Samstag, 31. Oktober 2020

   

Der Herbst – die Zeit der reifen Früchte

Der Herbst beginnt, wenn der Sommer endet. Und das war in diesem Jahr 2020 am 22. September. Dieser Termin wird als der kalendarische Herbstanfang bezeichnet. Der meteorologische Beginn war hingegen   der 1.  September.  

In den zurückliegenden Wochen sind zuerst ganz unmerklich, dann aber immer deutlicher, die Tage kürzer geworden. Was so wiederum ja auch nicht stimmt, denn jeder Tag hatte weiterhin 24 Stunden. Lediglich hat sich die Zahl der hellen Stunden des Tages verringert und gleichzeitig haben die dunklen Stunden zugenommen. Aber wem erzähle ich das eigentlich? Wenn das Jahr seine Mitte überschritten hat, also noch in der schönsten Zeit des Sommers, beginnt bereits  die Abnahme der hellen und lichten Stunden und schreitet unaufhaltsam fort.

Jeder spürt dies selber in diesen Herbsttagen. Auch wenn anfangs die Sonne noch hell vom Himmel scheint und den Früchten die letzte Reife verleiht, so ist doch deutlich zu spüren, dass sich etwas verändert hat. Wir müssen Abschied nehmen von den sommerlichen Tagen, die doch alle so sehr liebten. Mit der Helligkeit und ihrer wohltuenden Wärme auf der Haut geht es jetzt unweigerlich zu Ende. Der Herbst überzieht das Land schon bald mit grauen Wolken, Regenschauern und Nebelschwaden. Doch er zeigt sich auch gern von seiner besten Seite und taucht die Blätter der Büsche und Bäume in viele bunte Farben. Eine Farbenpracht, die wohl jeden begeistert. Das Laub raschelt unter den Füßen und ein ganz eigener Geruch liegt in der Luft. Es ist Herbst!

In unseren Breiten ist der Herbst die Zeit, in der viele Früchte erntereif werden. Rote Äpfel, gelbe Birnen und schwarze Holunderbeeren erfreuen dabei nicht nur das Auge, sondern sind zudem gesund und überaus schmackhaft. Viele Wochen und Monate haben sie gebraucht, um zu wachsen und zu reifen. Einen langen Prozess  haben sie dabei durchlaufen von der kleinen Knospe, über die zarten Blüten bis hin zur reifen Frucht. Alles hatte hierbei seine Zeit und durfte nicht für immer sein. Oder wie es Hermann Hesse in seinem bekannten Gedicht „Stufen“ ausdrückt: Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, blüht jede Weisheit auch und jede Tugend zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern."

Das gilt nicht nur für die Natur, die uns umgibt, sondern ebenso für unser eigenes Werden und Sein. Auch im Leben eines jeden Menschen gibt so eine Zeit des Herbstes. Eine Zeit der reichlich gewonnenen Erfahrungen und der reifen Früchte. In den frühen Jahren der Jugend und des späteren Erwachsenwerdens reift erst der Mensch zu seiner eigenen Persönlichkeit heran. Buchstäblich erklimmt er dabei Stufe um Stufe in seinem Leben. Auf keiner darf er zu lange oder gar auf Dauer verweilen. Auch wenn die unbeschwerte Jugendzeit noch so schön und verlockend erschient, sie darf nicht „ewig dauern“. 

Jeder Anfang birgt bereits den Keim des Abschieds in sich. „Abschied muss man üben, sonst fällt er viel zu schwer“, heißt es deshalb in einem Text des Lieder-machers Heinz Rudolf Kunze. Es gibt Ankommen und Abschied. So Manches muss der Mensch also in seinem Leben lernen, üben und sich aneignen, manchmal auch schwer erkämpfen. Dabei vergehen die Jahre fast wie im Flug. Die Zeit scheint einfach zu schrumpfen. Der schönste Augenblick lässt sich nicht für immer festhalten. Genau wie im Kalenderjahr gibt es  auch in  Leben des Menschen so etwas wie eine „Sommersonnenwende“. Die Mitte seines Lebens wird nun überschritten, wann auch immer diese bei jedem Einzelnen erreicht sein wird. Keiner weiß es. Das verunsichert und führt häufig zur sogenannten Midlifecrisis oder Lebensmittekrise. Nicht alle leiden darunter, andere spüren sie dafür umso deutlicher.

Es lässt sich nun nicht mehr verheimlichen, die Schatten werden länger und diese Schatten wirken oft bedrohlich für den, auf den sie fallen. Ab jetzt werden nicht mehr die Lebensjahre seit der eigenen Geburt gezählt, sondern die Jahre, die eventuell noch zu erwarten sind. Dieses Bewusstwerden der Endlichkeit des Lebens, auch des eigenen Lebens, wird jedoch in unseren Tagen gern verdrängt. Einer stürzt sich deshalb in eine hektischer Betriebsamkeit, ein Anderer wählt die Dauerberieselung der heutigen Eventkultur. Kein Mensch kann jedoch auf Dauer folgenlos die Realität der fortschreitenden Zeit ausblenden. Hieß es doch bei Hesse, alles hat seine Zeit und darf nicht ewig dauern.

Wem es gelingt, zu verinnerlichen, dass in seiner ganz persönlichen Lebenszeit, nicht nur etwas vorbei ist, sondern dass gleichzeitig etwas Neues beginnt, der wird mit einer  großen Gelassenheit, ja Neugier und Freude in den neuen Lebens-abschnitt des persönlichen Herbstes eintreten. Deshalb hat er es auch nicht nötig, sich den fortschreitenden Veränderungen in seinem Leben zu verweigern. Jede  Lebensstufe hat ihren Reiz und ist wichtig und schön in ihrer Weise.  Für jeden aber  beginnt auch die Herbstzeit seines Lebens entweder früher oder etwas später. Ob es aber eine Zeit der „leeren Worte und der leeren Hülsen“ oder die Zeit der gereiften Früchte ist, das liegt an jedem selbst. 

Hat ein Mensch einmal diese positive Sichtweise gewonnen, dann schenkt ihm das eine viel größere Gelassenheit, als in all den Jahren seiner Selbstprofilierung und des ständigen Kampfes mit vermeintlichen Konkurrenten. Der Mensch, der in all den Jahren Stufe um Stufe genommen hat und auf keiner länger verweilte, als nötig war, hat es auch nicht mehr nötig, sich mit allen und jedem zu messen. Er hat gelernt, mit den Aufgeregtheiten des Hier und Heute souverän umzugehen. „Nichts wird doch so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, dieses Wissen ist zu seiner Haltung geworden und das bewahrt ihn vor überzogenen Reaktionen und einem unangemessenen Aktivismus. Für den, durch Erfahrung gereiften Menschen, sind Äußerlichkeiten nichts anderes als eben nur Äußerlichkeiten. Das macht ihn nicht heiß. 

Daher wird das Spiel des herumwirbelnden, bunten Herbstlaubs im Sonnenschein an einem schönen Tag für ihn wichtiger sein, als so manche Schlagzeile im "Blätterwald der Medien" oder der Tratsch und Klatsch im Treppenhaus. Wer seinen Stand und Standpunkt gefunden hat, der steht fest im Leben und wird auch den menschlichen "Herbststürmen" trotzen. 

Es ist ein echtes Geschenk für jeden, der diesen gereiften Menschen begegnen darf. Sie tun einfach gut.