Freitag, 4. Dezember 2020

Mein Freund Charly

In meinem Aktenschrank steht schon lange eine Flasche Obstbrand. Immer wenn ich dort einen Ordner entnehme oder einstelle, fällt mein Blick gerade in Augenhöhe auf das bunte Etikett dieser Flasche. Nicht, dass mir dabei das Wasser im Mund zusammenliefe, nein, es ist etwas anders, was mir in den Sinn kommt und geradezu das Herz etwas schwer macht. Es ist die Erinnerung an meinen Freund Charly. So manchen Obstler haben wir zusammen getrunken.

Seit gut zwei Jahren ist er nun bereits tot. Sehr früh und für alle unerwartet kam der Tod über ihn und uns alle. Bei manchen Menschen kann man es sich nicht vorstellen, dass es sie einmal nicht mehr gibt. So auch bei Charly. Er war in seiner lebendigen Art immer sehr präsent, offen, direkt und laut. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund. Das machte ihn bei vielen beliebt, bei anderen eher nicht. Wer hört schon gern die Wahrheit, wenn sie nicht gerade schmeichelhaft für einen selbst ist?

Die Flasche mit dem Apfel und Birnen Obstbrand hatte er mir einmal geschenkt. Sie stammt aus dem kleinen Ort Fürstenberg im Schwarzwald, wohin Charly jahrelang mit Gruppen zu Freizeiten gern gereist ist. Und er wusste was gut ist. „Der hilft bei allem, darauf kannst Du Dich verlassen“, das waren stets seine Worte und er schenkte noch einen ein. Daran und noch an vieles mehr muss ich denken, wenn ich diese Flasche in meinem Schrank sehe.

Wie oft sind es doch gerade die profansten Dinge, die uns nachdenklich werden lassen und unsere Erinnerung beflügeln. Sie werden so zu äußeren Zeichen, die uns auf eine viel tiefere, innere Wirklichkeit verweisen. Der Blick auf die Flasche Obstbrand lässt den verstorbenen Freund in der Erinnerung wieder lebendig werden, so lebendig, wie ich ihn jahrelang erleben durfte. Bei allem Verlust macht mich das sehr dankbar.

So oder ähnlich geht es sicher vielen Menschen. Ein Stein oder eine Muschel vom Strandurlaub lassen buchstäblich im grauen Herbst und Winter wieder die Sonne scheinen und das Rauschen der Wellen hören. Ein Bild an der Wand oder eine Ikone, die mir geschenkt wurden, werden auf ihre ganz eigene Weise zum Türöffner in eine andere Welt. Die Tasse auf dem Regalbrett erinnert an eine hitzige Diskussion und daran, dass dabei eine Menge Porzellan zerschlagen wurde und wie mühsam es war, alles wieder zu kitten. Hinter den Dingen, selbst den unscheinbarsten, steckt ja oft viel mehr, da werden Situationen und die Beteiligten wieder sehr lebendig mit ihren Geschichten und all dem, was sie sind oder waren.

Für jeden Menschen gibt es sicher solche, oft kleinen und für andere bedeutungslose Andenken, die ihm aber etwas bedeuten und in ihm wach werden lassen. Daran knüpfen sich ganz persönlicher Erinnerungen. Die Erinnerung an einen schönen Urlaub, die Begegnung mit einem hilfsbereiten Menschen in einer Notsituation, die Erfahrung von Nähe und Geborgenheit. Kleine Dinge werden gleichsam zu „Denkmälern“, die zum Denken und zum Danken anregen.  

Natürlich sind nicht alle Erinnerungen nur schön. Aber auch schmerzliche Erinnerungen gehören nun mal zu unserem Leben und dürfen deshalb nicht einfach verdrängt werden. Manches weist uns hin auf die Verluste in unserem Leben, die wir schmerzlich erfahren mussten. Da geht ein Freund nach einer schweren Krankheit viel zu früh von uns. Die gemeinsam erlebte Zeit ist zu Ende. Jeder kennt wohl solche oder andere  Brüche in seinem Leben.

Wo aber die Trauer über den Verlust und damit das Selbstmitleid übergroß werden, da gerät etwas viel Wichtigeres aus dem Blick der Betroffenen, nämlich der Dank und die Freude darüber, dass es den anderen gegeben hat und dass es diese Zeit der Gemeinsamkeit gab. Das gemeinsam Erlebte ist doch für jeden das, was ihm keiner mehr nehmen kann.

Genau daran erinnert mich die Flasche Obstbrand in meinem Schrank und sie weckt Freude und Dankbarkeit in mir, dass ich Charly fast dreißig Jahre als guten Freund hatte und so manchen Obstler mit ihm trinken durfte.

 

Samstag, 31. Oktober 2020

   

Der Herbst – die Zeit der reifen Früchte

Der Herbst beginnt, wenn der Sommer endet. Und das war in diesem Jahr 2020 am 22. September. Dieser Termin wird als der kalendarische Herbstanfang bezeichnet. Der meteorologische Beginn war hingegen   der 1.  September.  

In den zurückliegenden Wochen sind zuerst ganz unmerklich, dann aber immer deutlicher, die Tage kürzer geworden. Was so wiederum ja auch nicht stimmt, denn jeder Tag hatte weiterhin 24 Stunden. Lediglich hat sich die Zahl der hellen Stunden des Tages verringert und gleichzeitig haben die dunklen Stunden zugenommen. Aber wem erzähle ich das eigentlich? Wenn das Jahr seine Mitte überschritten hat, also noch in der schönsten Zeit des Sommers, beginnt bereits  die Abnahme der hellen und lichten Stunden und schreitet unaufhaltsam fort.

Jeder spürt dies selber in diesen Herbsttagen. Auch wenn anfangs die Sonne noch hell vom Himmel scheint und den Früchten die letzte Reife verleiht, so ist doch deutlich zu spüren, dass sich etwas verändert hat. Wir müssen Abschied nehmen von den sommerlichen Tagen, die doch alle so sehr liebten. Mit der Helligkeit und ihrer wohltuenden Wärme auf der Haut geht es jetzt unweigerlich zu Ende. Der Herbst überzieht das Land schon bald mit grauen Wolken, Regenschauern und Nebelschwaden. Doch er zeigt sich auch gern von seiner besten Seite und taucht die Blätter der Büsche und Bäume in viele bunte Farben. Eine Farbenpracht, die wohl jeden begeistert. Das Laub raschelt unter den Füßen und ein ganz eigener Geruch liegt in der Luft. Es ist Herbst!

In unseren Breiten ist der Herbst die Zeit, in der viele Früchte erntereif werden. Rote Äpfel, gelbe Birnen und schwarze Holunderbeeren erfreuen dabei nicht nur das Auge, sondern sind zudem gesund und überaus schmackhaft. Viele Wochen und Monate haben sie gebraucht, um zu wachsen und zu reifen. Einen langen Prozess  haben sie dabei durchlaufen von der kleinen Knospe, über die zarten Blüten bis hin zur reifen Frucht. Alles hatte hierbei seine Zeit und durfte nicht für immer sein. Oder wie es Hermann Hesse in seinem bekannten Gedicht „Stufen“ ausdrückt: Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, blüht jede Weisheit auch und jede Tugend zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern."

Das gilt nicht nur für die Natur, die uns umgibt, sondern ebenso für unser eigenes Werden und Sein. Auch im Leben eines jeden Menschen gibt so eine Zeit des Herbstes. Eine Zeit der reichlich gewonnenen Erfahrungen und der reifen Früchte. In den frühen Jahren der Jugend und des späteren Erwachsenwerdens reift erst der Mensch zu seiner eigenen Persönlichkeit heran. Buchstäblich erklimmt er dabei Stufe um Stufe in seinem Leben. Auf keiner darf er zu lange oder gar auf Dauer verweilen. Auch wenn die unbeschwerte Jugendzeit noch so schön und verlockend erschient, sie darf nicht „ewig dauern“. 

Jeder Anfang birgt bereits den Keim des Abschieds in sich. „Abschied muss man üben, sonst fällt er viel zu schwer“, heißt es deshalb in einem Text des Lieder-machers Heinz Rudolf Kunze. Es gibt Ankommen und Abschied. So Manches muss der Mensch also in seinem Leben lernen, üben und sich aneignen, manchmal auch schwer erkämpfen. Dabei vergehen die Jahre fast wie im Flug. Die Zeit scheint einfach zu schrumpfen. Der schönste Augenblick lässt sich nicht für immer festhalten. Genau wie im Kalenderjahr gibt es  auch in  Leben des Menschen so etwas wie eine „Sommersonnenwende“. Die Mitte seines Lebens wird nun überschritten, wann auch immer diese bei jedem Einzelnen erreicht sein wird. Keiner weiß es. Das verunsichert und führt häufig zur sogenannten Midlifecrisis oder Lebensmittekrise. Nicht alle leiden darunter, andere spüren sie dafür umso deutlicher.

Es lässt sich nun nicht mehr verheimlichen, die Schatten werden länger und diese Schatten wirken oft bedrohlich für den, auf den sie fallen. Ab jetzt werden nicht mehr die Lebensjahre seit der eigenen Geburt gezählt, sondern die Jahre, die eventuell noch zu erwarten sind. Dieses Bewusstwerden der Endlichkeit des Lebens, auch des eigenen Lebens, wird jedoch in unseren Tagen gern verdrängt. Einer stürzt sich deshalb in eine hektischer Betriebsamkeit, ein Anderer wählt die Dauerberieselung der heutigen Eventkultur. Kein Mensch kann jedoch auf Dauer folgenlos die Realität der fortschreitenden Zeit ausblenden. Hieß es doch bei Hesse, alles hat seine Zeit und darf nicht ewig dauern.

Wem es gelingt, zu verinnerlichen, dass in seiner ganz persönlichen Lebenszeit, nicht nur etwas vorbei ist, sondern dass gleichzeitig etwas Neues beginnt, der wird mit einer  großen Gelassenheit, ja Neugier und Freude in den neuen Lebens-abschnitt des persönlichen Herbstes eintreten. Deshalb hat er es auch nicht nötig, sich den fortschreitenden Veränderungen in seinem Leben zu verweigern. Jede  Lebensstufe hat ihren Reiz und ist wichtig und schön in ihrer Weise.  Für jeden aber  beginnt auch die Herbstzeit seines Lebens entweder früher oder etwas später. Ob es aber eine Zeit der „leeren Worte und der leeren Hülsen“ oder die Zeit der gereiften Früchte ist, das liegt an jedem selbst. 

Hat ein Mensch einmal diese positive Sichtweise gewonnen, dann schenkt ihm das eine viel größere Gelassenheit, als in all den Jahren seiner Selbstprofilierung und des ständigen Kampfes mit vermeintlichen Konkurrenten. Der Mensch, der in all den Jahren Stufe um Stufe genommen hat und auf keiner länger verweilte, als nötig war, hat es auch nicht mehr nötig, sich mit allen und jedem zu messen. Er hat gelernt, mit den Aufgeregtheiten des Hier und Heute souverän umzugehen. „Nichts wird doch so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, dieses Wissen ist zu seiner Haltung geworden und das bewahrt ihn vor überzogenen Reaktionen und einem unangemessenen Aktivismus. Für den, durch Erfahrung gereiften Menschen, sind Äußerlichkeiten nichts anderes als eben nur Äußerlichkeiten. Das macht ihn nicht heiß. 

Daher wird das Spiel des herumwirbelnden, bunten Herbstlaubs im Sonnenschein an einem schönen Tag für ihn wichtiger sein, als so manche Schlagzeile im "Blätterwald der Medien" oder der Tratsch und Klatsch im Treppenhaus. Wer seinen Stand und Standpunkt gefunden hat, der steht fest im Leben und wird auch den menschlichen "Herbststürmen" trotzen. 

Es ist ein echtes Geschenk für jeden, der diesen gereiften Menschen begegnen darf. Sie tun einfach gut.





Mittwoch, 2. September 2020

Von Vorder- und Rückseiten

 


 Von Vorder- und Rückseiten

Ich gehe gern auf Friedhöfe. Es sind ruhige und friedliche Ort, wie es der Name schon sagt. Aber es sind für mich auch sehr lebendige Orte. Sie sagen so viel über das Leben der Menschen in Vergangenheit und Gegenwart aus. Die alten Grabmale erzählen von den Verstorben und ihrem Leben. Da gibt es große und aufwendig gestaltete Grabsteine mit den Namen der Verstorbenen und all ihren Titeln und Verdiensten. Heutige Gräber haben eher schlichte Grabsteine oder gar keine mehr. Die Zeiten ändern sich halt. 

Gräber und die Art und Weise, wie zu den verschiedenen Zeiten Tote bestattet wurden, gaben schon immer Auskunft über die Verstorben, aber auch über die Einstellungen der Hinterblieben zu Sterben und Tod. Alte Grabanlagen waren quasi die ersten, nicht schriftlichen Zeugnisse der Menschheit. Egal, ob wir dabei an die Pyramiden denken oder an germanische Hügelgräber. Sie alle sind noch heute für die Archäologen und Historiker eine wahre Fundgrube, denn sie geben präzise Auskunft über die darin bestatteten Toten und ihren Rang im Leben. Zugleich sind sie beredte Zeugnisse der Vorstellungswelt der Hinterbliebenen.

Doch eigentlich wollte ich hier keine Abhandlung über Bestattungskultur in Geschichte und Gegenwart halten, sondern eher einen Blick auf die Rückseiten der Grabsteine werfen und auf das, was es ungewollt zum Ausdruck bringt, wie es mein heutiges  Foto vielleicht schon zeigt.

Solche oder ähnliche Ansichten finden sich nämlich auch an anderen Ecken und Enden im alltäglichen Leben der Menschen. Da gibt es doch auch Vorder- und Rückseiten. Auf letztere aber scheinen die meisten in ihrem Leben nicht allzu großen Wert zu legen. Hauptsache die Vorderseite ist chic und hält den Blicken der Betrachter stand. Wer schaut schon hinter einen Schrank auf dessen Rückwand? Hauptsache die Vorderfront ist glänzend poliert. Der Blick des Betrachters gilt auf dem Friedhof doch auch zuerst dem schön bepflanzten Grab und dem kunstvoll gestalteten Grabstein.

Aber mal ehrlich, haben wir nicht alle ähnliche Ecken und Verstecke für irgendwelche Dinge in unserem Alltag? In jedem Haus und Garten gibt es sie gewiss. Wohin auch mit all dem, was man täglich so benötigt? Dazu noch der ganze Krempel, der immer mehr wird? Von manchen Dingen mag man sich nicht einfach trennen und so verschwindet es dann in irgendwelchen dunklen Ecken, Schubladen oder hinter einem Vorhang. Ist das wirklich eine Lösung?

Vorder- und Rückseiten, außen und innen, Sichtbares und Verborgenes bestimmen auch andere Bereiche unseres Leben. Jeder von uns hat sicher seine unaufgeräumten Bereiche, sozusagen eine Rückseite in seinem Inneren, hinter der sich so manches verbergen lässt. Davon tritt im normalen Umgang mit anderen Menschen meistens gar nichts zu Tage. Aber es gibt Situationen im Leben, da trifft uns selbst die Erkenntnis, dass wir zum Beispiel gar nicht so tolerant sind, wie wir immer meinten. Nämlich dann, wenn  uns die anderen mit ihren unsinnigen Vorstellungen und Meinungen wieder einmal nerven. Oder wir spüren plötzlich, dass es mit unserer Ehrlichkeit nicht allzu weit her ist. Immer in den Momenten, wenn es um unseren eigenen Vorteil geht. Dann ist schon mal eine sogenannte "Notlüge" erlaubt. Wir wären ja schön dumm, denn andere machen das doch auch.  So cool, wie wir meinen sind wir auch nicht. Wir vergleichen uns immer weider mit anderen, sind dann neidisch und missgünstig. Nach außen würden wir das aber niemals zugeben. Auch mit der Freundlichkeit kann es schlagartig vorbei sein, wenn wir uns angegriffen oder bloßgestellt fühlen.  Da ist unser Lächeln ganz schnell verschwunden und ein aggressiven Ton tritt an seine Stelle. Fehler und Schwächen verstecken wir gern hinter einer souveränen Fassade. Wenn Menschen die Fassung verlieren, dann wird schnell sichtbar, das sie auch eine andere Seite haben. Deshalb ist es gut, wenn wir selbst merken, dass  nicht nur das Sichtbare zu uns und unserem Leben gehört, sondern eben auch das Unsichtbare, das Verborgene in uns. Dieses Verborgene beeinflusst unser Denken und Handeln nämlich viel mehr, als wir selbst meinen.

Scheuen vielleicht wir Menschen oft einen ehrlichen Blick hinter die schön polierte Vorderseite? Sicher, es könnte sie nämlich zutiefst erschüttern und weitere Fragen aufwerfen. Wir Menschen sind bekanntlich Meister im Beschönigen und im Verdrängen: "Was ich nicht sehe, das gibt es nicht". Wir  müssen uns also häufig eingestehen, dass wir  nicht die sind, die wir gerne wären oder die wir vorgeben zu sein. Diese Einsicht kann uns zwar stark verunsichern, ist aber mitunter der erste Schritt zur Besserung. Genau diese verborgenen Seiten in uns werden immer dann sichtbar, wenn es um unsere Person, unser Ich geht, wenn es also sehr persönlich für uns wird. Wo wir uns angegriffen oder zurückgesetzt fühlen oder angefeindet und betrogen werden. Dann tauchen aus den untersten Schubladen Ver-haltensweisen auf, die uns im Nachgang selbst erschrecken. „Das hätte ich von mir nicht gedacht, dass ich so über andere denke und schlecht rede, dass ich so lieblos sein kann“, stellen wir danach ganz betroffen und zerknirscht fest. Zumeist aber achten wir jedoch vorzugsweise auf unsere Vorderseite und verstecken gern, was sich auf der Rückseite unseres Ich so alles verbirgt. Und darin sind wir auch meistens sehr erfolgreich, doch eben nicht immer und das ist gut so. 

Nicht die Erfolge zeigen, was und wie ein Mensch wirklich ist, sondern seine Niederlagen und Rückschläge und die Art und Weise, wie er damit umzugehen vermag, sie legen sowohl seine  Schwächen offen und  machen zugleich seine Stärken sichtbar. 

 

 

Sonntag, 23. August 2020

Bücher - eine eigene Welt

 

Bücher – eine eigene Welt

In der Hitze des Sommers, als jeder, der konnte, es wohl eher vorgezogen hat, in seiner Wohnung zu bleiben (Gott sei Dank haben wir recht angenehm kühle Räume im Altbau), da nahm ich mir vor, meine Bibliothek mit rund vierzig laufenden Metern Regale zu entstauben und die Bücher neu einzuordnen. Große und kleine, dicke und dünne Bücher standen dort und stapelten sich nämlich bereits mehrfach übereinander oder hintereinander.

So stieg ich auf die Leiter und begann meine Arbeit. Dazu nahm ich nun Buch für Buch in die Hand und entfernte mit einem großen Pinsel den Staub von ihnen. Ein ganz eigener Geruch von Staub und Papier stieg mir alsbald in die Nase. Das weckte sogleich verschiedene Erinnerungen in mir. Immer öfter hielt ich inne und betrachtete jedes einzelne Buch. Dabei fielen mir besonders bei den Büchern, die noch aus der DDR-Zeit stammten, wieder die Umstände ein, unter denen diese Exemplare damals in meinen Besitz gekommen sind. Oft waren es Lizenzausgaben westlicher Verlage, die nur in geringer Auflage hier im Osten erschienen. Solche Bücher gehörten, wie vieles andere auch, zur sogenannten „Bückware“, weil sie oft nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden.

Da war zum Beispiel der dicke, grüne Band mit Erzählungen von Heinrich Böll, ihn fand ich damals nicht im Buchladen, sondern im Konsum im Dorf neben Konservendosen und anderen Dingen des „täglichen Bedarfs“ im Regal ganz unten. Kaum jemand interessierte sich dort scheinbar für Bücher. Treffer! Das schmale Büchlein von Ulrich Plenzdorf „Die neuen Leiden des jungen W.“ entdeckte ich in einem Zeitungskiosk und zog hocherfreut mit meiner Beute los. „Homo faber“ von Max Frisch bekam ich durch  Beziehungen zu einem Buchhändler in der kleinen privaten Buchhandlung. Andere Titel tauschten wir mit Freunden aus. Bücher von Alexander Solschenizyn „Der Archipel Gulag“, Georg Orwell „1984“ oder A. Huxley „Schöne neue Welt“ standen nie in meinem Regal und wenn, dann versteckt in der zweiten Reihe. Nur heimlich habe ich sie  in diesen Jahren lesen können. Manches Exemplar wurde an der Westgrenze der DDR eben doch nicht entdeckt und fand seinen Weg zu seinen Lesern im Osten, obwohl jeder Westbesucher bei der Einreise von streng dreinblickenden Zöllnern  schroff gefragt  wurde: „Führen Sie Waffen oder Druckerzeugnisse bei sich?“ Bücher erschienen der SED-Parteiführung wohl gleichermaßen gefährlich, wie Waffen. Das aber nur mal als Anmerkung zur Zeitgeschichte. Bei vielen heute leider längst vergessen oder verdrängt. Auch diese Erinnerungen halten meine Bücher in mir wach.

Beim Säubern und Sortieren, kam mir auch wieder in den Sinn, dass zu der damaligen Zeit, jeder von uns, der bei seiner „Bücherjagd“ fündig geworden war, versucht hat, gleich zwei Exemplare zu erstehen. Nach dem Motto: „Nimm zwei“, dann hatte man etwas zum Tauschen. Meine Bücheraktion in diesem Sommer dauerte also mehrere Tage und wurde allmählich doch recht schweißtreibend, bis alles wieder an Ort und Stelle stand oder lag. Ähnlich lange würde es sicher dauern, wenn ich hier alle Einzelheiten und Begebenheiten, die mir wieder in den Sinn gekommen sind,  auflisten wollte. Was ich übrigens nicht geschafft hatte, war, mich von einigen meiner Büchern zu trennen. Zwar hatte ich dazu bereits einen hohen Stapel zur Seite gelegt, doch er wurde nach und nach immer niedriger und letztlich landeten alle meine Bücher wieder im Regal und fanden dort ihren Platz. Nach oben hin war ja in den Regalfächern auch noch Platz.

Bücher sind eine ganz eigene Welt. Nicht nur der Inhalt meiner Bücher gibt Einblicke in das jeweilige Zeitgeschehen und zeigt die Charaktere unterschiedlicher Menschen, sondern sie erzählen auch von den Umstände wie sie in mein Bücherregal gefunden haben. In diese Welt meiner Bücher, wollte ich hiermit einen kleinen Einblick geben. 

Ein regelrechter Hunger nach guter Literatur hatte uns nach der dürftigen Kost der sogenannten „Pflichtliteratur“ während der Schulzeit erfasst. Wir wussten danach zwar ganz genau, „wie der Stahl gehärtet wurde“ oder wie sich das „Neuland unterm Pflug“ anfühlt. Vor allem konnten wir die obligatorische Frage des Lehrers, was uns denn der Dichter damit sagen wolle, systemgerecht beantworten. Das hatten wir ja bestens gelernt, aber wir hatten in dieser Zeit auch gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und unsere eigenen Fragen zu stellen und anderswo Antworten zu suchen.

Im Kreis Gleichgesinnter begann damals ein reger Austausch der Gedanken und das Eintauchen in die Welt der Bücher. Es war wie ein Sog, der uns erfasst und beflügelt hatte.  „Hast du schon „Homo Faber“ von Max Frisch oder den „Steppenwolf“ von Hermann Hesse gelesen? Wer einen neuen Autor für sich entdeckt hatte, versuchte möglichst alle seine greifbaren Titel zu ergattern und zu lesen. Für uns waren diese 70iger und 80iger Jahre in der damaligen DDR eine spannende und zugleich angespannte Zeit. Es bahnte sich bereits etwas an, was noch keiner so richtig erahnen konnte.

Und dann durfte ich wirklich 1987 für wenige Tage in den Westen, offiziell die BRD, zu einem Besuch nach Bielefeld fahren. Dort stand ich nun in einer riesigen Buchhandlung und da standen auch all die Autoren, von denen wir damals nur träumen konnten. Mir gingen im wahrsten Sinne die Augen über. Ich musste schnellstens raus aus dem Laden. Diese Fülle hatte mich buchstäblich erschlagen, mir blieb fast die Luft weg. Beim zweiten Versuch erstand ich dann nach langem Suchen und Abwägen zwei dünne Paperback-Büchlein, die genauso schmal waren wie mein Budget.

Wenn ich jetzt auf all die Bücher, die Romane, Fachbücher und die dicken Bildbände in meinen Bücherregalen schaue, dann leben die vergangenen Zeiten wieder in mir auf. All diese Bücher zeigen mir zwar ihren Rücken, aber die Namen ihrer Autoren und die Titel darauf sind eine beständige Einladung, eine Einladungen, ein Buch zu nehmen, es aufzuschlagen, etwa zu verweilen und zu lesen. Manchmal finde ich in dem einem oder dem anderen Buch einen Zettel von mir mit einer handschriftlichen Notiz oder ein Exzerpt auf einer Karteikarte. Bemerkungen und Gedanken, die ich teils auch heute noch unterstreichen kann, anderes sehe ich inzwischen differenzierter, eben etwas anders. Beim Lesen guter Bücher, wird der Leser buchstäblich selbst Teil der Geschichten, wie er auch immer Teil der jeweiligen Zeitgeschichte ist. Zeit und Ort aber bestimmen auch seine Position und seine Sichtweise.

Und noch ein Gedanke kam mir in diesem Zusammenhang. Ist es nicht so, dass es beim Lesen von Weintrauben, also bei der Weinlese,  genauso wie beim  Lesen von Büchern, darum geht, die guten Beeren oder eben die guten Gedanken eines Buches zu lesen, aufzulesen, zu sammeln und das Wertvolle zu behalten? Dazu muss man wissen, dass das althochdeutsche Wort „lesan“  bereits im 8. Jahrhundert zu unserem heutigen Verb „lesen“ wurde. 

Lesen also sammelt die Gedanken und ordnet sie ein in ein größeres Ganzes. Gute Bücher kann man deshalb auch zweimal und öfter mit Gewinn lesen! Oder anders gesagt: Ohne Bücher wären wir und unsere Welt um einiges oder besser um vieles ärmer!

Mittwoch, 19. August 2020

„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur!“

 

„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur!“


Vielleicht kennen Sie dieses Sprichwort auch? Es klingt doch recht gut und erscheint auf den ersten Blick sogar sehr vernünftig. Auf den zweiten Blick hin stellt sich dann aber die Frage, was ist dann mit all den anderen Stunden, Tagen und Jahren des Lebens ohne Sonnenschein? Die Sonnenstunden machen doch oft nur einen Teil des Tages aus. An manchen Tagen schein sie überhaupt nicht. Und genau so ist es auch im Leben eines jeden Menschen.

Ja, was ist dann bitte mit der übrigen Lebenszeit, wenn sich unser Leben verdunkelt und die Sonne nicht scheint? Gehören nicht auch und gerade diese dunklen und schweren Stunden dazu? Es gibt doch wohl kein einziges Leben nur in Freude und Sonnenschein, ganz ohne dunkle Wolken. Denn es gibt auch keinen Tag ohne das Dunkel der Nacht, keine Liebe ohne Schmerz und vor allem kein Leben ohne das Sterben und den Tod. Auch wenn wir uns heute gern darüber hinwegtäuschen lassen und diese Wahrheit verdrängen. Was wäre das denn für ein Leben? Zählt nicht so manch einer in seinem Leid gerade die dunklen Stunden und hofft, dass sie vorüber gehen? Sie haben ihre ganz eigene Gewichtung und zählen zum Ganzen genauso dazu. Keiner kann sie einfach unterschlagen.

Natürlich darf sich jeder Mensch über die Sonnenstunden seines Lebens freuen, über alles Schöne und Heitere und sich dankbar daran erinnern. Die Zeit vergeht aber auch ohne Sonnenschein, auch wenn sich dichte Wolken vor die Sonne schieben und die Sonnenuhr diese Stunden nicht mehr anzeigen kann. Darum heißt diese Uhr ja Sonnenuhr. Denn allein durch den Stand der Sonne zeigte der Schatten des Zeigers die jeweilige Stunde des Tages an. Niemals bleibt die Zeit stehen, ob in guten wie in schweren Stunden.

Immer geht es weiter, auch wenn Sorgen, Schmerz und Trauer den Menschen treffen. Das ist für jeden Menschen eine ganz persönliche Herausforderung, die viel Kraft und Mut kostet. Das Leben verheißt ja auch keinem, dass er alles mit Leichtigkeit und Bravur meistert oder zum Nulltarif bekommen muss. Glücksmomente sind genau wie Sonnenstunden nicht selbstverständlich und schon gar nicht einklagbar. Sie haben immer Geschenkcharakter. Das aber vergessen viele Zeitgenossen, die nur noch von ihrem Anspruchsdenken bestimmt werden. Wer nur die schönen Stunden am Tag und im Leben zählt, der muss ja zutiefst enttäuscht und verzweifelt sein, wenn sie dann vielleicht sogar für längere Zeit ausbleiben.

Für alles Erreichte und Schöne im Leben darf und soll jeder Mensch natürlich besonders dankbar sein. Aber auch dann, wenn er dunkle Stunden und  Zeiten übergestanden hat und die Sonne wieder scheint. Rückschauend wird er vielleicht erkennen, dass in dieser Zeit andere Menschen an seiner Seite waren, die  ihn durch diese dunkle Zeit begleitet oder gar getragen haben. Diese Erfahrungen können einem Menschen sehr deutlich machen, dass nicht allein die Sonnenstunden als die schönen Stunden zählen, sondern auch und gerade die dunklen Zeiten ihren ganz eigenen Wert besitzen. Einen Wert, den man vielleicht erst viel später erkennt.

Was wäre denn das Leben ohne diese wertvollen Erfahrungen eines guten Miteinander und Füreinander?

 

Samstag, 23. Mai 2020



Ist gute Organisation doch nicht alles ?

Ein bisschen Abenteuer schon, aber mit etwas Komfort und gut geplant, das ist mir inzwischen wichtig. Und deshalb gehört eine entsprechende Checkliste unbedingt dazu. So auch bei der Reise nach Ost-Kanada im letzten Jahr. Für diese große Reise hatte ich alles gut vorbereitet und akribisch organisiert. 

Dank Google ist es sogar möglich, den günstigsten Supermarkt für den ersten Einkauf bereits von zu Hause aus zu finden und sich bequem am Bildschirm die Angebote anzusehen.  Also, alles super! Die Reise kann beginnen. Die Koffer sind gepackt, die Fahrkarten und die Bordkarten ausgedruckt, der Flug bestätigt, alles  bereit. Die Checkliste restlos und gründlich abgearbeitet. Nun sollte wohl nichts mehr schiefgehen, denn gute Organisation ist ja bekanntlich alles! 

Aber dann kam es doch ganz anders als gedacht. Ein kleines Versehen meinerseits hätte mir bald die Einreise in Halifax, Nova Scotia vermasselt. Kanada hat nämlich seit 2016 das elektronischer Einreiseverfahren e-TA eingeführt. Bereits in Deutschland muss sich deshalb jeder Reisende online registrieren. Beim Check-In auf dem Flughafen wurde dann aber festgestellt, dass meine e-TA nicht gültig sei. Beim Ausfüllen des Formulars hatte ich wohl anstelle der Null den Buchstaben „O“ in meine Pass-Nummer eingetippt. In deutschen Passnummern gibt es aber gar kein „O“. Um diese Erkenntnis war ich nun reicher, aber um einen höheren Aufpreis für die neue Beantragung ärmer. Doch wie sagt man so schön: „Aus Fehlern wird man klug, drum macht man nie genug!“ Nach diesem Schreck lief erst einmal alles wieder nach Plan und gut organisiert. In etwas mehr als sieben Stunden ging es über den großen Teich. Hotel und Camper waren vorgebucht, ebenso der Transfer am nächsten Tag zur Autovermietung. Wunderschöne drei Wochen in herrlicher Natur lagen nun vor uns. Einfach die Seele baumeln lassen. Alles war gut.

Bis, ja bis, gerade an meinem Geburtstag wieder alles anders kam als geplant. Nach einem vorzüglichen Mittagessen auf einer Terrasse mit Blick aufs Meer, orderte ich die Rechnung und da kam der nächste Schock. Die Kreditkarte funktionierte nicht! Bezahlung nicht möglich. Oh, wie peinlich. Zweiter Versuch. Nichts ging mehr. Anruf bei der Bank. Diese bestätigte die permanente Sperrung meiner Kreditkarte wegen eines unerlaubten Zugriffs auf mein Konto von einem Schnellrestaurant in Brasilien aus. Meine neue Kreditkarte sei jedoch bereits auf dem Postweg zu mir nach Hause. Na toll, denn wir waren ja noch zehn Tage in Kanada. Das nennt man dann wohl eine globale, schöne neue Welt. 

Jetzt hieß es erst einmal, alle Barmittel zusammenkratzen und den Gürtel enger schnallen. In dieser Situation half nun auch die beste Organisation nichts mehr. Improvisation war angesagt. Trotz gewisser Einschränkungen sind wir doch noch recht gut über die Runden gekommen und schließlich wieder zu Hause gelandet. Dafür konnten wir dann spannend über unsere Pleiten, Pech und Pannen berichten. 

Jetzt aber steht ganz oben auf meiner Checkliste ein neuer Punkt: Zweite Kreditkarte beantragen! Bei der nächsten Reise sollte dann wohl nichts mehr schiefgehen! Aber man weiß ja nie. Und tatsächlich, im Frühjahr 2020 überraschte uns alle die Corona-Pandemie. Sie machte wieder auf einen Schlag alle Planungen und die beste Organisation zunichte. Diesmal aber nicht nur meine. Unsere neuen Reisepläne und Buchungen lösten sich einfach ins Luft auf. Alles storniert. Wie heißt es doch so schön: „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt“.

Damit hatte sicher keiner in diesem Ausmaß gerechnet. Ist es nicht unfassbar, wie ein so kleines Virus so viele Pläne und Vorhaben weltweit zum Platzen bringen kann? Da kommt das beste strategische Denken und Handeln schnell mal an seine Grenzen. Eine nicht ganz neue Erkenntnis heißt doch, dass nicht alles hundertprozentig planbar und schon gar nicht machbar ist. Aber wer glaubt das schon? Doch es gilt nach wie vor, auch oder gerade in unserer komplexen und bis ins Detail durchorganisierten Welt. Trotz genauester Organisation und vorausschauender Planungen bleiben stets gewisse Risiken und Unwägbarkeiten. Wer sich dessen bewusst ist, für den sind dann solche Abweichungen nicht nur böse Überraschungen, sondern Herausforderung zum spontanen und kreativen Denken und Handeln.

Anders ausgedrückt: Gute Organisation ist nicht alles, aber ohne Organisation ist alles nichts!





Sonntag, 3. Mai 2020




Kommt, spielt mit uns…

das scheinen  diese Elektroroller den vorübergehenden Passanten zu zurufen. Denn meistens sehe ich sie ungenutzt und gelangweilt auf den Fußwegen und den Plätzen der Stadt herumstehen. Für manche sind sie ein Ärgernis, für andere ein großer Spaß. Gelegentlich sieht man auch einmal "große Jungs“ oder "mutige Mädels“ damit fahren. Einigen von ihnen würde zwar ein wenig körperliche Betätigung auf einem Fahrrad oder zu Fuß sicher nicht schaden. Es stellt sich dem Beobachter doch die Frage, ob die E-Roller nur als Freizeitspaß für junge Leute und für Touristen auf Sighseeing-Tour da sind? Diese Frage beantwortet natürlich jeder aus seiner persönlichen und jeweils unterschiedlichen Sicht. Dabei prallen die Meinungen schon einmal hart aufeinander.

Für die Befürworter stellen die E-Roller die optimale Lösung von Verkehrsproblemen dar. Die Hersteller preisen sie  selbst als innovative Spitzenprodukte und als ökologisch unübertroffen an. Ihre, in höchsten Tönen, gerühmte Effektivität kommt dabei fast an ein Perpetuum Mobile heran. Null Emission, leise, sauber, praktisch gut! Einfach ein Muss für jeden fortschrittlichen Zeitgenossen. Die E-Roller revolutionieren nach Ansicht ihrer Befürworter den innerstädtischen Verkehr und reduzieren dabei die Umweltbelastung enorm. Die CO² Reduzierung ist ja für sie zur Schlüsselfrage der menschlichen Existenz in Gegenwart und Zukunft geworden.

Bei einer etwas differenzierteren Sichtweise stellt sich das natürlich etwas anders dar. Das Ganze wird hier als aufgebauschter "Roller-Rummel" angesehen und  ihre Vermarktung als offenkundige Strategie zum Geldverdienen entlarvt.  Nicht nur die Roller, sondern auch die Dollar sollen schließlich rollen. Ja, ihre Nutzung hat nämlich auch seinen Preis. Die Kampagne bei ihrer Einführung aber war  so gut und medienwirksam gemacht, sodass selbst erfahrene Politiker darauf hereingefallen sind und grünes Licht für ihre Nutzung im öffentlichen Bereich gegeben haben. Der versprochene Effekt für die Umwelt sei reine Augenwischerei. Leicht durchschaubar und ein großer Werbegag, basierend auf einer naiven Milchmädchenrechnung. Wesentliche Details bei der Produktion werden nämlich gern verschwiegen oder "harmonisiert". Alternative Fakten eben. Es fehlt ein kritischer Blick auf die Herstellung der Batterien und deren spätere Entsorgung, auf den Verbrauch wertvoller Ressourcen und auf die Gewinnung der Rohstoffe unter sehr bedenklichen Arbeitsbedingungen in den armen Förderländern. Von den Wartungskosten und Aus- und Unfällen sei gar nicht erst zu reden.

Doch sei es wie es sei. Ich sehe die E-Roller jedenfalls in unserer Stadt, wie es das Bild oben zeigt, meistens nur herumstehen. Da kann es mit einer optimalen Nutzung und ihrer Effektivität doch nicht allzu weit her zu sein. Das aber sagt schon einiges über ihre ökologische Notwendigkeit aus. Es wird auch sehr schnell deutlich, Verkehrsprobleme können so nicht gelöst werden. Zudem sind die E-Roller nun wirklich nicht für alle Verkehrsteilnehmer geeignet. Viel zu wacklig auf zwei Rädern und damit ungemein unsicher im Straßenverkehr. Wer also braucht sie wirklich?

Daher nur mal so ein Gedanke, vielleicht sollten die Entwickler und Produzenten mal über ein Nachrüst-Set mit Stützrädern und einem großen Gepäckträger nachdenken? Denn vor den Supermärkten sind diese E-Roller nicht anzutreffen. Nicht geeignet für den Einkauf. Wäre da nicht auch eine Kupplung für einen Anhänger zum Transport von Getränkekisten sehr praktisch und hilfreich?   Bei genauerer Betrachtung  kommt man also schnell zu der  Erkenntnis, dass die E-Roller eigentlich nur für dem Freizeitspaß dienen. 

Das aber ist doch nichts Neues, denn genau zu diesem Zweck gab Roller auch schon in meiner Kindheit.  Der Unterschied war nur, dass es Tretroller waren und nicht so viel Wesen darum gemacht wurde. Zudem war ihre Entsorgung kein Problem, denn sie   waren vor-wiegend aus Holz. 

Meine heutigen, vielleicht nicht ganz ausgereiften Gedanken, sind mir schon vor längerem beim Anblick eben dieser, überall herumstehenden, E-Roller in den Sinn gekommen. Natürlich ist  nicht alles so ernst gemeint, aber vielleicht doch des Nachdenkens wert.  

Bleibt doch auch hier die Frage, ist denn alles was technisch möglich und machbar ist, auch wirklich nötig und sinnvoll?



Samstag, 25. April 2020


Leere, überall Leere..

Was wird bleiben nach CORONA? In diesen Tagen und Wochen mitten in der Corona- Krise sind die Menschen aber vorerst noch mit ihrem eigenen Leben und Überleben in dieser bedrohlichen Lage beschäftigt. Die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft werden von immer neuen Fällen und von der sich rasant ausbreitenden Seuche buchstäblich angetrieben. Entscheidungen von gestern sind heute schon wieder hinfällig. Die fast schon vergessene Tugend der Geduld, wird nun wieder häufig beschworen, denn keiner weiß ja wirklich, wie es weitergeht. Genau das ist in so vielen lebenswichtigen Bereichen des Landes und auch im persönlichen Leben der Menschen weltweit ein riesengroßes Problem. Die plötzliche Leere im Land und der Umgang damit, erscheint ein wachsendes und sich ausbreitendes  Phänomen zu sein. Leere Städte, leere Plätze, leere Sportstadien, leere Kirchen bei Gottesdiensten ohne Gemeinden. Diese Bilder bleiben wohl im Gedächtnis Vieler und prägen die Erinnerung. Was ist denn schwerer zu ertragen, als dieser ungewohnte, allgegenwärtige Stillstand in fast allen Bereichen des öffentlichen und des privaten Lebens?

Dazu kommen immer wieder leere Regale in den Supermärkten, weil Menschen egoistisch nur an sich denken und „hamstern“. Diese Leere bedeutet doch auch gleichzeitig  Stillstand in großen Teilen der Wirtschaft und dadurch leere Kassen. Das sind riesige Herausforderungen in einem, bis dahin ungeahnten Ausmaß, welches noch keiner wirklich abschätzen kann. Da helfen keine leeren Worte, "wir schaffen das" oder so ähnlich. Natürlich werden wir, die Menschen, das alles irgendwann und irgendwie schaffen. Haben es doch Menschen vor uns nach schwierigen Zeiten und großen Nöten auch geschafft, aber es wird wohl manches, was bis dato so selbstverständlich für uns war, nicht mehr so sein können, wie es einmal war.

Abstand halten ist jetzt angesagt in Zeiten des verordneten Kontaktverbotes im Land.  Die Infektionskette soll und muss unterbrochen werden. Das bedeutet Abstand von anderen Menschen, aber auch von lieb geworden Dingen und Veranstaltungen. Regelmäßig zum Sonntags-Brunch, geht nicht mehr, Theater und Konzert, findet nicht statt, Reisen und Wellness, sonst so selbstverständlich, Fehlanzeige. Was bleibt da noch? Die Familie in der manchmal recht engen Wohnung. Das kann schnell zum Problem werden. Da braucht es eben viel Geduld und Rücksichtnahme. In einer Zeit und Gesellschaft, in der immer etwas los war, in der alles gleich und sofort sein musste, da sind die Erfahrung, auf sich allein verwiesen zu sein und das Warten, ein riesiges Problem für die meisten Menschen.

Wenn sich das pulsierende Leben aus dem öffentlichen Raum zurückzieht, bleibt nur noch die Leere zurück. Da nehmen die Aggressionen zu  und die Frustration wächst. Schon der französische Philosoph Blaise Pascal im 17. Jahrhundert wusste von dieser Schwäche der Menschen. Er schrieb: „Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“.

Das  einzuüben und die Leere sinnvoll zu füllen, ist auch eine Chance dieser Tage. So kann man von sehr kreativen Ideen hören und lesen. Menschen  singen und musizieren gemeinsam und bleiben so über die neuen Medien miteinander verbunden.  Kerzen und Regenbogenbilder in den Fenstern der Häuser drücken Solidarität aus. Grüße  an die Helfer im Gesundheitswesen oder in den Supermärkten, die mit großem Einsatz für andere da sind, werden in Rundfunk- und Fernsehsendungen übermittelt. 

Zwar bedeutet die aktuelle Kontaktsperre für alle, den äußeren Abstand zu halten, aber auch die Chance, sich wieder innerlich näher zu kommen, aneinander zu denken und solidarischer zu leben. Besondere Umstände erfordern auch besondere Maßnahmen und Verhaltensweisen. Leben ist und bleibt Veränderung!

Das dürfte wohl die eigentliche Lehre aus der Leere sein und eine wesentliche Erfahrung  nach der Corona-Krise. Nicht alles wird danach wieder so sein, wie es vorher einmal war und das muss und soll es auch nicht!