Donnerstag, 27. August 2015


Vancouver – ein Geschenk

In meinem heutigen Text geht es nicht um die Hauptstadt des Bundesstaates British Columbia an der Westküste Kanadas. Jedenfalls nicht vordergründig, obwohl mit dieser hat es auch zu tun. Wie aber schon das Bild zeigt, handelt es sich vielmehr um die Blüte einer Blume, genauer gesagt, um die erste Blüte einer Dahlie, die in diesem Jahr in einem großen Blumentopf aus Keramik auf unserem Balkon prächtig gediehen ist.

Angefangen hatte alles zunächst ganz klein. Zum Weihnachtsfest im letzten Jahr bekamen wir eine farbig bedruckte Tüte mit der Aufschrift „Vancouver“ geschenkt. Beim Öffnen stellten wir dann fest, dass es sich um eine Dahlienknolle handelte. Im Frühjahr habe ich dieses schrumplige Etwas in einen Blumentopf mit guter Gartenerde gesteckt und auf den Balkon gestellt. Von diesem Tag an galt der Knolle und ihrem Wohlergehen meine ganze Aufmerksamkeit. Als dann die ersten Spitzen durch die Oberfläche brachen, war die Freude groß. Unglaublich, aus dieser scheinbar leblosen Knolle bildeten sich erste zarte Triebe. Sie waren noch sehr empfindlich und mussten vor Kälte und allzu intensiver Sonneneinstrahlung geschützt werden. So wuchs die kleine Pflanze wohlbehütet zu ihrer vollen Größe heran. Über jedes neue Blatt freuten wir uns und staunten immer wieder.

In diesen Tagen des August ist nun die erste Knospe aufgebrochen und zu einer wunderschönen Blüte geworden. Vancouver blüht! Diese Dahlienknolle ist ein wirkliches Geschenk für uns geworden, ein Präsent von einem lieben Menschen. Und dieses Geschenk lässt uns oft an ihn denken und macht  ihn für uns präsent, gegenwärtig. 

Wir konnten das Wunder des Wachsen Tag für Tag erleben und haben uns davon immer  aufs Neue beschenken lassen. Ein Geschenk ist erst dann ein wirkliches Geschenk, wenn es der Beschenkte als Gabe und Aufgabe auch annimmt.  

Der Grund für dieses tolle Geschenk war unsere geplante Reise nach Kanada. So durften wir in diesem Jahr sogar zweimal „Vancouver“ als ein großes Geschenk erleben. Die blühende Dahlie auf unserem Balkon und die kanadische Stadt Vancouver, eingebettet in eine wunderbare Natur, zwischen Wasser, Wald und schneebedeckten Bergen. Zwei Geschenke, zwei Wunder der Natur, hinter denen für uns jeweils der Geber dieser Gaben deutlich präsent ist und bleibt.


Donnerstag, 13. August 2015


Hallo, Vermittlung!

Auch wenn ich nicht mehr der Jüngste bin, so habe ich  doch die Telefonie in dieser Form nicht mehr selbst erlebt. Trotzdem beeindruckt mich  die alte Technik,  wie man sie im Museum oder in  alten Filmen sehen kann. Das „Fräulein vom Amt“ hatte damals die Aufgabe, den Anrufer durch das „Umstöpseln“ der Kabel mit einem anderen Gesprächsteilnehmer zu verbinden. Da es noch keine Direktverbindungen gab, mussten die Gespräche auf diese Weise vermittelt werden. Auch wenn das heute technisch längst überholt ist, bleibt  der „Dienst der Vermittlung“ zwischen den Menschen eine ganz wichtige Aufgabe.

Leider ist diese Fähigkeit zu vermitteln,  in unserer Gesellschaft  recht wenig ausgebildet. Die Kommunikation läuft deshalb schnell ins Leere oder wird sogar zur Konfrontation. Es wird häufig aneinander vorbei geredet. Jeder möchte einfach nur  seine eigenen Vorstellungen und Ideen, auf  die er sich fixiert hat, durchboxen. Da kommen dann gute Gedanken und Vorschläge eines anderen einfach auf  der  falschen Leitung  an und sie finden nicht zueinander.

Ein Grundproblem im Miteinander der Menschen, im Kleinen wie im Großen, ist gestörte Kommunikation und fehlende Vermittlung. Es fängt bereits in der Familie an. Ohne Vermittlung, ohne Ausgleich zwischen allen Familienmitgliedern geht es nicht. Sonst wird sich mindesten immer einer  unverstanden oder gar benachteiligt fühlen. Mütter sind dabei die besten Vermittler. Die Kinder profitieren davon und kommen mit ihren Anliegen und Bitten oft zuerst zur Mutter, „kannst du Vater mal fragen, ob ich am Sonntag das Auto haben kann?“ Vater ist da sehr konsequent und hätte sicher gute Argumente, nein zu sage. Mutter redet so lange mit ihm , bis er zustimmt. Alle sind zufrieden.

Das ist doch wohl ein Beispiel für gute Vermittlung: Zuhören, reden, Argumente austauschen, die Argumente des anderen zu verstehen suchen, Kompromisse finden, dem anderen auf Augenhöhe begegnen, nicht von  oben herab, nicht fordernd agieren, den richtigen Ton  finden. Wenn das einer Mutter gelingt, warum klappt das in unserer Gesellschaft, in Politik, Kirche und Wirtschaft so selten oder gar nicht mehr?

Kaum eine Veränderung oder ein neues  Gesetz  wird doch von den Politikern so vermittel, dass es alle verstehen und akzeptieren können. Und schon wird alles buchstäblich in der Luft zerrissen und Konfrontation aufgebaut. Nicht die Gesetze sind schlecht, sondern sie werden schlecht oder gar nicht vermittelt. Wer möchte sich heute noch etwas einfach überstülpen lassen? So ist es auch mit alten Traditionen und Werten. Diese müssen für die heutige Zeit vermittelt werden, um ihre bleibende Gültigkeit verständlich zu machen. Nicht alles aber, was alt ist, ist deshalb auch gleich veraltet. Und nicht alles Neue ist deshalb gleich gut und richtig. Da ist Klugheit gefragt, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wer unnützen Streit  und Konfrontation vermeiden will, muss also schon im Vorfeld an eine gute und sachgerechte Vermittlung  denken und diese mit großer Geduld betreiben, damit auch der letzte Skeptiker überzeugt wird. Wo so ein Konsens gefunden wird, gibt  es hinterher keine harsche Kritik. Dabei macht sicher auch hier der Ton die Musik. Das ist bekanntlich  ein Riesenproblem in den Auseinandersetzungen und Debatten. Die unendlichen Verbalatacken in aller Öffentlichkeit lenken doch eher vom Kern des Geschehens ab.

Unsere Gesellschaft hat wenig Probleme beim Finden von Lösungen, auch von schwierigen und sehr komplexen. Das große Problem ist, dass die guten Lösungen nicht als solche auch allen vermittelt werden können. Wer nicht weiß, was der andere wirklich meint, ist verunsichert und eher skeptisch. Wer  weiß, was dahinter steckt?

Der "Dienst der Vermittlung", wie ich ihn hier einmal bezeichnen möchte, ist gewiss nicht leicht, aber in allen Bereichen des Zusammenlebens von Menschen dringend nötig. Es gibt in unseren Tagen riesige Probleme in unserem Land und darüber hinaus. Global denken und handeln ist das erklärte Ziel. Das muss aber auch allen Beteiligten kompetent und verständlich vermittelt werden, sonst wird daraus nichts. Wer hierbei überheblich denkt und handelt, in der Meinung, die anderen verstehen  es eh nicht, der schafft keine Verbindung, kein Miteinander, sondern der baut Barrieren auf und kappt lebensnotwendige Leitungen.  „Tote Leitungen“ nützen aber keinem und lösen keine Probleme. Kein Anschluss unter dieser Nummer!


 

Freitag, 7. August 2015


Abstand halten …


das ist ein ganz wichtiger Grundsatz im Straßenverkehr  und gilt als eine ernst zu nehmende Regel auch in anderen Bereichen des Alltags. Das wissen wir alle. Wir werden immer wieder darauf hingewiesen. Die Umsetzung hingegen sieht oft ganz anders aus. 

Dichter Verkehr auf der Autobahn, eine PKW-Fahrer drängelt sich von der rechten Fahrspur zwischen zwei andere Fahrzeuge. Der Sicherheitsabstand wird knapp, plötzlich stockt der Verkehr auf dieser Fahrbahn, die Bremslichter leuchten auf, es wird eng, es kracht. Gott sei Dank, nur ein Blechschaden! Das ging noch einmal gut. Hätte schlimmer ausgehen können.

Es kommt eben immer auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand an. Nur so kann gut und richtig reagiert werden und das nicht nur im Straßenverkehr. Darum finden wir diesen Hinweis und entsprechende Schilder auch an anderen sensiblen Orten in unserem Alltagsleben. Vor Bankschaltern und Automaten ebenso wie in der Apotheke, steht der Hinweis: „Diskretion – bitte Abstand halten“.

Wer möchte denn schon gern beim Eingeben seiner PIN, dass ein anderer ihm über die Schulter schaut? Auch muss der nächste Kunde nicht gleich erfahren, welches Medikament ich gerade in der Apotheke abhole. Es gibt viele Lebensbereiche und Situationen, bei denen Diskretion und der richtige Abstand ganz wichtige Voraussetzungen sind für ein störungsfreies Miteinander der Menschen. Wo dies nicht akzeptiert wird, kann es schnell zum "Crash" kommen.

Abstand und Diskretion dienen der eigenen, besonders der seelischen Gesundheit.  Wir müssen nicht alles und jeden ganz nah an uns heran lassen. Ein gesunder Selbstschutz ist da von Nöten: „Das geht mir jetzt einfach zu nah, das verkrafte ich nicht!“ Jeder braucht den räumlichen Abstand zum anderen und ebenso einen inneren Abstand, um eine Situation richtig einzuschätzen, zu bedenken und zu bewältigen. In bestimmten Zeiten ist es sehr wichtig, einem anderen Menschen, um den wir uns ehrlich sorgen, nicht alles abnehmen zu wollen, sondern ihm seinen Freiraum und seine Entscheidung zu lassen. Allzu große Nähe kann für den anderen nämlich eher erdrückend wirken. Die Ausgewogenheit zwischen Distanz und Nähe sollte stets gewahrt sein.

Wenn mir jemand ständig mit  seinen Problemen, den kleinen und großen Sorgen oder auch mit seiner Euphorie auf die „Pelle rückt“, dann wird das einfach nur unerträglich. Auch die übertriebene Fürsorge eines anderen, kann mir die Luft zum Atmen und zur eigenen, freien Entscheidung nehmen. Zu große Nähe schlägt dann ganz leicht ins Gegenteil um. Dann wundert es nicht, wenn der andere genervt und entschieden auf Abstand geht. Danach folgt oft  der verräterische Satz: “Ich hab es doch nur gut gemeint“. Wissen wir doch inzwischen, das dieses „gut gemeint“ oft das Gegenteil von „gut“ ist.

Also nicht nur im Straßenverkehr, in Banken und Apotheken oder in anderen sensiblen Bereichen in unserem Leben ist es wichtig, Diskretion zu wahren und Abstand zu halten, sondern ganz besonders im Umgang mit anderen Menschen. Hier ist es gewiss nicht immer leicht, das richtige Maß zu finden zwischen einer kühlen Distanziertheit und einer anbiedernden Nähe. Menschen mit  einem übertriebenen „Helfersyndrom“ sind leicht in der  Gefahr, sich überall einzumischen und dabei ihre Grenzen zu überschreiten. Sie haben es nicht gelernt, dem anderen Raum zum eigenen Handeln zu lassen. Selbst auf die Gefahr hin, dass er sich anders entscheidet. Kollisionen sind da unvermeidlich. Menschen, die von vornherein auf Abstand gehen, werden in ihrer unterkühlten Distanz ebenso wenig der jeweiligen Situation gerecht. Beide Extreme verfehlen ihr eigentliches Ziel.

Das Ziel ist immer das Wohl des anderen Menschen. Einzig und allein um ihn geht es. Mein Ich und meine Person spielen dabei stets eine untergeordnete Rolle. Es gilt zu erkennen, was für den anderen gut und wichtig ist. Braucht er meine Nähe, die ihm gut tut oder ist es der diskrete Abstand, der ihm ermöglicht durchzuatmen und er selbst zu sein?

Die Aufforderung: „Abstand halten“ ist also nur die halbe Wahrheit. Richtiger muss es  wohl heißen: „Haltet den richtigen Abstand und sucht stets das richtige Maß zwischen Distanz und Nähe.“ 



Samstag, 1. August 2015


Der alte Mongole    

Der alte Mongole, den wir  in der Wüste Gobi trafen, ist mir noch lange im Gedächtnis geblieben. Sein  wettergegerbtes Gesicht und die tiefen Falten, die es buchstäblich durchfurchten, machten es ausgesprochen markant. Der Blick war ruhig und er schien alles, was das Leben und der harte Alltag in der Wüste mit sich bringen, mit großer Gelassenheit zu nehmen.

Genau wie wir wartete er am Brunnen darauf, seine Wasserkanister zu füllen. Sein Kamel war mit einigen davon beladen und wartete ebenso geduldig. Der Brunnen war eher ein  einfaches Loch in der Erde, das für Fremde kaum zu finden war. Mit einer alten Bohle und einem schweren Stein wurde es immer wieder verschlossen.

Am Brunnen gilt eine alte mongolische Regel: „Zuerst die Tiere!“ Wenn sie verdursten, kann auch der Mensch in der Gobi nicht gut überleben. Darum musste der alte Mongole, genau wie wir auch, warten bis die Kamele und Ziegen, die zur Tränke gekommen waren, ihre Ration Wasser bekommen hatten. Eine junge Mongolin mit ihrem kleinen, etwa vierjährigen Kind hatte die Tiere zum Brunnen geführt und war gerade dabei den Einer an einem Seil die etwa vier Meter hinunter zu lassen. Der gefüllte Einer musste dann mühsam wieder nach oben befördert werden. Ein zweites ungeschriebenes Gesetz am Brunnen heißt, dass jeder mit anpacken muss. Natürlich krempelten auch wir die Ärmel hoch und zogen etliche Eimer mit dem kostbaren Nass aus der Tiefe nach oben. Nachdem die Tiere getränkt waren, konnten auch wir unsere Kanister füllen. Das Wasser musste nun einige Tage reichen, bis wir wieder einen Brunnen fanden.

In der wasserarmen Wüste ist es ganz entscheidend, solche Brunnen zu finden. Das erfordert schon eine gewisse Ortskenntnis. Da konnten wir uns auf unsere mongolischen Begleiter verlassen, was sonst nicht immer der Fall war. Das aber ist ein andere Geschichte. Am Brunnen und bei der Begegnung mit den Menschen vor Ort erhielten wir gute und wichtige Hinweise von ihnen.

Die Nomaden leben  mit ihren Herden noch heute weitab von den größeren Siedlungen, die als Verwaltungs- und Versorgungsstützpunkte dienen. Sie ernähren sich fast ausschließlich von den Produkten ihrer Tiere. Im Sommer gibt es vorwiegend Milchprodukte, den bekannten, salzigen Milchtee, Käse, Jogurt und die legendäre gegorene Stutenmilch. Brot und Gemüse sind eher selten. Darum war ein Brot, das wir der Frau am Brunnen geschenkt haben, für sie eine willkommene Abwechslung, für die sie sich vielmals bedankte. Es ist nämlich üblich, sich bei solchen Begegnungen kleine Geschenke zu machen.

Auch der alte Mongole hatte inzwischen seine Kanister mit Wasser gefüllt und sie wieder auf seinem Lasttier verstaut. Vor ihm lag noch ein recht langer Weg. Seine Jurte konnten wir geradeso in der Ferne erblicken. Weites Land und lange Wege. Rau und unwirklich ist das Leben der Nomaden in der Wüste Gobi. Es erfordert Geduld und Ausdauer, und es prägt sich nicht nur tief in ihre Gesichter ein, sondern es wird noch ganz vom Rhythmus der Natur bestimmt. Hier spürt man deutlich, dass die Menschen sehr aufeinander angewiesen sind und dass sie es auch genau wissen. Trotz der großen Entfernungen, kennt man sich und besucht sich. Auch wir wurden ganz selbstverständlich immer wieder in die weit verstreut liegenden Jurten eingeladen. Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Der Fremde, der Gast ist herzlich willkommen. Wir selbst waren dort die Fremden, die Ausländer, aber auch die Gäste. Vieles war für uns fremd und manches auch befremdlich und gewöhnungsbedürftig, aber wir haben uns den Sitten und Gebräuchen angepasst. Es gelten nun mal in anderen Ländern auch andere Regeln, die wir uns aber stets bemühten zu befolgen.

Die Regeln, Sitten und Gebräuche verändern sich in der heutigen Zeit auch dort rasant. Das alte mongolische Reitervolk ist heute schon weithin auf fernöstliche Motorräder und LKWs umgestiegen. Neben den Jurten stehen große Satellitenschüsseln und ermöglichen einen Blick in die weite Welt. In den oft armseligen Jurten liefen stets die Fernseher, diese wurden mit Batterien betrieben und die Bilder wecken bei der Jugend Träume und Hoffnungen. Deshalb drängen so viele junge Leute in die Hauptstadt Ulan Bator, um Anteil zu haben am verlockenden, fremden Lebensstil, auch wenn es dann oft ganz anders kommt.

Den Gleichmut und die Geduld des alten Mongolen findet man inzwischen immer weniger. Was ihm sein Leben lang vertraut und wichtig war, löst sich mehr und mehr auf. Zurück bleibt die Erinnerung an einen alten Mann mit seinem zerfurchten und wettergegerbten Gesicht, das für mich so beeindruckend und geheimnisvoll war, wie die Wüste Gobi selbst.