbar immer schneller verrinnt. Zogen sich doch die Tage und Wochen in der Kindheit oft nur träge dahin und wollten manchmal kaum vergehen. Die Zeit-Körnchen tröpfelten quasi nur mühsam durch die enge Öffnung. Schon bald aber merkt man, dass die Zeit  knapp wurde und der Zeitdruck zunahm. Ja, die Zeit bekam förmlich Flügel und rauschte nur so dahin. Dann wächst auch die Erkenntnis, dass die Zahl der bereits vergangenen Jahre zunimmt, die Anzahl der zu erwartenden Jahre sich immer mehr verringert. Solche Gedanken an die Vergänglichkeit und die Endlichkeit, sowie die Ungewissheit, was das Morgen bringen wird, dass verunsichern und ängstigen  sehr häufig die Menschen. Gerade diese Wahrheit, dass alles Leben sterblich und  zeitlich begrenzt ist, ist aber die einzige Wahrheit, die ein Mensch wirklich haben kann. Alles andere im Leben ist fragil und äußerst ungewiss.   

Klingt es da nicht geradezu wie unmündiger Trotz, wenn der griechische Philosoph Epikur sagt: "Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht."  Oder etwas zeitgemäßer ausgedrückt: „Jetzt leben wir, lasst uns das Leben genießen, alles andere soll uns nicht kümmern, daran müssen wir heute nicht denken, das hat später noch Zeit." Zielen nicht auch die Bemühungen der Medizin und der Forschung in diese Richtung, ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, das Stundenglas, wie die Sanduhr auch genannt wird, wieder zu drehen und neu in Gang zu setzen oder wenigsten möglichst lange am Laufen zu halten? Und das um jeden Preis.

Wenn dann der Tod einen geliebten Menschen trifft, wenn dessen Leben im Sterben zu Ende geht, wenn die letzten Körnchen durch die Uhr gelaufen sind, dann muss sich der Mensch unweigerlich der Tatsache des Todes stellen. Diese Grenzerfahrung ist für viele deshalb auch eine enorm große Herausforderung, die so manchen überfordert. Sie berührt nämlich einen Bereich, der ansonsten häufig verdrängt wird. Streben und  Tod kommen, außer auf dem Bildschirm, im Alltag der meisten Menschen nicht mehr vor, sie sind sozusagen outgesourct.  Das geschieht meistens abseits vom alltäglichem Leben.  

Der bildhafte Vergleich des menschlichen Lebens mit einer Sanduhr, macht hier vielleicht deutlich, dass jeder Mensch nur eine gewisse Menge an Sand, sprich Lebenszeit, zu Verfügung hat. Keiner aber weiß, wie viele Lebensjahre ihm geschenkt sind. Das ist sicher auch gut so. Die Gewissheit des Ungewissen bleibt so jedoch eine permanente Herausforderung, die manchen mit Unruhe oder gar Angst erfüllt.

Der Blick auf das eigene Leben, zeigt dem Menschen stets nur das, was vergangen ist, was also hinter ihm liegt an Gutem wie an Schwerem. Das kann froh und dankbar machen oder auch traurig und bitter. Trauer über die glücklichen Zeiten in seinem Leben, dass sie so schnell vorüber waren. Doch Dankbarkeit erfüllt ihn, dass sie gewesen. Außerdem bleibt die Hoffnung, oder es wird selbstverständliche Annahme, dass die Zeitmenge im eigenem Stundenglas noch lange Zeit ausreicht für all das, was ein Mensch noch erleben und erreichen möchte. 

Derjenige aber, der sich frühzeitig seiner Endlichkeit bewusst ist, der seine eigene Begrenztheit kennt und akzeptiert, dem wird sehr deutlich, dass jede Minute, jede Stunde und jeder Tag unwiederholbar und damit unendlich wichtig und wertvoll sind. Deshalb ist für jeden Menschen, ob er jung oder alt ist, gerade der Augenblick die Zeit, die er hat, etwas zu tun oder es nicht zu tun. All das wird gleichsam sichtbar und messbar im unteren Glas der Sanduhr seines Lebens. Das Gute und Geleistete genauso wie das Unterlassene und Schlechte. Deshalb ist das Leben immer wieder, zu jeder Zeit und in jedem Augenblick eine Herausforderung für jeden Menschen, das zu tun und zu sein, worauf es ankommt. Ob also ein Leben gelingt, hängt nicht von seiner Länge ab, sondern davon, aus welcher Tiefe ein Mensch gelebt hat.