Montag, 28. April 2014

Der Stein der Weisen?

Gerade hier vor den „Frankeschen Stiftungen“ in Halle (Saale), die ihre Anfänge am Ende des 17. Jahrhundert haben, wäre sicher ein geeigneter Platz dafür. Ging es doch zu allen Zeiten an diesem Ort um Bildung, Wissen und das Streben nach Weisheit. Neben verschiedenen Bildungseinrichtungen befindet sich heute das IZEA, das „Interdisziplinäre Zentrum für die Erforschung der europäischen Aufklärung“, auf diesem Areal.

Wir leben in einem aufgeklärten Zeitalter! Das ist die durchgängige Meinung der meisten Menschen in unserem Land. Alles, was vorher war, gilt als unaufgeklärt, unwissenschaftlich und mittelalterlich. Und das Mittelalter war doch nur finster und abergläubig. Dieses Klischee wird immer wieder neu bedient. Dabei wird sehr leichtfertig mit dem Begriff  „Aufklärung“ umgegangen. Wer vermag schon auf Anhieb zu sagen, was das eigentlich ist?

Aufklärung hat etwas mit „klar werden“ zu tun. Der aufgeklärte Mensch gewinnt eine Klarheit, eine Erleuchtung, eine Einsicht. Er erkennt etwas in einem neuen Licht. Und in welchem Licht? Natürlich, in dem seiner vermeintlichen Urteilskraft, wie Rousseau sagt. Wer heute vorschnell von aufgeklärt spricht, muss sich also fragen lassen, worüber er eigentlich aufgeklärt ist, wodurch, für wen und wozu?

Wenn so vollmundig von einem Zeitalter der Aufklärung gesprochen wird und gar von einer Wissensgesellschaft, dann stellen sich jedoch gewisse Fragen: Was ist wichtig, was ist nützlich, gewusst zu werden? Was ist würdig, erforscht zu werden und worin besteht der Wert des Wissens? Das sind wichtige philosophische Fragestellungen. 

In der heutigen medialen Zeit wird oft so getan, als hätten nur wir heutigen Menschen den Stein der Weisen längst gefunden. Dabei werden aber nur Meinungen als Wissen verkauft. Meinungen aber sind immer irrtumsanfällig und sehr subjektiv gefärbt. Echtes  Wissen hat der einzelne nur, wenn er es auch persönlich auf seine Richtigkeit überprüft hat. Wem aber ist das in den meisten Fällen überhaupt möglich? Wissen muss also stets selbst erworben worden werden. Darum sollten wir einfach bescheidener mit dem Begriff des Aufgeklärtseins und des Wissen umgehen. Das meiste Wissen kommt doch aus zweiter oder dritter Hand und bleibt im Grunde nur die Meinung anderer Menschen, die wir oft gedankenlos übernehmen. Und das auf allen Gebieten und natürlich mit allen Risiken und Nebenwirkungen!

Der Weg zu echter Aufklärung ist, dass wir lernen, gut und richtig zu urteilen. Es ist also viel wichtiger für uns alle, eine gute Urteilskraft zu entwickeln, als den vermeintlichen „Stein der Weisen“ zu suchen. 

Donnerstag, 24. April 2014

Gebote – nein danke!

So denken und handeln heute wohl viele Menschen und das nicht nur, wenn sie das Parkverbot ignorieren oder andere Regeln ganz einfach verletzen. Gebote, Verbote und Vorschriften aller Art stehen nicht hoch im Kurs. Keiner möchte sich mehr etwas vorschreiben lassen. Die stark ausgeprägte Individualität lässt heute oft das Gemeinwohl in den Hintergrund treten. Deshalb werden in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens Regeln und andere Vorgaben als Einschränkung der persönlichen Freiheit angesehen. Es herrscht die verbreitete Meinung vor, dass kein Staat, keine Kirche oder eine sonstige Instanz das Recht hat, meine persönliche Freiheit einzuschränken.

Die Freiheit wird so zum höchsten und einzigen Gebote erklärt, welches über allen anderen steht. Deshalb lautet die Maxime: „Du sollst frei sein, Du sollst Dich selbst verwirklichen, Du sollst dein Leben in vollen Zügen genießen, du musst dich durchsetzen“. Diese Forderungen bestimmen nun zwanghaft das  persönliche und  das öffentliche Leben, sowie das Denken und Handeln jedes einzelnen Menschen. Dadurch entsteht ein regelrechter Zwang zu einer falsch verstandenen Freiheit: „Du sollst frei sein!“ Diese viel gerühmte Freiheit schwindet natürlich schnell dahin, wenn sich der Einzelne völlig frei gegen die vorgegebenen Meinungen und Trends stellt und so die Doktrin des Mainstream verletzt.

Wir rühmen uns zwar in diesem Land unserer Pressefreiheit, die ach so frei ist, dass nur noch zählt, was Auflagen bringt, aber sie ist streckenweise völlig frei von jeglicher Wahrheit und gutem Geschmack. Im sogenannten freien Europa genießen wir die grenzenlose Freiheit und darüber können wir auch  froh sein. Der freie Markt erstreckt sich aber auch auf die dunklen Praktiken und Machenschaften mit all ihren Negativfolgen. Da floriert zum Beispiel der Handel mit Drogen, mit Waffen und mit Frauen bestens. Die Gewinne sind enorm, der Schaden für das Ganze aber auch. Es ist doch einleuchtend, dass dort wo Grenzen fallen, Vorschriften und Gebote nicht mehr für voll genommen werden, der Missbrauch der Freiheit rasant ansteigt.
Täglich hören wir in den Medien von Gewalt, Betrug, Datenklau im Internet, Korruption, Wirtschafts- und Umweltkriminalität, Mord und Totschlag. Ist das der Preis der Freiheit, die doch alle wünschen? Das macht auch Angst. Wer zahlt den Preis für eine solch „grenzenlose“ Freiheit? Was ist das denn für eine Freiheit, wenn jeder meint, er könne machen, was er will? Nach dem Motto: Gebote, nein danke!

Da lässt die Gegenreaktion natürlich nicht lange auf sich warten: Freiheit, nein danke! Der  Ruf nach Recht und Ordnung wird schnell laut und lauter. Aber was wird das für ein Recht sein? Wir erleben es immer wieder neu. Es finden sich schnell Mächte, die bereit sind, die Ordnung mit Gewalt durchzusetzen und natürlich vor allem ihr Recht und ihre Ordnung zu etablieren!

Bekanntlich endet  die Freiheit immer dort, wo sie die Freiheit anderer antastet und verletzt. Das geschieht immer wieder und dabei werden die Freiheit und die Rechte der Menschen mit Füßen getreten. Manches  sogar getarnt unter dem Deckmantel der Freiheit. Bekanntlich trifft  es immer die Schwächsten. Wo aber Recht und Ordnung aus einer Willkür von einzelnen Menschen erwachsen, da wird es  keine echte Freiheit geben.

Der Slogan: „Gebote, nein danke“ ist deshalb genauso falsch, wie der Ausruf: „Freiheit, nein danke“ ein gravierender Irrtum ist, der sich schon bald rächen wird. Und noch eins zum Schluss: Es gibt keine Freiheit ohne Bindung und Verbindlichkeit.

Freitag, 11. April 2014

Mensch und Tier

 „Schau doch mal, so ein elender Klepper“, die Fotoapparate klicken, die Kameras summen, „der bricht doch bald zusammen, das ist ja Tierquälerei.“ Alle Blicke waren auf den klapprigen Gaul gerichtet, der so eine Art großes Rührwerk bewegen musste, indem er an einer langen Stange immer im Kreis herum trottete. Staub und Dreck bedeckten sein Fell. Hier in Paraguay in der Töpferstadt Tobati gibt es noch sehr viele solcher Manufakturen zur Ziegelherstellung. 

Alles noch echte Handarbeit. Körperlich schwere Arbeit, nicht nur für das Pferd, sondern auch und gerade für die Männer, die in der Hitze des Tages aus der braunschwarzen Tonmasse mittels einfacher Holzformen Ziegel herstellen und sie in der Sonne trocknen lassen. 

Den kleinen, drahtigen Mann im Hinter-grund vor einem Berg einer dunklen Tonmasse hatten wir erst gar nicht wahrgenommen. Sein T-Shirt war Schweiß getränkt und es bekam langsam die Farbe des grauen Tons. Der große Strohhut auf seinem Kopf sollte ihn ein wenig vor  der brennenden Sonne schützen. Er war es scheinbar gewöhnt, dass die Touristen stehen blieben,  um ihre Fotos zu schießen. Ob er wohl wusste, warum die Fremden ihre Bilder machten? Sicher nicht. Was gab es denn da schon besonders zu sehen? Für ihn und die anderen Arbeiter war es seine Arbeit. Harte, drückende Last und das Tag ein Tag aus. Er ließ sich schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen, auch heute nicht. Für ihn gab es keine Pause. Am Ende des Tages musste die Anzahl der geformten Ziegel stimmen, damit auch der Lohn stimmte. Die Familie wartete schon auf darauf

Was hatten die westlichen Touristen doch gleich gesagt? „Das arme Pferd!“ Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf.  Darum frage: "Was ist dann eigentlich mit den Menschen, die sich unter solchen oder noch schlimmeren Arbeitsbedingungen täglich schinden müssen?"

Freitag, 4. April 2014

Ein Foto, das nie gemacht wurde

Auf meinen Reisen durch viele Länder dieser Erde habe ich in den vergangenen Jahren tausende Fotos gemacht. Es gibt aber auch Bilder, die sich mir auf eine ganz andere Weise eingeprägt haben. Sie sind weder auf einem Film noch auf einer Speicherkarte festgehalten, sondern nur in meinem Gedächtnis. Es sind Bilder von Menschen in schlimmen Lebenssituationen, bei denen sich buchstäblich meine Kamera geweigert hat,  sie zu fotografieren. Ein solches Bild, das nie gemacht wurde, möchte ich hier einmal beschreiben.  

Obwohl seitdem nun schon viele Jahre vergangen sind, steht mir dieses Bild noch immer deutlich vor Augen. Es ist für mich nach wie vor beeindruckend und es wird nun wieder ganz lebendig in mir. Ich schmecke förmlich  noch den Staub in der dünnen Luft und die spüre das Holpern der Räder unseres Autos auf der, mit tiefen Schlaglöchern übersäten, unbefestigten Piste auf der Hochebene des Altiplano auf unserer Fahrt nach La Paz in die Hauptstadt Boliviens. Mit ihrer Lage in einer Höhe von 3200 bis 4100 Metern, ist diese Stadt der höchst gelegene Regierungssitz der Erde. Doch es ist ganz und gar keine Idylle. Die Fahrt dorthin erscheint eher etwas unwirklich. Auf der breiten, staubigen Piste suchten sich die Fahrzeuge nach Gutdünken ihren Weg, um so den größten Löchern und anderen Hindernissen auszuweichen. Klapprige Busse halten plötzlich an und Menschen kommen von irgendwo her und drängen sich in den überfüllten Bus. Schon fährt er mit lautem Knattern und in Staub gehüllt weiter in Richtung Stadt. Es muss immer alles ganz schnell gehen. Anhalten ist gefährlich. Auch hierbei setzt sich wieder einmal der Stärkere durch.

Und dann dieses Bild. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich endlich begriff, was ich da eigentlich sah. Es tauchten aus dem braun/grauen Nichts staubbedeckte Gestalten neben unserem Pickup auf. Frauen und Kinder, die an der stark befahrenen Piste mit Schaufeln und auch mit ihren kleinen, klammen Fingern Erdklumpen, Steine und Sand in die tiefsten Löcher der Fahrbahn warfen. Sie achteten dabei nicht auf die vorüber rumpelnden Autos und schon gar nicht auf die Gefahr, unter deren Räder zu geraten. Erst viel zu spät habe ich realisiert, was ich da gesehen hatte. Doch da waren wir schon vorbei. 

Was so unwirklich aussah, war wohl die hilflose Geste dieser armen und schwachen Menschen, auf sich und ihre Not aufmerksam zu machen. Ohne Worte, die ja doch nur im Lärm untergegangen wären, sagten ihre traurigen Blicke: „Wir wollen ja gar nichts geschenkt, wir versuchen mit unserer Hände Arbeit, die Schlaglöcher auf der Fahrbahn auszubessern, damit ihr mit euren großen Autos darin nicht stecken bleibt. Bitte gebt uns dafür eine kleine Gabe für unsere Mühen, damit auch wir leben können“.