Der Engel mit dem Cello
Der kleine Engel mit dem
Cello hat in dieser Adventszeit seinen Platz auf meinem Schreibtisch gefunden.
Ja, er ist mir buchstäblich zugeflogen. Oder besser, ich hab ihn, nach einem Besuch
bei Freunden in der letzten Woche, von diesen lieben Menschen geschenkt
bekommen. Nun steht er vor mir und ich muss ihn immer wieder anschauen.
Er ist so klein und
zerbrechlich. Schon auf dem Weg zu mir nach Hause, ist bei ihm ein kleiner Flügel
abgeknickt. Doch schnell ein Tropfen Alleskleber und alles war wieder
heil.
Da kommt mir so ein Gedanke, wäre
es nicht toll, wenn es solchen
Alleskleber auch für all die Brüche und Verletzungen bei den Menschen gäbe?
Eins, zwei, drei wäre alles wieder heil und in Ordnung. Wie Vieles geht doch täglich im menschlichen
Miteinander in die Brüche. Das Allerwenigste davon lässt sich aber so
einfach wieder kleben, kitten oder gar heilen. Viele Brüche und Verletzungen
belasten manche Menschen ein Leben lang.
Daran muss ich denken, wenn
ich auf den kleinen Engel vor mir schaue. Und mir wird dabei bewusst, dass es
immer die Kleinen und Schwachen sind, die am meisten verletzt werden. Es sind
gerade die, die sich am wenigsten wehren können, oder die es nicht tun, weil
sie nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollen. Es sind ausgerechnet
diejenigen, die mit Anstand durchs Leben gehen. Das macht sie in der heutigen
Zeit und Gesellschaft zu Außenseitern, zu Verlierern. Sie sind verletzlich und schwach. Darum
passen sie wohl genau so wenig in diese raue und laute Welt, wie der kleine,
zerbrechliche Engel. Und doch gibt es sie. Sie machen den Alltag in ihrem
Umfeld etwas friedlicher und heller. Es würde sehr viel in der Gesellschaft fehlen, wenn es sie
nicht gäbe. Dabei nehmen sie sich selbst gar nicht so wichtig. Dafür bin ich
dankbar.
Und wieder fällt mein Blick
auf meinen kleinen Engel mit seinem Cello. Er macht mich aufmerksam, das Kleine
und Unscheinbare im Leben nicht zu unterschätzen, sondern zu achten. Auch die leisen Töne gehören
dazu. Die kann aber nur der hören, der selbst still wird und lauscht. Es ist jedoch nicht allein das laute Getöse unserer Tage auf den Straßen und Plätzen,
sondern es ist der beständige Drang in uns, immer und überall zu reden, zu
diskutieren und zu lamentieren. Das lässt uns nicht mehr zur Ruhe kommen.
Dieses Karussell der Belanglosigkeiten und Nichtigkeiten dreht sich unaufhörlich und immer rasanter und führt letztlich zu der permanenten Aufgeregtheit in unserer Gesellschaft, die so häufig beklagt wird.
Ist es nicht gerade die
Adventszeit, die die viel beschworene Stille und Besinnung bringen soll? Doch
wie soll das gehen? Sind wir es doch, die zwar ständig über den ganzen Weihnachtsrummel schimpfen, ihn aber selbst mit verursachen? Vielleicht liegt es ja daran, dass wir es
gar nicht erst versuchen, einfach mal still zu werden? Es ist doch so viel einfacher,
die Gründe für unser Unvermögen und unsere Unlust gleich bei anderen zu suchen. Was wir am meisten
vermissen, Ruhe und inneren Frieden, verhindern wir auf diese Weise selbst durch unsere
ständige Hektik und Aufgeregtheit.
Der kleine Engel spielt so
zart und leise auf seinem Cello, dass wir es kaum oder gar nicht mehr hören.
Aber er gibt nicht auf. Dieser lange Atem, diese Ausdauer und die Geduld,
fehlen heute viel zu vielen Menschen. Sie jagen der Verheißung nach schnellem
Wohlstand und äußerem Glück hinterher und merken dabei nicht mehr, dass sie selbst die
Gejagten sind.
Der kleine Engel mit dem
Cello auf meinem Schreibtisch hilft mir in dieser Adventszeit, daran zu denken,
still zu werden und achtsamer mit mir selbst und mit anderen Menschen umzugehen. Nur so wird es möglich, seine Melodie der Freude und des Friedens aufzunehmen und sie
weiterzutragen.