Donnerstag, 7. April 2016

Warum wollen nur noch Vier- und Fünfjährige Baggerfahrer werden?

Eine ganze Wand in seinem Kinderzimmer sollte unbedingt mit der Baggertapete beklebt werden. Das musste sein, das war der größte Wunsch des Vierjährigen. Sein Lieblingsspielzeug ist zurzeit ein großer Bagger mit beweglicher Schaufel und sogar einem Anhänger für die Erde und den Sand.
Aber er ist da wohl kein Einzelfall in seiner Altersgruppe. Immer wieder beobachte ich an der Baustelle in unserem Viertel, dass dort regelmäßig Väter und Mütter mit ihren Kleinen am Rand der Baustelle verweilen müssen. Fasziniert beobachten die Kinder mit großen, staunenden Augen die Bewegung der Kräne, verfolgen die Fahrt der Baufahrzeuge und natürlich die Bagger bei der Arbeit. Da müssen die Eltern schon eine große Portion Geduld aufbringen, um ihren Weg dann endlich fortsetzen zu können. Mancher der Knirpse hat sogar seinen kleinen Bagger dabei und beginnt sofort damit, das Gesehene auf dem schmutzigen Fußweg nachzuspielen, oft zum Entsetzen der Eltern.
Und da kommt mir der Gedanke, ob das nicht der Punkt ist, an dem Eltern beginnen, ihren Kindern den Beruf des Bagger- oder Kranfahrer systematisch auszureden? Auf der Baustelle ist es laut, staubig und die Arbeit auch heute noch ganz schön anstrengend. „Nein, unser Kind soll es doch einmal besser haben“, meinen die besorgten Eltern.  Wie ist es sonst möglich, dass gerade im Baugewerbe und im Handwerk die Lehrlinge und die Fachkräfte fehlen? Überall dort, wo noch richtig angepackt werden muss. Der frühe Wunsch der Kinder, später einmal etwas Praktisches zu machen, zu bauen und zu gestalten, wird schon bald als Kindertraum abgestempelt, beiseitegeschoben und als nicht realistisch eingeschätzt und in die frühkindliche  Märchenwelt verwiesen. Das war es dann auch schon.
Die Schule setzt mit ihren Lehrinhalten das Ganze später fort. Sie vermittelt jede Menge Wissensstoff, Zahlen, Gleichungen und Analysen, die aber zu wenig bis keinen praktischen Bezug zu einem späteren Beruf der Kinder haben. Handfestes Anpacken, ein Umgang mit Hammer, Zange und Nägeln wäre gerade für die Jungen eine willkommene Herausforderung. Doch Fehlanzeige! Da könnte es ja mal einen blauen Daumen geben, oh je. So werden die meisten Kinder ganz schnell weichgespült und verkopft. Und das zeigt schon bald Wirkung. Sehe ich an der gleichen Baustelle etwas ältere  Schüler vorbeigehen, so bemerken diese nicht einmal mehr, dass hier gebaut wird. Sie schauen bloß noch auf das Display ihrer Smartphone und tauschen Nachrichten aus. Worüber nur, frage ich mich manchmal?
Ihre Vorstellungen vom späteren Berufen sind nun, dank ihrer Erziehung, ganz andere geworden. Sie wollen schnell reich werden, also am besten gleich Banker werden. Sie wollen etwas erleben, also etwas mit Medien oder Tourismus machen. Es wäre toll etwas mit Menschen zu machen, ja in die Richtung „Soziales“ solle es gehen, keine Ahnung. Andere haben gleich gar keine Vorstellung, Hauptsache erst mal studieren. Ein Zweit- oder Drittstudium ist keine Seltenheit.  Und mit 30 ist noch lange nicht Schluss. An einen engagierten Start ins Berufsleben ist da nicht mehr zu denken.
Wie schafft es unsere heutige Gesellschaft mit ihrem Bildungssystem nur, so viele junge Menschen in der Schule heranzubilden, deren Köpfe mit Wissen, oder was andere dafür halten, vollzustopfen, was oft so wenig für das Leben taugt?  Heißt es nicht schon bei den Alten: „Non scholae, sed vitae dicimus“ - „Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.“ Oder wie es schon Johann Wolfgang von Goethe sagt: „Ein Blick ins Buch und zwei ins Leben, das wird die rechte Form dem Geiste geben.“
Wo aber diese Einblicke ins wirkliche Leben den Heranwachsenden nicht mehr geboten werden oder sie ihnen als „kindliche Flausen“  schnellstens wieder ausgetrieben werden, da führt dies zu einer sehr eingeschränkten Wahrnehmung der Wirklichkeit und macht echte und gute Entscheidungen immer schwieriger.
Ist es deshalb etwa zu provokant zu sagen, manch junger Mensch  wäre  sicher ein guter Handwerker oder Baufachmann geworden, wenn er nur die Möglichkeit dazu bekommen hätte?
Wir brauchen dringend tüchtige Baggerfahrer, zuverlässige Lockführer und mutige Feuerwehrleute,  also Menschen, die Werte schaffen und schützen. Und all diese Menschen, die sich um das Wohlergehen anderer Menschen kümmern, die brauchen wieder unsere  Anerkennung und Wertschätzung.