Donnerstag, 18. Februar 2021

Winter in der Stadt

Es war wie ein Traum in Weiß. Die Flocken fielen leise Stunde um Stunde vom grauen Himmel aus den dicken Wolken. Der Schnee deckte schon bald alle Straßen und Plätze mit einer weißen Schicht zu. Alle Ecken und Kanten bekamen mit einem mal weiche Konturen. Die Straßenlaternen hatten plötzlich Mützen aus Schnee. Die Autos schienen in den Straßen unter einer dicken Decke zu schlafen. Alles wirkte verändert, ja fast wie verzaubert. Winterzauber zwischen grauen und beschmierten Häuserfronten. Die Stadt war einmal zur Ruhe gekommen.

Beim Anblick der weißen Pracht hellten sich sogar die Gesichter der Menschen auf. Für kurze Zeit erschien alles von einem Augenblick zum andern unberührt und von einer zarten aber auch verletzlichen Schönheit. Doch wie gesagt, nur für eine kurze Zeit, denn wie alles „Wunderbare“ waren auch diese ersten Augenblicke nur sehr flüchtig.

Schon bald brach sich der Realismus Bahn. „Wie komme ich morgen zur Arbeit? Fahren die Bahnen und Busse? Was ist, wenn mein Termin platzt?“ Schon war aller Zauber dahin. Die ersten „Schneeschaufler“ begannen, sich noch in der Nacht durch das „Weiß“ zu arbeiten. Andere durchpflügten mit durchdrehenden Rädern ihrer Autos die unberührte Schneedecke auf den Straßen und hinterließen tiefe Spuren und Rillen. Der Traum in Weiß zerplatzte in den nachfolgenden Stunden immer deutlicher. Im Alltag ist wenig Platz zum Träumen und schon gar nicht für Wunder, auch nicht für die in der Natur.

Und es dauerte nicht lange, da zeigte sich schon wieder der Schmutz der Straßen, den der Schnee so gnädig eine Weile verdeckt hatte. Die „Salzstreuer“ sorgten für aufgeweichten Schneematch auf den Wegen vor ihren Häusern. Andere kümmerte das wenig. Alle rutschten und schlitterten beim Laufen und hatten Mühe, nicht zu fallen. Die an den Rändern der Wege aufgehäuften Schneeberge wurden schon bald alle paar Meter von gelben „Pinkelflecken“ der ungezählten Stadthunde verunziert. Man hält es nicht für möglich, wie viele es gib. Auch so manch andere Hinterlassenschaften kamen schnell dazu. Sagt man nicht: „Die Sonne bringet es an den Tag?“ Jetzt war es der Schnee, auf dem sich noch deutlicher als sonst, diese Spuren abzeichneten. Allzu schnell verfärbte  sich das strahlende Weiß mehr und mehr wieder in ein schmutziges Grau. Mit dem Schmutz schwand auch sehr schnell das Strahlen auf den Gesichtern der stets geschäftigen Menschen. Es war, als hätte es das nie gegeben. Einzig die Kinder freuten sich und nutzten jeden kleinen Hügel zum Rodeln und Rutschen. Sie hatten jedenfalls ihren Spaß. Ob ihre Eltern auch? Das bleibt zumindest die Frage.

Als der Alltag der Mensch in der Stadt wieder funktionierte, der Verkehr wieder rollte, da war es endgültig mit der Idylle des Winters vorbei. Alles war wie gehabt. Nun zeigten sich auch wieder die schmutzigen und kaputten Gehwege, flankiert von überquellenden Papierkörben, Mülltonnen und alten und neuen Unrat. In den Schmelzwasserpfützen schwammen ölige Lachen und schimmerten in der Sonne. Die verbliebenen Schneereste schmolzen unter einer Schmutzschicht allmählich dahin. Es war alles Schnee von gestern.  Und schon ist alles wieder wie immer. Alles in gewohnter Ordnung oder  Unordnung?

Das Außergewöhnliche, der Traum in Weiß, der Zauber des Winters, ist allzu schnell dem  Gewöhnlichen gewichen und das ist eben oft recht Grau.