Dienstag, 30. Dezember 2014

                


Auf der Suche nach dem Glück

Zum Jahreswechsel werden wieder unendlich viele Grüße und Wünsche ausgetauscht. Die Menschen wünschen sich vor allem Glück im neuen Jahr. Was ist aber dieses Glück?

Gibt man in der bekannten Suchseite „google“ im Internet das Wort Glück ein, so werden auf einen Schlag über 77 Millionen Ergebnisse angezeigt. Doch wer sich die Mühe macht, auch nur einige davon nachzulesen, wird bald erkennen, dass es keine allgemein gültige Antworten darauf gibt, was nun wirklich Glück ist. Das Glück ist wohl genauso vielgestaltig wie die Menschen selbst. Es kommt sogar vor, dass das Glück des einen zum Unglück für den anderen werden kann.

Und trotzdem suchen die Menschen das Glück, ihr Glück, und jagen ihm rastlos nach. In der Fabel vom Seepferdchen wird dieser Aspekt der Glückssuche beleuchtet. Auch wenn ich nun die Zahl der Ergebnisse für den Begriff Glück noch um eins erhöhe, möchte ich gern diese kleine Geschichte hier aufschreiben.

Es war einmal ein Seepferdchen, das eines Tages seine sieben Taler nahm und in die Ferne galoppierte, sein Glück zu suchen. Es war noch gar nicht weit gekommen, da traf es einen Aal, der zu ihm sagte: „Psst. Hallo, Kumpel. Wo willst du hin?“ „Ich bin unterwegs, mein Glück zu suchen“, antwortete das Seepferdchen stolz. „Da hast du’s ja gut getroffen“, sagte der Aal, „für vier Taler kannst du diese schnelle Flosse haben, damit kannst du viel schneller vorwärtskommen.“ „Ei, das ist ja prima,“ sagte das Seepferdchen, bezahlte, zog die Flosse an und glitt mit doppelter Geschwindigkeit von dannen. Bald kam es zu einem Schwamm, der es ansprach: „Psst, Hallo, Kumpel. Wo willst du hin?“ „Ich bin unterwegs, mein Glück zu suchen“, antwortete das Seepferdchen. „Da hast du’s ja gut getroffen“, sagte der Schwamm, „für ein kleines Trinkgeld überlasse ich dir dieses Boot mit Düsenantrieb; damit könntest du viel schneller reisen.“ Da kaufte das Seepferdchen das Boot mit seinem letzten Geld und sauste mit fünffacher Geschwindigkeit durch das Meer. Bald traf es auf einen Haifisch, der zu ihm sagte: „Psst. Hallo, Kumpel. Wo willst du hin?“ „Ich bin unterwegs, mein Glück zu suchen“, antwortete das Seepferdchen. „Da hast du’s ja gut getroffen. Wenn du diese kleine Abkürzung machen willst“, sagte der Haifisch und zeigte auf seinen geöffneten Rachen, „sparst du eine Menge Zeit.“„Ei, vielen Dank“, sagte das Seepferdchen und sauste in das Innere des Haifisches und wurde dort verschlungen. Die Moral dieser Geschichte: Wenn man nicht genau weiß, wohin man will, landet man leicht da, wo man gar nicht hin wollte.

So ist es wohl. Das schnelle Glück gibt es nicht und kaufen kann man es schon gar nicht. Auch nicht für alles Geld der Welt. Glück ist ein schillernder Begriff, der nicht zu fassen ist. Wenn es etwas Derartiges gibt, dann sind es eher Funken des Glücks, kurze Glücksmomente, die wir weder machen noch festhalten können. Sie werden uns bestenfalls von anderen geschenkt. Lassen wir uns also nicht von aalglatten und schwammigen Versprechen anderer verführen, die das Glück für billiges Geld anbieten. Denn dann landen wir, wie das Seepferdchen, schnell im Maul der Haie, die natürlich nur unser Bestes wollen.

(Ich wünsche allen meinen Lesern für das neue Jahr viele, solche Glücksmomente und bedanke mich hiermit für das Interesse an meinen Texten.)



Montag, 22. Dezember 2014


Der kleine Muck – nur ein Märchen


„Mach das Märchenbuch zu“, sagte meine heran-wachsende Nichte vor Jahren immer zu mir, wenn ich begann etwas von früher aus meiner Jugend zu erzählen. Sie wollte die alten Geschichten einfach nicht hören, sie hatten wohl nicht viel mit ihrem Leben zu tun, wie sie meinte.
Märchen haben bei den meisten Menschen keinen großen Stellenwert. Es sei denn bei den ganz Kleinen oder bei älteren Leuten, die sie wieder entdeckt haben, weil sie die Schönheit der Märchen und die tiefere Wahrheit darin schätzen gelernt haben. Die anderen tun sie leicht als Kinderkram ab. Für sie ist bestenfalls in ihrem Sprachgebrauch einmal ein schönes Wochenende „märchenhaft“, weil es sie der Realität des Alltags enthoben hatte und sie sich wie im „siebenten Himmel“ gefühlt haben.
Und genau das ist es ja gerade, was die Märchen tun. Sie führen uns auf ihre Weisen durch das Leben. In ihnen werden die Wünsche und Hoffnungen aller Menschen sichtbar. 

In einem alten Märchenbuch aus meinen Kindertagen wird von dem Märchenschreiber Wilhelm Hauff vom kleinen Muck erzählt. Muck ist nicht gerade vom Schicksal verwöhnt. Er ist kleinwüchsig und hat einen viel zu großen Wasserkopf, den der riesige Turban noch größer erscheinen lässt. Die Leute verlachen ihn und seine Herrschaft ist sehr streng zu ihm. Nach einem Missgeschick in seinem Dienst befürchtet er harte Strafen. Er will lieber fliehen. In einer Kammer des Hauses entdeckt er überdimensionale Pantoffeln und ein kleines Stöckchen mit einem Knauf. Für seine Flucht nimmt er beides mit. 

Erst später merkt er, was es mit den Pantoffeln auf sich hat. Mit ihnen kann er sogar fliegen. Seine ungewöhnliche Schnelligkeit macht ihn zum hochgeschätzten Boten des Königs und damit erfährt er die Missgunst der anderen Höflinge. Mit seinem Stöckchen kann er verborgene Schätze finden und er wird dadurch reich. Doch der Neid der anderen ist groß, sie bezichtigen ihn des Diebstahls. So muss er wieder einmal  schleunigst die Stadt verlassen. Unterwegs findet er einen Feigenbaum, wenn jemand von seinen Früchten isst, dann wachsen ihm regelrechte Eselsohren und eine lange Nase.

Von diesen Feigen ließ der kleine Muck den treulosen König und seine Günstlinge essen, als er verkleidet als hoch gelehrter Weiser, unerkannt in die Stadt und den Palast gelangte. So strafte er die Verleumdung und alle ungerechte Behandlung, die er hier erfuhr. Noch ehe der König begriffen hatte, dass er für sein schändliches Verhalten zeitleben mit hässlichen Eselsohren gestraft wurde, war der kleine Muck auch schon verschwunden. Fortan lebte dieser in großem Wohlstand aber zurückgezogen von den Menschen, denn er hatte sie alle kennen gelernt und durch seine Erfahrungen mit ihnen war er weise geworden.

Der kleine Muck war wie so viele Menschen auf der Suche nach Glück, Anerkennung und Frieden, aber er fand nur Unrecht, Neid, Missgunst und Lüge am Königshof der Welt. Dort wo die Mächtigen herrschen, werden andere unterdrückt und verraten. Die Aufrichtigen und Ehrlichen aber ziehen immer noch den Kürzeren. „Man muss mit den Wölfen heulen, die Fahne nach dem Wind drehen“, das ist dort ein ungeschriebenes Gesetzt zum  Erhalt der eigenen Macht. Lügen, Korruption, hinterhältige Verleumdungen, Hetzkampagnen  und Diffamierungen sind dabei nicht selten. Wer zwischen diese Mahlsteine gerät, ist kurz über lang verloren. Und das ist fürwahr kein Märchen, das ist selbst in unserer Zeit noch so.

Im Märchen vom kleinen Muck erhielten alle diese Übeltäter ihre wohl verdiente Strafe und mussten mit den großen Eselsohren herumlaufen. So waren sie öffentlich zeitlebens gebrandmarkt. Leider nur ein Märchen?!

Da möchte ich gern wieder an Märchen glauben, in denen das Böse bestraft wird und das Gute siegt. Und ich sehe schon ganz genau in einem aktuellen Bericht der Tagesschau all die Mächtigen und Großen mit riesigen Eselsohren und langen Nasen gestraft über den Bildschirm flimmern. Weg wäre ihr überhebliches Grinsen, ihr permanentes Geschwafel und ihr zur Schau gestelltes Gehabe.

Und Sie können mir glauben, es sind gewiss viel mehr als Sie und ich meinen und für möglich halten. Da würden nicht einmal die Feigen einer ganzen Ernte reichen!


Freitag, 19. Dezember 2014


Informationsflut

Die Briefkästen an den Wohnungen und Häusern fassen die Flut an Zeitschriften und Werbeprospekten schon längst nicht mehr. Da helfen auch keine Aufkleber: „Bitte keine Werbung“. Woche für Woche, Tag für Tag flattern neue, bunt bedruckte Papiermassen ins Haus und landen auf den Straßen und in den Papiertonnen. Viele Packen an Werbematerial enden noch verschnürt in der blauen Tonne oder werden buchstäblich vom Winde verweht. Die Überfülle der Informationen macht eher hilflos und so manchen ärgerlich.

Es ist aber nicht nur diese Flut an bedrucktem Papier, sondern die damit verbundene Informationsflut überhaupt, denn auch die elektronischen Briefkästen sind übervoll mit allen möglichen und unmöglichen News. Massenhaft werden diese Meldungen in Wort und Bild innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde durch den Äther rund um unseren Globus gejagt. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und andere steigern diese Flut noch ins Unermessliche und ergießen sich über die Menschen. 

Ein rastloses Rennen und Hetzen bestimmt Markt der Medien. Keiner kann beim besten Willen die angesammelten Informationen mehr erfassen und schon gar nicht korrekt einordnen und verarbeiten. So ist es auch bei den Endverbrauchern, den Lesern, Hörern oder Zuschauern. Vielleicht ist das auch gar nicht gewünscht. Jeder betrachtet  die einzelnen Informationen unter seinem ganz speziellen Blickwinkel und zieht daraus seine persönlichen Schlüsse. Und das ist natürlich sehr subjektiv. Zudem hat ja bereits der Autor des Textest oder des Bildes eine Vorauswahl getroffen und seine eingeengte Sicht weitergegeben. Diese Subjektivität gesteht aber keiner gern auch  den anderen zu, jeder hält seine Ansicht für absolut objektiv und richtig, die der anderen dagegen nicht. Ein regelrechter Kampf um die "Meinungshoheit" ist in den Medien und den Netzwerken ausgebrochen. Dabei kommt es eher zu einer Desinformation als zu einer soliden Berichterstattung und Information.

Dabei entstehen Fronten an allen Enden der medialen Welt. Jeder sucht sich sofort Verbündetet, die seiner selektiven Meinung folgen und ihre nicht immer qualifizierten Kommentare dazu abgeben. Und  schon gehen Tausende auf die Straße und demonstrieren für ihre Sicht, genau wie die anderen als Gegendemonstranten für ihre Sicht demonstrieren. Jede Seite ist fest davon überzeugt, dass ihre Anliegen und ihre Ansichten genau die richtigen sind, die anderen Meinungen aber a priori mehr als falsch sind. Das wiederum ist ein willkommener Anlass für viele Presseleute und Politiker sich dafür oder dagegen, je nach Stimmungslage, in immer schärferen Tönen auszusprechen und sich dadurch selbst zu profilieren.

Auf die Inhalte und die Anliegen der Menschen kommt es dann gar nicht mehr an. In schlimmer Weise werden Andersdenkende diffamiert und schändlich beschimpft. Von der sonst viel gerühmten Toleranz keine Spur! Die vorgetragen Probleme und die Ängste werden missachtet und einfach abgetan. Wobei es doch viele der heutigen Probleme,  bei einer korrekten und eindeutigen Kommunikation von Seiten der Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft, überhaupt nicht gäbe.

Zu viele „Möchtegernfachleute“ meinen, alles zu wissen, sogar besser zu wissen als die anderen und sie  meinen ernsthaft, zu allem und jedem ihren Kommentar dazu geben zu müssen. Aus diesem Grund wird die nebulöse Wolke der Meinungen, nicht des Wissens, immer größer und die Verwirrung komplett. 

Auch in Zukunft werden wohl, nicht nur die Briefkästen und die Kanäle der Rundfunk- und Fernsehsender rund um die Uhr mit oft diffusen Meldungen geflutet, sondern auch die Hirne und Herzen der Menschen. Hauptsache die Quote stimmt. Was das mit anderen macht, ist dabei unerheblich!  Darum mein Rat, öfter mal abschalten!!






Samstag, 13. Dezember 2014


Sehnsucht nach  Licht

Die Tage im Monat Dezember werden immer noch kürzer. Nun ja, das stimmt zwar nicht ganz, aber wir haben alle das Gefühl, dass es so ist. Nicht die Tage werden kürzer, sondern es sind immer weniger Stunden am Tag, an denen es hell ist oder gar die Sonne sich sehen lässt. Trübe Tage, lange Nächte. Bereits am späten Nachmittag wird es jetzt schon dunkel. 
Die lange Dauer dieser Dunkelheit wirkt auf viele Menschen deprimierend und macht sie lustlos. Ihre Energie und ihre Leistungsfähigkeit lässt schnell nach. Eine große Müdigkeit lähmt auch so manche Aktivität. Selbst nach draußen mag man nicht so gerne gehen, denn es ist nass und kalt, einfach ungemütlich. Zudem ist alles düster und kahl in dieser Jahreszeit.

Die Sehnsucht der Menschen nach Licht und Wärme wächst und ist überall spürbar. Gehe ich  durch die dunklen Straßen der Stadt, dann schaue ich mir gern die erleuchteten Fenster der Häuser an. Balkone und Fassaden schmücken jetzt kleine Lichterketten, in den Vorgärten stehen beleuchtetet Büsche und Bäume. Sterne leuchten in den Fenstern und vor den Eingängen mancher Geschäfte sind Laternen mit dicken brennenden Kerzen aufgestellt. Auf dem Weihnachtsmarkt duftete es nicht nur köstlich nach Glühwein und gebrannten Mandel, sonder überall flimmern bunte Lichter.

All diese Lichter sind kleine Hoffnungszeichen in der Dunkelheit. Sie bringen Helligkeit und Wärme. Und das nicht nur in den Häusern und Straßen, sondern auch in den Herzen der Menschen. Gerade darum geht es doch, dass wir nicht die Hoffnung verlieren und vor dem Dunkel resignieren. Dass die Tage nach Weihnachten wieder länger und heller werden, wissen wir ziemlich genau, aber es gibt eine andere Dunkelheit, die viel mehr ängstigt. Sie erfüllt die Menschen mit Sorge und macht ihre Herzen schwer.   

Die häufigen Nachrichten von Gewalt, Hass, Krieg und Terror legen sich wie dunkle Schatten auf die Seelen der Menschen. Düstere Visionen werden an die Wand gemalt und Ängste geschürt. In einer globalen und medialen Welt dominieren oft die dunklen Seiten das gegenwärtige Geschehen. In der Palette dieser „Bildermaler“ scheint es keine hellen Farben mehr zu geben. Oft gibt es nur noch schwarz oder weiß auf dem Markt der Meinungen. Die Zwischentöne, die das Leben erst ausmachen, sind verschwunden. Es fehlt in unseren Tagen oft an Farbe, Licht und Herz. Konfrontation statt Kooperation bestimmt die Diskussionen. So mancher „Unheilsprophet“ und „Schwarzseher“ gibt dabei den düsteren Ton an.

Wäre es nicht besser, ein kleines Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen, wie es ein chinesisches Sprichwort sagt? Denn dass viele kleine Lichter eine übermächtige Dunkelheit vertreiben können, hat doch der „Herbst 89“ gezeigt. Viele kleine Kerzen, die die Menschen entzündeten, wurden zu einem Lichtermeer, vor dem letztendlich die Dunkelheit kapitulieren musste. Doch das aber geschieht nicht alle Tage und es muss schon Vieles zusammenkommen, damit es geschieht.

Kleine Lichtblicke im Alltag, die können wir uns viel leichter und öfter schenken. Ein freundliches Lächeln und ein herzliches Dankeschön für einen anderen, zaubern schnell ein Leuchten auf sein Gesicht und vertreiben so manche trübe Gedanken.






Mittwoch, 3. Dezember 2014


„Es war einmal“  oder  "Die Gans, die nicht sterben musste"

Das ist wieder einmal so eine Geschichte, die mit den Worten beginnen könnte: „Es war einmal.“ Sie liegt nämlich schon viele Jahre, inzwischen Jahrzehnte, zurück. Es war noch die Zeit, in der man stolz seinen Trabant fuhr und überglücklich war, wenn man nach gut 13 Jahren Wartezeit, so ein Gefährt sein eigen nennen konnte. Mit so einer  „Rennpappe“, wie der Trabi auch liebevoll ironisch genannt wurde, ging es dann in die „weite Welt“ hinaus. Na ja, nicht ganz soweit. Es gab nur eine Richtung, immer nach Osten, denn an der Westgrenze des Landes war ja bekanntlich an der Mauer bzw. am Stacheldrahtzaun abrupt Schluss. 
In diesen Zeiten sollten die  „fürsorglich behüteten“ DDR-Bürger nämlich auch vor jeglicher „Schmutz- und Schundliteratur“ und anderen "westlichen" Einflüssen bewahrt werden, wie die Staatsführung meinte. Genauso wie die DDR-Bürger nicht einfach in Richtung Westen über die Grenze durften, so durften auch Bücher und andere Druckerzeugnisse nicht bei uns einreisen. Nun, das stimmt auch nicht ganz. Über das Staatsgebiet der DDR hinweg, egal ob mit dem Flugzeug oder im Transitverkehr, konnten Bücher und Zeitschriften jedoch unbehelligt bis nach Polen reisen. Und das war gut so.

Dort, in Polen, gab es in einem kleinen Dorf im Kreis Neiße die alte Tante der Mutter eines meiner Kommilitonen. Diese erhielt eines Tages ein Paket aus Bielefeld.  Mit dem Inhalt wusste  sie nicht viel anzufangen, denn es waren nämlich nur Bücher. Diese hatten unbeschadet die Grenze überschritten, oder vielmehr überflogen. Egal, sie waren jedenfalls in Polen sicher angekommen. Es waren die Bücher, die uns Freunde aus dem Westen besorgt hatten. Nun hatten wir nicht nur ein Kommunikationsproblem mit der Tante in Polen, sondern auch das Problem, die „verbotenen Bücher“ zurück in die DDR zu schmuggeln. 

Die schwierige Verständigung mit der Tante hatte zur Folge, dass wir, mein Freund Matthias und ich, mit dem neuen Trabant meiner Schwester plötzlich und unerwartet in dem kleinen Dorf bei der Tante auftauchten. „Herr Je, Jungchen, hätte ich gewusst, dass ihr kommt, hätte ich doch die Gans geschlachtet“, war ihre Begrüßung. Uns lief gleichzeitig ein Schauer über den Rücken und der Schweiß von der Stirn bei über 30° Grad Celsius im Monat Juli. Gott sei Dank, kein Gänsebraten bei dieser Hitze. Das hätte noch gefehlt. So hatte  letztlich ein Kommunikationsproblem der amen Gans das Leben gerettet. Wenn ich jetzt daran denke, glaube ich zwar nicht, dass die Gans das nächste Weihnachtsfest heil überlebt hat., aber fürs erste hatte sie es überstanden. Sie schnatterte fröhlich weiter auf ihrem Hof und freute sich sichtlich des Lebens. 

Für uns zwei blieb aber noch das große Problem, wie wir die Bücher über die Grenze in die DDR bekommen? Doch wir hatten einen Plan! Wie gesagt, wir waren ja mit einem Trabant unterwegs. Das war ein Auto, an dem man noch selbst herum schrauben konnte. So lösten wir ohne große Schwierigkeiten die Innenverkleidungen an den Türen und den Seitenwänden und konnten dort unsere, gut in Plastetüten verpackten Bücher, verstauen. Zwar klebte alles ganz fürchterlich, denn der Wagen war zwecks Korrosionsschutz vor kurzem erst „hohlraumkoserviert“ worden. Eine gängige Methode, die den Fahrzeugen in Ostdeutschland eine lange Lebensdauer verleihen sollte. Diese war auch sehr notwendig bei den enormen Beschaffungsschwierigkeiten damals.

Kurz um, als alles wieder gut verschraubt war, verabschiedeten wir uns von der Tante und der schnatternden Gans, die nicht sterben musste. Wir fuhren mit klopfenden Herzen in Richtung DDR-Grenze bei Zittau. Uns stand der Angstschweiß auf der Stirn, als wir an den Schlagbaum kamen. Aber auch die Zöllner schwitzten bei immer noch mehr als 30° Grad Celsius und wollten schnell wieder in den Schatten. So fielen unsere schweißtriefenden Gesichter gar  nicht weiter auf. Glück gehabt, es war geschafft. Wir atmeten erleichtert auf. Das Abenteuer war geschafft und ich bin von Herzen froh, dass diese Zeiten nun vorbei sind.
„Das war einmal“, und das heißt, ich kann und will mir nicht vorstellen, dass sich heute und in Zukunft vernünftige  Menschen so eine geteilte Welt zurück wünschen.


Samstag, 22. November 2014


Was soll ich nur anziehen?

Er und sie wollen verreisen. In einer Stunde fährt der Zug. Sie steht aber immer noch vor ihrem vollen Kleiderschrank und sucht die passende Kleidung für die Reise. Und nun wird es schwierig. Das eine ist zu warm, das andere zu dünn, das eine zu kurz, das nächste zu lang. Irgendwie ist nichts das Richtige, kein Stück will farblich oder vom Schnitt her zum anderen passen. Er drängt sie ungeduldig immer wieder zur Eile. Schließlich wartet der Zug  nicht auf sie. Sie aber stöhnt und jammert: „Was soll ich nur anziehen? Ich kann mich einfach nicht entscheiden!“ Er bleibt ruhig, er kennt sie ja. Die Zeit vergeht, beide werden zunehmend nervöser und so ergibt ein Wort das andere. Letztendlich ist der Krach da und der Zug ist weg.

Wer sich nicht entscheiden kann, über den entscheiden halt andere. In unserem Fall ist es der Fahrplan. Das ist jedoch noch kein Beinbruch. Es fährt gewiss noch ein anderer Zug, wenn nicht gerade wieder einmal gestreikt wird.

Jeder Mensch muss sich täglich und in vielen kleinen aber auch in größeren Dingen entscheiden. Dabei sind so manche Entscheidungen bereits Routine geworden und fallen einem gar nicht mehr auf. Der Tagesablauf wird nicht jeden Tag aufs Neue verändert. Auch nimmt keiner jeden Tag einen anderen Weg zur Schule, ins Büro oder zum Einkaufen. Bei der Programmauswahl im Fernsehen am Abend sieht das schon anders aus. Da braucht es gewisse Kriterien, um sich für die richtige Sendung zu entscheiden oder einfach auszuschalten. Jeder hat dabei zahlreiche  Wahlmöglichkeiten. Viele zappen heute von einem Programm zum anderen. Dabei gehen die Bildsequenzen und Inhalte in rasanter Folge über den Bildschirm. Was kann davon noch den Zuschauer erreichen, wenn eine Information die andere jagt? Sich ein eigenes Urteil über das Gehörte und Gesehene zu bilden, ist von den Machern wohl gar nicht mehr gewünscht.

Ähnlich erscheint heute das Verhalten vieler Zeitgenossen in ihrem persönlichen und beruflichen Alltag. Sie zappen einfach hin und her. Bei Nichtgefallen nächstes Bild, nächster Ort, nächster Job, nächster Mensch und nächster Partner. Diese Unentschlossenheit ist aber nicht nur ein persönliches Problem des einzelnen, nein es tangiert ganz stark andere Menschen, die nicht mehr auf die Verlässlichkeit des andren zählen können. Es ist einfach schwer mit jemanden aus zu kommen, der sich einfach nicht entscheiden kann.

Lehrlinge brechen vorzeitig ihre Lehre ab, weil sie meinen, sich falsch entschieden zu haben oder die Anforderungen nicht erfüllen können oder wollen. Ein neuer Versuch wird gestartet, oft mit genauso  wenig Erfolg. Studenten wechseln mehrmals während ihrer Studienzeit das Studienfach, weil es immer wieder andere Möglichkeiten gibt, sich zu versuchen. Immer wenn es im Leben ernst wird, zeigt es sich, ob ein Mensch entschieden dazu  steht, was er ausgewählt hat.

Sich bloß nicht zu früh festlegen, sich ein Hintertürchen offen halten, man weiß ja nie, ob sich noch etwas besseres findet, das scheint für immer mehr Menschen die Devise zu sein. Sind sie nun "entscheidungsunfähig" oder nur "entscheidungsunwillig"? Ganz egal. Wer sich nicht entscheiden kann, macht es sich und anderen oft sehr schwer. Aber auch sogenannte "Spontanentscheidungen" haben so ihre Tücken. 

Darum gilt es hiebei, zuerst vernünftig abzuwägen, sich nicht drängen zu lassen, lieber noch einmal eine Nacht darüber zu schlafen, dann aber eine begründete Entscheidung zu treffen. Das macht einem wieder den Kopf frei und nimmt das Grummeln im Bauch. Jetzt kann man wieder durchatmen, der Blick geht nach vorn, das Hin und Her ist vorbei. Die Entscheidung ist gefallen, denn die kann einem sowieso keiner abnehmen.  


Dienstag, 18. November 2014


Für alles die richtige Pille


„Der Tag fängt ja gut an, jetzt hab ich auch noch Kopfschmerzen“, klagt sie. Dabei hat sie gerade heute wieder einen an-strengenden Tag mit zwei Prüfungen. Da bleibt der rasche Griff zur Schmerztablette nicht aus. Was soll sie sonst auch tun? Die Klausur vermasseln, weil sie sich vor Kopfschmerzen nicht mehr richtig konzentrieren kann? Nein, da ist so eine Schmerztablette genau das Richtige. Sie lindert den Schmerz und gibt schnell die Leistungsfähigkeit zurück.

Toll, dass es diese gute Möglichkeit gibt, Schmerzen so einfach zu lindern. Natürlich hat dies auch eine Kehrseite, denn in einem zu häufigen und gedankenlosen Gebrauch liegen versteckte Gefahren. Viele Menschen haben den Eindruck, dass es für alles und zu jeder Zeit die richtige Pille gibt. Ich muss sie nur noch einwerfen, wie eine Münze in einen Automaten und schon stellt sich das gewünschte Ergebnis von ganz allein ein.

Beruhigungsmittel, Schlaftabletten, leistungssteigernde Mittel, „Glückspillen“, Schmerzmittel und vieles mehr wird auf diesem sehr einträglichen Markt der Pharmazie vertrieben. Es gibt heute viele Medikamente, mit denen man jeder Zeit ein vermeintliches Wohlbefinden herstellen kann. Immer mehr Menschen gehen davon aus, ihre Schwierigkeiten ohne diese „Pillen“ nicht mehr bewältigen zu können. Wenn aber die Einnahme der Medikamente zur Regel wird, entsteht eine Abhängigkeit. Und das ist nicht nur so dahin gesagt. Etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland sind medikamentenabhängig. Und das sind genau 1,4 Millionen zu viel!

Wie kommt es eigentlich zu diesem Missbrauch von Medikamenten und anderen  viel beschworenen „Wundermitteln“? In unserer heutigen Zeit wird ein gewisser Lifestyle für alle Bereiche des Lebens als absolute Norm vorgegeben. So entsteht für alle  ein hoher Leistungsdruck. Die Werbeikonen werden dabei oft zur Richtschnur für Aussehen und Verhalten. Wer da mithalten will, schafft das nicht mehr ohne Hilfsmittel und die richtigen Pillen.

Schon jüngere Schüler benötigen Präparate, damit sie den Schulstress bewältigen und die hohen Anforderungen erfüllen können. Damit sie am Abend endlich einschlafen, müssen sie Beruhigungsmittel oder gar Schlafmittel einnehmen. Gesund? Gewiss nicht! Ganz krass geht es auf dem Sektor der kosmetischen Mittel zur Sache. Nach dem Motto: „Schönheit kommt von innen“, werden jede Menge Pillen und Dragees dafür beworben. Um den überhöhten Ansprüchen zu genügen, die von der Werbung suggeriert werden, werden dann diese Produkte gekauft und konsumiert. Bleibt der Erfolg aus, wird die Dosis erhöht, bis dann ein Leben ohne Medikamente und teure Pillen gar nicht mehr geht. Der Glaube, auf diese Weise ein glücklicheres und unbeschwerteres Leben zu führen, ist naiv aber wohl ungebrochen. Der kindliche Glaube, es gibt für alles die richtige Pille, lässt die Produktion solcher Produkte auf Hochtouren laufen.

Dabei wird den Verbrauchern permanent suggeriert, jeder kann so weiter leben wie bisher. „Ich will so bleiben wie ich bin!“ oder „Du darfst“, klingt doch sehr verlockend. Du brauchst keinen regelmäßigen Schlaf, dafür gibt es doch die richtige Pille, um am Morgen wieder fit und leistungsstark zu sein. Deine Depressionen sind wie weggeblasen, wenn du schnell zu den „Glückspillen“ greifst. Kopfschmerzen, Übelkeit, kein Problem, da gibt es doch etwas dagegen. Und Dank der großen „Wundersucht“ vieler Menschen floriert das Geschäft und die Kassen klingeln. 

Fachleute sagen längst, Power-Drinks für "Supermänner" und diverse Schönheitsmittel für glänzendes Haar und feste Fingernägel für die "Dame von Welt", gehören eher in den Müll. Vieles davon ist gar nicht  nötig und sogar auf Dauer schädlich, denn nicht die Symptome müssen zuerst beseitigt werden, sondern die Ursachen und die liegen oft viel tiefer.

Damit das Geschäft mit Wunderpillen auch weiterhin klappt, werden uns heute immer neue Defizite und Probleme einredet, die wir ansonsten gar nicht hätten, um sie dann für viel Geld und unter Gefährdung der körperlichen und seelischen Gesundheit mit den dafür angepriesenen Mitteln zu bekämpfen.

Darum gilt auch hier die alte Weisheit: „So viel wie nötig und so wenig wie möglich“. Oder:„Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“.





Freitag, 14. November 2014


 Seilschaften oder Seilschaften?


Wer an der künstlichen Kletterwand oder an einem senkrechten Felsen im Hochgebirge steil nach oben will, der braucht nicht nur eine gute Kondition und eine perfekte Ausrüstung, sondern vor allem eine zuverlässige Seilschaft. Die erst gibt ihm Halt und Sicherheit. Jeder Alleingang kann tödlich sein. Beim Bergsteigen gehört das absolute Vertrauen zu jedem Mitglied der Gruppe dazu, denn jeder unüberlegte und unvorsichtige Schritt gefährdet immer auch die anderen Teilnehmer. Einer hängt also buchstäblich am anderen und  vom anderen ab und alle am sicheren Seil. Das nennt man beim Bergsteigen eine Seilschaft.

Nach der politischen Wende 1989 und in den darauf folgenden Jahren kam dieser Begriff „Seilschaft“ stark in Verruf. Seilschaften wurden nun eher negativ gedeutet im Sinne von alten „Stasiverbindungen“ und politischen Verstrickungen. Diese Seilschaften waren  unmittelbar mit dem Unrechtssystem der DDR leiert. Denn es galt, wer nicht am gleichen Strick der SED zog, der war ein Gegner des Sozialismus, den ließ man einfach fallen. Die Partei zog also die Fäden und knüpfte das Netz von Überwachung und Verfolgung. Sie sorgte durch die entsprechenden Organe für Sicherheit, ja für eine absolute „Staatssicherheit“. Da durfte keiner aus der Reihe tanzen, das konnte ihn und andere gefährden.

So ist das schöne und bildhafte Wort von der Seilschaft sehr schnell in Misskredit geraten und in sein Gegenteil verkehrt worden. Heute bewegen wir uns alle wieder in sogenannten "Netzwerken" und sind miteinander vernetzt. Das gibt ein Gefühl von Verbundenheit. Aber auch diverse Netzwerke haben wohl ihre  dunklen Seiten. Hier können anonyme „Strippenzieher“ die Fäden ziehen und andere unbedarfte Mitmenschen manipulieren und für ihre eigenen Interessen missbrauchen. Aus Gutgläubigkeit oder Unachtsamkeit kann einem da schnell ein „Strick gedreht“ werden. Nicht jedes Netz fängt einen Stolpernden auf und gibt ihm Sicherheit vor dem Sturz in die Tiefe, sondern in manchen Netzen sollen sich andere unentrinnbar verfangen.

Seilschaften und Netzwerke in diesem Sinne sind unheilvolle Verbindungen von Menschen und Systemen, die andere  in undurchsichtige Geschäfte und Handlungen, aber auch in unüberlegte Äußerungen  verstricken, um sie so zu Fall zu bringen. Sich selbst aber geben diese Akteure durch vielfältige Verknüpfungen eine fast absolute Sicherheit. Solche Seilschaften sind oft lebenslange, unheilvolle Verbindungen, die ein schier undurchdringliches Netzt aus Lüge, Betrug, Bestechung und Gewalt zusammen hält. Darum können sich solche Seilschaften oft lange Zeit dem Zugriff der Justiz entziehen.

Gute Seilschaften und tragende Netzwerke sind dagegen für alle transparent und sie werden sich  immer dem Wohlergehen aller verpflichtet fühlen und auf die Schwächsten besonders achten. Das Seil wird zum Halt und nicht zur Fessel. 

Samstag, 8. November 2014


Der Fliegenpilz – ein Pilz, der gar nicht fliegen kann

Wenn Kinder einen Pilz malen, dann malen sie meistens zuerst einen weißen Stängel und darauf einen knallroten Schirm mit weißen Punkten. Fertig ist der Fliegenpilz. Als Glückssymbol ziert sein Bild viele Glückwunschkarten, Geburtstagskerzen, Servietten und anderes mehr. In  vielen Kinderliedern und Märchen hat der Fliegenpilz seinen festen Platz. Für manche Menschen gehört der geheimnisumwitterte Fliegenpilz zum unverzichtbaren Hand-werkzeug von Hexen und Zauberern. 
Was hat es nun aber wirklich auf sich mit seinem sonderbaren Namen und seiner ungebrochenen Faszination?

Eines steht jedenfalls fest, fliegen kann der Fliegenpilz von sich aus nicht. Er ist auch als Fliegenfalle, wie einige meinen, eher ungeeignet. Aus dem Reich der Mythen stammt wohl die Erklärung, der Pilz besitze die Kraft, Menschen fliegen zu lassen. Ja, was vielleicht daher kommt, dass der Verzehr neben einer gehörigen Übelkeit auch einen gewissen Rausch auslösen kann. Dann kann man sich natürlich vieles vorstellen.

Wie es auch sei, für mich gehört der Fliegenpilz zu den schönsten Pilzen, die ich kenne. Weil das andere Menschen auch so sehen, ist er wohl zum Urbild eines Pilzes geworden. Das aber weiß ja bekanntlich schon jedes Kind und malt diesen Pilz mit einem  leuchtend roten Schirm und weißen Punkten in sein Zeichenheft.

Um im Leben aufzufallen und etwas mehr darzustellen, als man ist, muss man sich schon besonders prächtig herausputzen. Bizarre Formen und grelle Farben wecken in der Natur bei Pflanzen und Tieren die Aufmerksamkeit anderer Lebewesen. Warum sollte das bei den Menschen anders sein? Darum legen viele Menschen sehr großen Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Da heißt es dann: „Auffallen um jeden Preis“. Wer möchte schon eine graue Maus sein?

Soviel ich mich auch an der Schönheit und an der Farbenpracht in der Natur erfreuen kann, so frage ich mich doch, was steckt hinter der äußeren Fassade? Ist es vielleicht wie beim Fliegenpilz, der durch sein auffälliges Aussehen sofort die Aufmerksamkeit aller weckt, aber trotzdem ungenießbar ist? Der mir auf keinen Fall gut bekommt und gut tut. Jeder Pilzsammler weiß das natürlich und lässt ihn lieber im Wald stehen.

Es ist doch so, nicht alles und jedes, was einen wohlklingenden Namen hat,  kann auch die Erwartungen erfüllen. Oft trügt doch der Schein. Dann ist mehr Schein als Sein. Frustration und Enttäuschungen sind das Resultat. Der Kenner schaut da lieber etwas genauer hin. Es sind nämlich die inneren Werte bei den Pilzen und genauso bei den Menschen. Auf diese kommt es an. Diese  erst machen sie selbst genießbar und tun uns allen wirklich gut!





Die Trauerweide, die nicht traurig wirkt

Irgendetwas auf diesem Bild passt nicht so recht zusammen. Eine Trauerweide vor einem blauen Himmel mit weißen Wolken und Sonnenschein. Meine Vorstellungen, sind da etwas anders. In mir taucht ein Bild von einer mächtigen Trauerweide mit ihren weit herabhängenden Zweigen an einem dunklen Teich oder am Ufer eines träge dahinfließenden Flusses auf. Dazu ein grauer und trüber Himmel. Ein solch trauriges Bild bestimmt meine Imagination. Dieses hier irritiert.

Vielleicht hat das etwas mit dem eigentümlichen deutschen Namen „Trauerweide“ zu tun. Botanisch heißt dieser Baum salix alba tristis oder auch salix babylonica. Sein Ursprung liegt in den östlichen Breiten dieser Erde.

Einige meinen gar, der Name könnte auf den Psalm 137 zurück gehen, in dem das Schicksal des Volkes Israel im babylonischen Exil beschrieben wird. Dort heißt es: „An den Strömen von Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten. Wir hängten unsere Harfen an die Weiden in jenem Land“.Trauer über den Verlust der eigenen Freiheit und den Tod und das Leid naher Angehöriger bestimmen das Leben des Volkes Israel in der Gefangenschaft. Es lebte dort im Ghetto und unter Repressionen. 40 Jahre lang dauerte das Exil letztendlich.

Trauer hat immer etwas mit Verlust zu tun. Die Trennung von einem Menschen macht andere niedergeschlagen und traurig, großer Schmerz erfüllt sie. Der Mensch lässt den Kopf hängen. Der klare Blick ist getrübt. Alles scheint an Bedeutung verloren zu haben. Die Gedanken gehen zurück an das Vergangene, an das, was einmal war. Die Zukunft erscheint in weite Ferne gerückt, in einen trüben Nebel getaucht, unwirklich  und  unerreichbar.

Haben wir nicht von Vielem im Leben eine vorgefasste Meinung und ein festes Bild? Da irritiert uns natürlich eine Trauerweide, die gar nicht traurig wirkt. Genauso wie ein trauernder Mensch, der uns aber sehr gefasst begegnet. Sollte er nicht mit Tränen überströmten Gesicht und tief gebeugt, in dunkelstes Schwarz gehüllt, daherkommen? Es verunsichert uns zu tiefst, wenn unsere Vorstellungen sich nicht mit der realen Wirklichkeit decken.

Wir schauen oft zu sehr auf das äußere Erscheinungsbild und schließen allzu leichtfertig auf das Innere. Wir meinen zu wissen, wie etwas sein muss oder auch nicht. Trauer und Schmerz sind sehr starke Gefühle. Sie haben eine Außenseite und eine Innenseite und diese gestalten sich bei jedem Menschen sehr unterschiedlich. Es steht keinem von uns zu, das eine gegen das andere auszuspielen und zu bewerten oder gar abzuwerten. Wissen wir denn, aus welchen Tiefen ein Mensch lebt und aus welchem Wurzelgrund er seine Kraft zieht? Auch ein Mensch mit einem offenen und frohen Gesicht kann in seinem Herzen tiefe Trauer tragen, genau wie ein anderer, der in  Tränen fast zerfließt.

Eine Trauerweide muss nicht düster und traurig wirken. Sie ist und bleibt auch im Sonnenschein eine Trauerweide. Ebenso kann ein Mensch, der Trauer in seinem Herzen trägt, gelöst und offen in die Zukunft gehen, denn die Sonnen scheint ja auch für ihn und das Leben geht weiter als manch einer heute denkt.


                                                   


Samstag, 18. Oktober 2014


Rosen – über das Blühen und Vergehen


„Ein Meer von Millionen Rosenblüten offenbart sich den Besuchern in der mehr als 1000 Jahre alten Berg- und Rosenstadt Sangerhausen im Südharz. Hier hat die größte Rosensammlung der Welt, das Europa-Rosarium Sangerhausen, ihren Platz. Die mehr als 8.500 verschiedenen Rosensorten und Arten bestechen durch Formen-, Farb- und Duftvielfalt jedes Jahr aufs Neue…. Gleichzeitig ist das Europa-Rosarium aber auch ein Ort der Besinnung“, so stand es im Prospekt.

Und tatsächlich hat mich der Besuch, an einem schönen Spätsommertag, im Rosarium nachdenklich gemacht.  Wer im sogenannten Rosenmonat Juni diese Ausstellung in ihrer vollen Blütenpracht erlebt, der spürt vor allem die volle Vitalität der Natur, ihre Farbenpracht, das frische Grün der Pflanzen und den betörenden Duft der Blüten. Es ist wie ein Rausch, in den der Besucher hinein genommen wird. Das Herz und die Seele werden in einem weit und stille Freude durchströmt sie.

Ganz anders im Spätsommer, das Bild ist ein völlig anderes. Über die Rosensträucher und die anderen Büsche ist die Hitze des Sommers hinweg gegangen. Die ersten Blätter haben sich bereits verfärbt, manches ist schon verdorrt. Neben den Rosenblüten, die zwar immer noch ihren Zauber ausüben, finden sich bereit verblühte und verwelkte Blüten, die nicht mehr schön sind. Bei allem Bemühen der Gärtner, diese abzuschneiden, ist das  bei dieser enormen Menge an Rosenbüschen einfach nicht zu schaffen. So findet der Betrachter an einem Strauch gleichzeitig die wundervollen Blüten, daneben aber auch die vertrockneten Blüten und sogar noch einige frische Knospen.

Ein ähnliches Erscheinungsbild gibt es im Leben des Menschen. Aber auch hier können sich viele nur schwer damit abfinden, dass das Leben ein Blühen und Vergehen ist, ein Wachsen und Reifen. Doch es gibt weder in der Flora noch im Leben des Menschen einen "ewigen Frühling", den sich so mancher erträumt.  Und es werden Unsummen für Kosmetik und Schönheitsoperationen für diesen Traum ausgegeben. Genau so, wie es nicht zu schaffen ist, alles Verblühte und Verwelkte bei den Rosen abzuschneiden und den Blicken des Betrachters zu entziehen, so ist es auch nicht möglich den Menschen für immer auf jung zu trimmen, trotz vieler oft unglücklicher Versuche.

Wie zu einem Rosenstrauch der Spross, die Knospe, die volle Blüte und auch das Verwelken gehören, so gehören auch zum Menschen die unterschiedlichen Stufen der jeweiligen Lebensalters mit ihren charakteristischen Merkmalen und Ausprägungen dazu. Ganz ehrlich, wer möchte schon gern stets unter Kleinkindern leben, so ein Kindergarten wäre auf Dauer unerträglich. Das Unfertige und Sprunghafte der pubertierenden Jugend nervt auf die Dauer ebenso. Aber ständig von alten Menschen umgeben zu sein, wäre auch eine echte Herausforderung für uns alle. Es kommt auf die Mischung an. Alles hat seine Zeit. Nichts ist besser oder schlechter, es ist nur anders. Diese Veränderungen im Laufe seines Lebens und die Erkenntnis seiner eigenen Vergänglichkeit wahrzunehmen und anzunehmen, ist gewiss nicht immer leicht, aber notwendig. 

Die Akzeptanz der jeweiligen, eigenen Lebenssituation, die Freude über die geschenkte Jugendlichkeit, der Duft der vollen Blüte mitten im Lebens, aber auch die Dankbarkeit für die Reife und die Weisheit des Alters, die machen unser Leben erst aus, denn das eine gäbe es nicht ohne das andere.



Montag, 6. Oktober 2014


Alte Karten – neue Wege


Das Wetter am Sonntag war sonnig, und wir entschlossen uns kurzfristig, einen Ausflug mit einer Wanderung irgendwo in der Dübener Heide zu machen und den Tag zu genießen. Kurzerhand packte ich eine Landkarrte aus diesem Gebiet ein und los ging es. Unterwegs stellten wir aber fest, dass die Wegführung auf der Karte überhaupt nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Straßen waren ausgebaut, Ortsumgehungen waren geschaffen worden, kleine Orte nicht mehr da, ja die Landschaft hatte sich enorm verändert. Da war direkt an der Straße ein großer See, dort wo auf  der Karte noch kleine Orte und trockenes Land zu sehen waren.

Ein erneuter Blick auf die Karte brachte schnell die Lösung. Ich hatte eine Landkarte aus dem Tourist Verlag der DDR, vierte Auflage von 1984 mitgenommen. Wir waren sehr erstaunt, wie sich doch in dreißig Jahren so vieles verändert hatte. Nun möchte ich nicht das oft zitierte Wort von den „blühenden Landschaften“ strapazieren, aber vieles hat sich eindeutig in der vergangen Zeit  zum Besseren gewandelt. Jeder der die Bitterfelder Gegend kennt, wird das bestätigen.

Meine Erkenntnis war aber eine ganz andere. Ist es nicht in unserem persönlichen Leben, in Kirche und Gesellschaft oft so, dass veraltetet Karten, Pläne und Maßstäbe  benutzt werden? Wen wundert es dann, wenn die Wirklichkeit nicht mehr mit dem alten Plan übereinstimmt? Muss denn nun die neue Straße zurückgebaut werden, der entstandene See wieder ausgetrocknet werden, nur weil beide nicht auf der alten Landkarte eingezeichnet sind? Sinnvoller Weise wird man doch die  Landschaft neu vermessen, kartographieren und dann den Menschen diese neue Karte als Orientierungshilfe an die Hand geben.

Der Sinn und der Zweck so einer Landkarte, einer Richtlinie und Norm aber bleibt doch stets der gleiche. Sie sollen den Menschen helfen, ihr Ziel zu erreichen. Die Wege dahin aber werden in veränderten Lebenssituationen eben auch neue sein müssen. Das heißt doch nicht, dass die alten Karten, nur weil sie alt sind, völlig falsch waren. Sie haben zu ihrer Zeit sicher ganz vielen Menschen geholfen, ihr Ziel zu erreichen. Auch kann sich nicht jeder seine eigene Karte erstellen und diese für absolut erklären. Landkarten müssen allgemein gültig sein und für jeden Menschen gangbare Wege aufzeigen. Trotzdem wird es auch, wie jedes gute Navigationssystem es heute anzeigt, alternative Routen und Sonderwege geben.

Jeder Gesetzgeber und jede Institution hat nicht nur das Recht, sonder auch die Verpflichtung, für ihren Bereich solche Orientierungshilfen zu geben, aber nicht, ohne diese auch von Zeit zu Zeit einer Überprüfung an Hand der sich verändernden Lebenswirklichkeiten zu unterziehen.

Dies ist eine bleibende Herausforderung für jeden, der den Menschen Weisungen und Orientierungen für das Leben geben will. Er muss sich bemühen, die Wirklichkeit möglichst genau mit dem Entwurf in Übereinstimmung zu bringen, ohne dabei die Wahrheit zu verfälschen und das Ziel aus den Augen zu verlieren!

 

Samstag, 20. September 2014


Der Wasserfall


Als ein Sohn der Wüste zum ersten Mal vor einem Wasserfall stand, konnte er sich daran nicht satt sehen. Mit staunenden Augen und offenem Mund stand er lange Zeit davor. Als sein Begleiter ihn drängte, weiterzugehen, sagte er: „Ich möchte noch sehen, wann das Wasser aufhört zu fließen“. Er konnte es einfach nicht glauben, dass der Wasserfall nicht abgestellt wird, dass das Wasser immer weiter aus dem Felsen strömt. Für ihn unbegreiflich, ein Wunder der Natur. So ein Reichtum, so ein Überfluss. Einfach unfassbar für ihn. Das gab es in seiner kargen Heimat in der Wüste nicht. Da wurde kein Tropfen Wasser verschwendet, denn jeder war unendlich kostbar und lebensnotwendig. Wenn man nicht rechtzeitig ein Wasserloch oder eine kleine unterirdische Quelle fand, konnte das den Tod für Mensch und Tier bedeuten.

In unseren Breiten gibt es nicht nur Wasser im Überfluss, sonder vieles andere wird uns in einer unendlichen Fülle angeboten. Wir werden förmlich mit Waren und Produkten aller Art überhäuft. Wer aber stets und ständig  in so einer „Überflussgesellschaft“ lebt, der verlernt leicht den wahren Wert der Dinge zu begreifen und vor allem zu schätzen. Allzu leichtfertig werden hier die Dinge verschwendet und gering geachtet. Lebensmittel werden im Müll entsorgt, wenn sie etwa unansehnlich geworden sind. Kleidung landet im Container, wenn sie nicht mehr der neusten Mode entsprechen. Geht ein Gerät kaputt, wird es sofort durch ein Neues ersetzt. Kaum jemand macht sich noch die Mühe, etwas zu reparieren. In einer solchen „Wegwerfgesellschaft“ werden viele Ressourcen verschwendet und manche Fähigkeiten bleiben ungenutzt.

Der Sohn der Wüste stand staunend und ehrfürchtig vor dem Wasserfall. Er wäre wohl sehr dankbar, wenn auch nur ein kleiner Bruchteil dieses Reichtums in seiner Heimat in einem Brunnen sprudeln würde. Kilometerlange Wege und echte Durststrecken blieben ihm und seinem Volk dann erspart. Die Freude darüber wäre unendlich groß.

Uns mangelt es fast an gar nichts. Alles ist immer und überall zu haben. Doch wir kennen nicht mehr dieses ehrfürchtige Staunen und uns fehlt oft die Dankbarkeit für die überreichen Gaben auf unseren Tischen, in den Kühltruhen und den Kleiderschränken, die das Leben hier in unserem Land für uns bereit hält. Wer das begreift, der wird wieder dankbar und froh, denn die Freude und die Dankbarkeit fehlen uns allzu oft. 

Samstag, 13. September 2014


Alles im Doppelpack

Ist das nicht toll und super günstig? Zwei Paar Socken im Doppelpack und das alles zum gleichen Preis? Der Handel hat große Erfolge mit dieser Werbestrategie. Die Sonderangebote gehen weg wie warme Semmel. Doppelherz und Doppelkorn sind allseits beliebt. Wer lässt sich nicht gern von einer doppelten Gewinnchance beim Glücksspiel locken. Sofort gewinnen und zusätzlich an der Auslosung im Herbst teilnehmen! Die Rechnung geht deutlich auf. Zumal der alte Grundsatz gilt: Doppelt hält besser!

Stimmt das aber immer und überall? Dabei entzünden sich zum Beispiel immer wieder Diskussionen an einer doppelten Staatsbürgerschaft für Ausländer in unserem Land. Die einen verlangen sie generell für alle Einwanderer, andere meinen, es gehört zuerst die ernsthafte Entscheidung und ein Bekenntnis zu dem Land dazu, in dem sie leben wollen. Und ist denn gleich jeder, der dies in Frage stellt, ein reaktionärer Spielverderber? Staatsbürgerschaft ist doch schließlich kein Sonderangebot, das im Doppelpack billiger zu haben ist. Oder?

Für mich liegt bei dem vielen Aktionismus in  unserer Gesellschaft und den unendlichen Diskussionen darüber oft eine tiefere Haltung von größter Doppeldeutigkeit dahinter. Mir kommt es so vor, als ob die Kraft zur Eindeutigkeit verloren gegangen ist. Keiner möchte sich mehr festlegen und festgelegt werden. Das Ganze wird dann eben Flexibilität genannt. Dadurch wird die Berechenbarkeit und Verlässlichkeit in allen Bereichen unseres Lebens immer schwieriger. Was heute gilt, ist morgen längst Makulatur. Wo wir auch hinschauen, sind Doppelzüngigkeit, Doppelmoral und doppeltes Spiel an der Tagesordnung. So mancher scheint offenbar nur noch nur noch eine Rolle oder gar eine Doppelrolle zu spielen.

Diese wachsende Orientierungslosigkeit führt zur Verunsicherung der Menschen. Es wird heute zwar viel von Transparenz und vertrauensbildenden Maßnahmen geredet, aber zu wenig getan. Doppeldeutiges Reden und Handeln vergiftet zunehmend das Zusammenleben und lässt viele zu dem Schluss kommen, ohne Netz und doppelten Boden geht es wohl nur noch im Zirkus zu.

Da kommt mir noch ein ganz böser Gedanke, steckt vielleicht hinter dem häufigen „Doppelkopfspiel“ der Regierungen mit ihren Doppelspitzen und Doppelbeschlüssen die eindeutige Doppelstrategie, die schon die alten Römer kannten: „divide et impera – teile und herrsche“? Dann sollten wir alle aber doppelt wachsam sein und lieber zweimal hinhören, was hinter dem Doppelpunkt kommt und lesen, was im Kleingedruckten steht.

Oder sollte etwa doch der Satz stimmen, der in der Wendezeit an einer Mauer geschrieben stand: „Wir sind das Volk – wir sind ein Volk“ und jemand hatte dahinter geschrieben: „Wir sind ein dummes Volk!“   
                                                    

(Übrigens, die roten Socken sind nicht doppeldeutig gemeint!)

Dienstag, 9. September 2014

Altweibersommer

„Das ist heute aber ein herrlicher Tag, die Sonne meint es noch einmal gut mit uns“, sagte die Frau neben mir auf dem Marktplatzt. „Ein richtig schöner Altweiber-sommer“, fügte sie dann noch hinzu. Den Ausdruck „Altweibersommer“ kannte ich zwar schon lange, aber ich habe nie näher drüber nachgedacht. Nun war jedoch mein Interesse geweckt. Gerade in einer Zeit, wie der unseren, wo es genau auf „political correctness“ ankommt, möchte man doch nicht ins Fettnäpfchen treten und den Zorn der Frauen auf sich ziehen, die an diesem Wort eventuell Anstoß  nehmen könnten.

Zudem ist es doch ein ziemlich unpassender Name für so einen schönen Tag. Was steckt denn hinter dieser Bezeichnung? Eins sei schon einmal vorab gesagt, der Name stammt aus einer Zeit, in der das Wort Weib noch als sehr ehrbarer galt. Also keineswegs abwertend und diskriminierend war.

Bei meiner Recherche fand ich als Erklärung für den Begriff Altweibersommer: „Bedingt durch  ein Hochdruckgebiet, das sich von Südwesten her über ganz Europa erstreckt, schenkt uns der Herbst von Mitte September bis Mitte/Ende Oktober eine trockene, warme Schönwetterperiode mit freundlichen ruhigen Tagen: Altweibersommer!“  
Charakteristisch sind dabei die die feinen Fäden, die durch die Luft fliegen und Pflanzen und Felder überziehen. Sie gleichen langen, silbernen Frauenhaaren und stammen von den Krabbenspinnen. Von diesen werden sie buchstäblich in die Luft geschossen, um sich an ihnen zu einem Winterquartier forttragen zu lassen.

Wir können in diesen Tagen erleben, dass sich die Natur noch einmal von ihrer schönsten Seite zeigt. Der alt und müde gewordene Sommer kommt zurück. Doch die Kraft der Sonne ist schon merklich schwächer geworden. Der schönste Herbsttag ist zudem wesentlich kürzer. Genauso ist es doch auch bei uns Menschen. Wer in die Jahre gekommen ist, erfährt immer deutlicher seine eigenen Grenzen. Das junge Mädchen kann noch die Nächte durchtanzen und feiern. Dem „alten Weibe“ geht schon bald die Puste aus.

Der Altweibersommer ist demnach eine Zeit der kürzer werdenden Tage, ein letztes Ausschütten von Farben und Licht, sehnsüchtige Erinnerungen an den vergangenen Sommer und Vorahnung von Herbst und Winter. Unser menschliches Leben ist dabei dem Verlauf der Jahreszeiten sehr ähnlich. Die Kindheit und Jugend ist der Frühling des Lebens, der Sommer die Zeit der Schaffenskraft und Stärke. Dagegen werden der Herbst und der Winter dem älter werdenden Menschen und letztlich dem alten zu gerechnet. Daher wird die sogenannte zweite Hälfte des Lebens heute für viele zum Problem. Denn die Überbetonung der Jugendlichkeit und der Tatkraft führen dazu, dass so manches davon unpassender Weisen in die zweite Hälfte hinüber gerettet werden soll. Doch kurze Hosen im Winter machen noch längst keinen Sommer!

Wer sich daher mit dem Duft der Blüten allein begnügt und seien sie noch so schön, der übersieht ihren eigentlichen Sinn, nämlich Reife und Frucht. Wenn wir die Augen öffnen und mit allen Sinnen wach durch die Natur gehen, dann spüren wir, dass jede Jahreszeit ihre schönen und bezaubernden Seiten hat. So ist es doch auch bei uns Menschen. „Alles hat seine Zeit“.

Ob nun jung oder alt, wir sollten uns hüten, das eine gegen das andere auszuspielen. Deshalb sagte wohl der dänische Denker Sören Kirkegaard so treffend: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“

In diesen Tagen des „Altweibersommers“, der uns an die Vergänglichkeit  des Lebens erinnert, dürfen wir uns noch einmal an der Sonne und der Wärme des Sommers freuen und ihn genießen, auch wenn wir um sein Ende wissen. Liegt doch in jedem Ende auch ein neuer Anfang!