Mittwoch, 29. Januar 2014


Rücksicht & Vorsicht


Zuerst der Blick in den Rückspiegel, dann den Blinker setzen und los geht die Fahrt. Das haben alle Führerscheininhaber  in der Fahrschule gelernt. Das steht such schon in in § 1 der Straßenverkehrsordnung. Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert von allen ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme.
Wie es damit im Alltag aussieht, das kennt jeder selbst zur Genüge. Es wird gedrängelt, gerempelt, gerast und geschimpft. Rücksicht und Rücksichtnahme werden eher kleingeschrieben. Zwar möchte jeder mit seinen eigenen Interessen und Belangen immer und überall sofort berücksichtigt werden, aber er selbst ist dazu oft nicht bereit. Manche scheinen es da besonders schwer zu haben, diese Sozialkompetenz zu entwickel.  Sie haben es auch niemals gelernt. Immer und überall drehte sich alles nur um sie. Alle Wünsche wurden ihnen ganz selbstverständlich erfüllt.
Wie anstrengend das sein kann, wenn ein Kind nicht gleich seinen Willen bekommt, kann man häufig im Supermarkt vor dem Regal mit den Süßigkeiten gut  beobachten. Oft sind die Eltern total überfordert und geben dem Drängen der Kinder entnervt nach. Klare „Ansage“, Fehlanzeige. Wer am lautesten schreit, setzt sich eben durch. Keine Rücksicht auf Verluste. Diese Fehlentwicklung bleibt aber nicht ohne negative Folgen für andere Menschen, die später darunter zu leiden haben.
Rücksichtslose Menschen schauen nicht in den Rückspiegel, um die anderen zu sehen und auf sie zu achten. Nein, sie haben ihre „Spiegel“ so eingestellt, dass sie sich nur selbst darin sehen. Damit geraten alle anderen aus ihrem Blickfeld. Das führt nicht nur zu Unfällen im Straßenverkehr, sondern zu manchen menschlichen Fehlverhalten.
Auch die mangelnde Vorsicht im Alltag verursacht häufig  Probleme im Miteinander. Damit meine ich nicht eine Form von Ängstlichkeit, die sogar mehr behindert und dadurch andere gefährdet. Gemeint ist die Vorsicht im Sinne von Voraussicht. Das bedeutet, mit möglichst großer Weitsicht die eventuellen Folgen abzuschätzen, die eine anstehende Entscheidung nach sich ziehen kann. Darum stellt sich die Frage, was kann geschehen, wenn ich dieses oder jenes tute oder lasse? Welche Veränderungen treten dabei an anderer Stelle auf? Die Vorsicht ist also eine Sichtweise, die nicht nur sich selber sieht, sondern auch andere Menschen im Blick hat. Es gilt dabei immer, was mir gut tut, dass darf nicht gleichzeitig anderen schaden. Keiner darf dadurch ein Nachsehen haben.
Vorsicht und Rücksicht sind also zwei ganz wichtige Sichtweisen und gleichzeitig zwei Handlungsanweisungen, nicht nur für den Straßenverkehr, sondern für jedes gelingende Zusammenleben von Menschen. Damit jeder gut und sicher ankommt.




Samstag, 25. Januar 2014


 Geduld, mehr als eine Tugend für den Warteraum


Die heutige Leistungsgesellschaft fordert ihren Preis. Das ist die Leistung, die täglich von allen erbracht werden muss. Nur wer etwas leistet, wer in seinem Beruf und im Leben tüchtig ist, der kann sich auch etwas leisten. Ganz klar! Nun haben aber die Götter „vor den Erfolg den Fleiß gesetzt“, wie man so schön sagt. Und das stimmt genau. Darum muss jeder, der etwas leisten will, sich die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen. „Dem Tüchtigen gehört die Welt“. Das zahlt sich ja auch aus. Um dieses Ziel zu erreichen, muss viel Fleiß und Energie aufgewendet werden. Bis hier hin ist das wohl allen völlig einsichtig.
Doch es gibt noch eine andere Tüchtigkeit oder auch Tauglichkeit genannt, die den ganzen Menschen betrifft. Es sind all die Fähigkeiten, die einen Menschen erst ausmachen, will er nicht als „Taugenichts“ dastehen. Auf einige dieser Tugenden möchte ich nun etwas näher eingehen. Das Wort Tugend klingt in den heutigen Ohren etwas antiquiert und wird leicht belächelt. Es gibt moderne Tugenden, die auch heute ihre Bedeutung haben. Das alte Wort Tugend kommt von taugen, etwas taugen, zu etwas nütze sein. Diese Tugenden befähigen den Einzelnen dazu, ganz Mensch zu werden. Wie nun das Tun eines Menschen aussieht, hängt wohl oder übel  von diesen Grundhaltungen ab, die er sich im Laufe des Lebens erworben hat. Auch diese  fallen ihm nicht einfach in den Schoss. Genau so wie fachliches Wissen durch Anstrengung erworben werden muss, gilt das erst recht für das Miteinander aller Menschen. Hier sind heute besonders viele Defizite zu beklagen. Durch einen übersteigerten Egoismus gerät der Mitmensch leicht aus dem Blick. Für ein gutes Miteinander sind deshalb in unserer heutigen Zeit einige Tugenden einfach unverzichtbar. Sie können uns helfen, dass es nicht ständig im Getriebe unseres Zusammenlebens knirscht.
Es wäre hier als erstes das Verantwortungsbewusstsein zu nennen, das heißt,  Bereitschaft zu zeigen, Verantwortung für andere zu übernehmen. Die Toleranz ist eine zweite Tugend, die anerkennt und erträgt, dass andere das Recht haben, anders zu denken, zu fühlen und zu handeln. Das bedeutet aber nicht, dass auch alles für gut befunden wird, aber es wird ertagen und erduldet, denn das heißt Toleranz. Auch die Friedensliebe wäre hier zu nennen. Sie ist stets bereit, Kompromisse zu schließen, um den Frieden zu erhalten oder neu zu stiften. Dabei verzichtet jede Seite großzügig  auf den eigenen Vorteil. Die Vorurteilslosigkeit dient als Brücke zu anderen Menschen, die jeden anerkennt, wie er ist und ihn gelten lässt. Die Tugend der Aufgeschlossenheit ist ein Zeichen für geistiges Jungsein und Frische. Die Diskretion ist eine Tugend, die nicht groß von sich Reden macht und die keinen bloßstellt. Sie verzichtet darauf, Negatives über einen anderen Menschen anzuhören oder weiterzugeben. Ebenso ist die Tugend der Wiedergutmachung  ein wichtiger Versuch, der zur gerechteren Gestaltung dieser Welt beiträgt. Schieflagen werden durch sie wieder ins rechte Lot gebracht. Ganz wichtig in unserer oft so freudlosen Zeit ist die Freundlichkeit. Sie versteht sich als eine ganz menschliche Geste im Alltagsleben und führt zu einem entspannten Miteinander. Die Dankbarkeit ist schließlich viel mehr, als nur ein dahingesagtes Dankeschön. Sie ist ein dankbares Denken und Bewahren des erfahrenen Guten. Zum Schuss sei noch die Geduld genannt, denn sie ist nicht nur eine Tugend für alle Knobler oder für den überfüllten Warteraum und im Stau auf der Autobahn. Geduld lässt den Menschen in unerwarteten Situationen ruhig und besonnen reagieren. 

Alle diese Tauglichkeiten oder nennen wir sie ruhig weiterhin Tugenden, können uns allen helfen, unser alltägliches Zusammenleben menschlicher und schöner zu machen.

Donnerstag, 23. Januar 2014









Was Halt gibt



Von den Bäumen können wir Menschen vieles lernen. Was das ist, das sehen wir eindrucksvoll auf dem Bild. Ein Baum klammert sich mit seinen Wurzeln förmlich an den harten Felsen des Abgrunds, an dem er steht. Viel ist es nicht, was dieser Standort an Lebensqualität zu bieten hat. Doch der Baum hat es gelernt, seinen Halt in den Spalten und Ritzen im Fels zu finden. Ebenso zieht er seine Nahrung aus der Tiefe, in der sich das Wasser zum Leben und Überleben befindet. Der lebensfeindliche Felsen wird von den Wurzeln regelrecht umfangen und von den kleinen Wurzeln geduldig durchdrungen. Der Lebenswille des Baumes und seine Beharrlichkeit führen zum Ziel. Der harte Fels, der das Leben behindert und bedroht, wird gleichsam von den Wurzeln des Baumes umschlungen. So wird das Hindernis selbst zum stärksten Halt. 
Auch menschliches Leben ist hineingeworfen in eine bestimmte Zeit, Situation und an einen Ort, den sich keiner selbst aussuchen kann. Für viele Menschen auf dieser Erde, sind das nicht immer gerade menschenfreundliche und komfortable Orte. Vergleichbar dem Standort des Baumes auf dem Felsen. Nicht jeder findet so günstige Bedingungen vor, wie die meisten von uns. Wenn auch für die Menschen der Standort des Lebens nicht ein für allemal festgeschrieben ist, stellt sich doch die Frage, wo ist der Mensch eingewurzelt. Wo findet er seinen Platz in der Gesellschaft? Was gibt ihm letztlich Halt in seinem Leben? Woher nimmt er die Kraft und den Willen, die Härten und die Hindernisse in seinem Leben, als das zu erkennen, was sie sind, Hindernis und Stütze zugleich. Besonders der heutige Mensch muss nach einer Tiefe suchen, die ihn nähren kann. Frühere Stützsysteme wie Familie, Glaube und Tradition sind weitgehend weggebrochen. Individualität, Flexibilität und Mobilität sind an ihre Stelle getreten. Eine fehlende Vertiefung echter Beziehungen  führt deshalb leicht zu Bindungslosigkeit und Oberflächlichkeit. Für alles muss es heute eine schnelle und schmerzlose Lösung geben. Wer aber jedem Hindernis auszuweichen versucht, der  verliert leicht den Blick für die ganze Wirklichkeit. 
Mit Hindernissen leben, heißt auch immer nach alternativen Möglichkeiten zu suchen und die eigenen Kräfte zu entwickeln. Dagegen wird jeder kraftlos, der alle Anstrengungen scheut und stets den bequemsten Weg sucht. Das Krankmachende und Bedrückende in unserer heutigen Zeit sind nicht zuallererst die unerträglichen Belastungen des Alltags. Es ist vielmehr die Tatsache, dass den Menschen eingeredet wurde und wird, für alles gibt es eine schnelle und leichte Lösung. Das aber ist ein großer Irrtum. Menschen, die diesem erliegen, werden unweigerlich krank, denn die Enttäuschung darüber, dass sie in einer permanenten Täuschung gelebt haben, lässt sie den letzten Halt verlieren. Ihr emotionales Wurzelwerk ist unterentwickelt und trägt sie nicht. So landen sie auf der Couch beim Psychotherapeuten, von dem sie nun all das erwarten, was sie selbst nicht geschafft haben. Der Bestsellerautor Manfred Lütz, einer der bekanntesten deutschen Psychiater benennt dieses Problem in seinem Buch: „IRRE! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen“. Dem schließe ich mich gerne an und stimme seiner Meinung zu: „Heute wird jedes Seelengrummeln therapiert. Vielen Hilfesuchenden wäre mit einem Freund besser geholfen“.
Genau das können wir von den Bäumen lernen, sie leben aus der Tiefe ihres Wurzelgeflechts und stehen am sichersten mit anderen Bäumen zusammen im Wald. Das gibt ihnen Stütze und Halt.

Sonntag, 19. Januar 2014


„Ein Leuchtturm am Ende der Welt“

Leuchttürme sind einfach faszinierend. Überall an den Küsten der Welt stehen sie. Ihre Leuchtfeuer haben über lange Zeit Schiffen und deren Besatzungen eine sichere Route gewiesen und sie vor Untiefen und Klippen gewarnt.
Genau wie der Leuchtturm am Ende der Welt, der in der Nähe des berüchtigten Kap Horn am südlichsten Punkt Südamerikas steht. Durch den Abenteuerroman „Der Leuchtturm am Ende der Welt“ von Jules Vernes, der 1906 erstmals erschien, hat solch ein Turm und seine Besatzung Berühmtheit erlangt. Doch um diese spannende Geschichte geht es hier nicht.
Mich hat dieser Leuchtturm, dort auf dem kargen Eiland, stark beeindruckt. Er tauchte vor uns auf, fast wie aus dem Nichts. Genau wie viele seiner „Kollegen“ hat er natürlich heute an Bedeutung verloren, einige sind längst ausrangiert.  Neue und moderne Sicherheits- und Leitsysteme haben vielfach die Funktionen der alten Leuchttürme übernommen, um die Schiffe in die sicheren Häfen zu führen.
Wenn auch die Leuchttürme in der Schifffahrt eine zu vernachlässigende Größe geworden sind, so ist doch das Bild des Leuchtturms auf einen anderen Bereich, nämlich den der Wirtschaft, übergegangen. Hier spricht man von sogenannten „Leuchtturmregionen“ in unserem Land und verweist damit auf besondere Gebiete mit einer florierenden Wirtschaft. Es sind Vorzeigeregionen, die anderen Bereichen und Branchen als Wegweiser vor Augen gestellt werden. Seht, so geht es auch!
Der Leuchtturm ist auch ein treffendes Bild dafür, was den Menschen heute oft fehlt: Orientierung. Viel zu selten gibt es heute, in diesem übertragenen Sinn, Leuchttürme. Das sollten Menschen sein, an denen sich andere ausrichten können, die sie führen und leiten und ihnen sichere Wege zeigen. Menschen zu denen man aufschauen kann, die leuchtende Vorbilder sind. Die es nicht nötig haben, sich selbst zu bespiegeln und sich vorwiegend im eigenen Glanz zu sonnen, sondern deren Strahlkraft positiv motivierend wirkt. Wo aber gibt es in unserer Zeit, in der Politik, in der Wissenschaft und Kunst, sowie in der Kirche noch solche Menschen? Eher selten bis gar nicht! Sind denn die  „Leuchtfeuer“ erloschen oder trübe geworden? Ja, gerade bei denen, die Vorbildfunktion haben sollten, die Wegweisung geben könnten, wird das richtungsweisende Signal durch Skandale verdunkelt. Und davon gibt es viele: Korruption, Missbrauch, Sexaffären, Inkompetenz, Machtstreben und Ämter- gerangel. Diese Liste könnte gewiss noch weiter fortgeführt werden. In der heutigen, schnelllebigen Zeit ist auch die Halbwertzeit der führenden Köpfe stark gesunken. 
Die alten Leuchttürme haben viele Jahrzehnte überdauert und ihren unentbehrlichen Dienst für die Menschen geleistet. Solche Menschen braucht das Land, die wie Leuchttürme aufrecht stehen. Menschen, die beständig ihren Dienst tun, die kompetente, sichere und richtungsweisende Vorgaben machen, zu denen sie auch selber stehen, auch dann, wenn sich der Wind dreht und ihnen ins Gesicht bläst. Leuchttürme müssen eben jedem Wind und allem  Wetter trotzen können, sonst sind sie nutzlos und nicht zu gebrauchen.
Leuchttürme und Menschen, in denen noch ein Feuer brennt, sind einfach faszinierend.


Donnerstag, 16. Januar 2014

 

„Im Winter wächst das Brot“


Es tut einfach gut, einmal aus der Stadt herauszukommen. Die Straßen und Plätze voller Leute und mit vielen Autos voll gestopft, der Krach und die Hektik, die können einen regelrecht krank machen. Der Blick ist stets eingeschränkt und endet meistens an der gegenüber liegenden Häuserzeile. Von Himmel und Weite keine Spur.

Ganz anders auf dem Lande. Dort kann der Blick noch in die Ferne schweifen. Die Augen können sich erholen, gleichsam spazieren gehen auf grünen Feldern.  Selbst im Winter gibt es noch eine Spur von neuem Leben. Und man kann erahnen, was  Wachsen und Reifen bedeutet. Bei einem Gang über die Felder Ende Dezember (siehe Bild) fiel mir der Titel eines Buches von Ida Friederike Görres wieder ein: „Im Winter wächst das Brot“.
Was verbirgt sich hinter dieser Aussage? Der Winter steht als Metapher für all das Dunkle und Kalte im Leben der Menschen. Es ist eine Zeit des eingeschränkten Lebens. Kurze Tage, lange Nächte, aber auch die Zeit einer größeren Nähe. Die Menschen sind in dieser Jahreszeit mehr in den Häusern. Nur kurze Zeit zieht es sie ins Freie. Bevor der Schnee die Felder bedeckt, kann man auf ihnen schon die neue Saat sehen, die bereits aufgegangen ist und auch in dieser unwirklichen und kalten Jahreszeit unter dem Schnee weiter wächst, wenn er sie denn bedeckt. Ja, im Winter wächst das Korn für das Brot der Menschen.
Das kann jeder leicht verstehen. Das Brot wird dann den Hunger stillen und Freude schenken beim gemeinsamen Essen in froher Runde. Das Bildwort vom Winter sagt aber noch mehr über unser Leben aus. Gerade in den dunklen Zeiten, im „Winter der Welt“, ist die Hoffnung der Menschen am größten. Es keimt gerade dann neues Leben. Im Verborgenen wächst unendlich viel mehr  Gutes, als wir meinen und erahnen. Dort, wo es am wenigsten erwartet wird, entsteht immer wieder Neues und Lebendiges. Wir Menschen neigen oft dazu, nur all das Dunkle und Kalte in der Welt zu sehen. Und es gibt ja auch unendlich viel davon. Wir müssen es ja sogar in nächster Nähe selbst erfahren und erleiden. Aber auch das Kleine und Unscheinbare ist  immer wieder anzutreffen. Doch es wird allzu oft übersehen, weil es in den Augen der meisten Menschen nicht viel zählt, weil es ihnen nicht spektakulär in die Augen springt. Dabei übernehmen Menschen einfach  Verantwortung füreinander, es werden auch in schweren Zeiten Kinder geboren und wachsen zu reifen Persönlichkeiten heran, Schwachen wird Hilfe zuteil, Menschen setzen sich für Recht und Gerechtigkeit ein, sammeln Geld für Bedürftige. Es gibt unendlich mehr Gutes und Schönes  auf dieser Erde, als uns die Medien Tag für Tag in grausamen Bildern zeigen. Nur wer seinen  Blickwinkel verändert und tiefer schaut, der wird entdecken, dass auch unter dem „Schnee“ und in der Kälte der Welt das Korn wächst und heranreift zum Brot. Dieses Vertrauen und diese Hoffnung lassen Menschen immer wieder neu beginnen, auch dort, wo für andere alles nur dunkel und kalt ist. Dieses positive Denken und Handeln ist die eigentliche  Antriebsfeder, die uns Menschen bewegt und nicht verzagen lässt.

Genau deshalb säen die Bauern jedes Jahr im Herbst die Saaten in die Ackerfurchen und vertrauen darauf, dass auch in diesem Winter wieder das Korn und letztendlich das Brot wächst, das die Menschen zum Leben brauchen. Es stillt den Hunger und schenkt Freude.

Dienstag, 14. Januar 2014


Literarischer Nachschlag: Stufen von Hermann Hesse 




Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and`re neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf` um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch jede Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
 
 

Die letzte Kugel am Baum


Wenn die letzte Kugel vom Weihnachtsbaum genommen ist, die letzte Kerze erloschen ist, die letzten Plätzchen lange aufgegessen sind, dann ist die Weihnachtszeit endgültig vorbei.
So manchen packt dann vielleicht eine große Wehmut angesichts des kahlen Weihnachtsbaums, der nun all seinen Glanz verloren hat. Es hat so etwas Endgültiges. Jeder spürt, alles ist vergänglich. Die grünen Nadeln und Zweige des Baumes sind vertrocknet und kahl. Das Grün und die Frische des Baumes waren doch so etwas wie ein Hoffnungs-zeichen an den Festtagen und in der Dunkelheit des Winters, wo alles so trostlos in der Natur und im Leben erscheint. Nun ist es auch damit vorbei. An den Sammelstellen häufen sich die abgetakelten Bäume und warten auf ihren Abtransport. Manche liegen auch auf den Straßen und Wegen der Stadt, achtlos weggeworfen und illegal entsorgt.
Der Blick auf diese Überreste, auf das, was vom Fest und vom Leben übrig bleibt, kann einen schon betroffen machen. Viele Menschen verschließen sich lieben diesen Gedanken, schieben sie weg oder überspielen sie. Alles Endgültige macht nämlich  Angst. Wirkt lähmend und lässt erschaudern. Deshalb möchte man nicht länger darüber nachdenken und geht schnell zum nächsten Event über. Auf die lustige Weisen besingt man deshalb das Ende in einem Faschingsschlager so: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei…“ Dazu wird getanzt und geschunkelt, denn es ist ja eh alles Wurst, oder was?
Und trotzdem macht jeder immer wieder diese Erfahrung, dass etwas zu Ende geht. Ja, auch zu Ende gehen muss, damit etwas Neues beginnen kann. So endet der eine Lebensabschnitt und ein neuer beginnt. Als Kinder konnten wir nicht schnell genug erwachsen werden, versprachen uns alles davon. Als Ältere möchten wir die vergehenden Jahre lieber langsamer laufen lassen oder schon mal anhalten. Jeder Lebensabschnitt bringt äußere und innere Veränderungen mit sich, das verunsichert und macht Angst. Im Laufe der vielen Jahre wird fast ein anderer Mensch aus uns. Diese Veränderungen sind nicht für jeden gleicht gut zu ertragen. Wir können dieses Werden und Vergehen nur deshalb verkraften, weil jedem Menschen eine unstillbare Sehnsucht nach Leben innewohnt. Wer stets nur wehmütig zurückschaut und den Verlust des Vergangen betrauert, der wird schwermütig und krank. Da ist es doch gesünder,  den Blick nach vorn zu richten und sich mental zu öffnen für  das Kommende.
Oder wie es der spanischer Philosoph und Dichter Miguel de Unamuno y Yugo sagt: In jedem Ende liegt ein neuer Anfang“. Je mehr wir uns diese Sichtweise zueigen machen, umso leichter fällt es uns, nicht nur von unserem Weihnachtsbaum Abschied zu nehmen, sondern auch anderes im Leben los zu lassen.
Dann sollte es uns doch leichter gelingen, mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld aus ganzen Herzen zu sagen: „Für das Vergangene - Dank. Für das Kommende - Ja!“  


Freitag, 10. Januar 2014

Leben light – oder was?

Wovon lassen wir uns heute eigentlich leiten? Gibt es in unserer Gesellschaft noch so etwas wie Leitbilder, die uns prägen und Leitlinien, denen wir folgen können? Oder folgen die Menschen einem anderen Motto, welches da lautet: Leben „light“, leicht und bequem.

Dieser Trend scheint sehr zugkräftig zu sein, denn überall wird damit geworben: Alle Produkte, die mit dem Schriftzug „light“ versehen sind, werden besonders nachgefragt und gläubig gekauft. Wir sind auf dem Weg zu einer wahren  „light-Kultur“. Aber nicht nur leicht, sondern auch noch billig sollen die Produkte sein, die wir kaufen und konsumieren. Alles Schwere und Unangenehme passt nicht mehr zum heutigen Lebensstil. Schwere Kost ist out, genau wie alles andere, was Mühe macht. Dienstleistungen sind gefragt, aber keiner will sie mehr übernehmen. Sie werden ganz schnell auf andere abgeschoben, die es noch nötig haben. So war es bereits in der alten Bundesrepublik während der „Wirtschaftswunder-Jahre“. Damals brummte die Wirtschaft, es gab reichlich Arbeit, aber die war schwer und dreckig. Also wurden so genannte „Gastarbeiter“, vorwiegend aus Südeuropa und der Türkei, ins Land geholt. Nur sie blieben nicht Gäste, sondern sie holten ihre ganze Familie nach und blieben in Deutschland.
Heute fehlen wieder Ingenieure, Informatiker und medizinisches Personal, da wird versucht mit Erleichterungen bei der Einreise Ausländer aus ihren Heimatländern abzuwerben. Nach dem 01. Januar 2014 erwartet man viele Bulgaren und Rumänen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die einen freut es, anderen macht es eher Angst. Gefragt sind vorwiegend gut ausgebildete, junge Leute, deren Ausbildung Deutschland natürlich kein Geld kostet. Im Pflegebereich sind osteuropäische Pflegekräfte für billiges Geld gern gesehene Arbeitskräfte, die unsere Pflegekassen entlasten und Engpässe in den Pflegeeinrichtungen lindern sollen.
Es wird dabei wieder ein Weg beschritten, der die wenigsten Anstrengungen und das wenigste Geld erfordert. Die Lasten werden so auf andere Schultern abgewälzt. Ich halte das für eine neue Art von "Kolonialismus", der getarnt, in einem  globalen Gewand daherkommt. Was ist es denn anderes, wenn Zuwanderung nur Mittel zum Zweck ist? Damit kann die deutsche Wirtschaft weiter Exportgewinne einfahren und die Besitzstände im Land bleiben gewahrt. Hier werden eklatant die Notlage anderer Länder und deren Menschen ausgenutzt. Da machen es sich die westlichen Industriestaaten und Deutschland doch entschieden zu leicht, wenn sie das Wissen und die Arbeitskraft für billiges Geld einkaufen. Aber bitte nur gut ausgebildete Fachkräfte! Dieses Wissen und Können geht somit den Herkunftsländern verloren, die die Kosten für Bildung und Ausbildung getragen haben. Ist das noch fair?
Selbst wenn von dem verdienten Geld etwas in die Heimatländer zurückfließt und einen kleinen Wohlstand bringt, ist der Preis dafür doch sehr hoch. Ganze Familien werden auseinander gerissen, Kinder wachsen bei Verwandten oder in Heimen auf, weil die Eltern im Ausland arbeiten müssen und das über lange Zeit. Das ist dann  ganz gewiss kein leichtes Leben.
„Leben light“ hat auch seinen Preis! Es ist nur die Frage, wer muss ihn bezahlen?

Mittwoch, 8. Januar 2014

Beachtet mich!


Immer wenn ich solche beschmierten Wände oder Fahrzeuge sehe, fällt mir eine Geschichte ein, die ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe. Den Namen des Autors und den Titel habe ich längst vergessen. Aber das, was darin erzählt wurde, hat mich doch sehr beeindruckt. Es wurde berichtet, dass es immer wieder zu Schmierereien an den Wagen der New Yorker Metro kommt. Die Schmierereien stammten von  Jugendlichen, die Langeweile hatten. Ohne  ein richtiges Zuhause, trieben sie  sich oft Tage und Nächte lang in den U-Bahnschächten herum. Dort haben sie dann ihre  Zeichen und Kürzel auf die Wagen gesprüht. Danach verschwand der Zug wieder im dunklen Tunnel. Nun warteten die Jugendlichen gespannt bis der Wagen mit ihrem Zeichen wieder vorbeikam. Sie waren stolz und glücklich, wenn sie ihr Zeichen erkannten. Es war das Einzige, was sie in ihrem bisherigen Leben vorzuweisen hatten. Damit konnten sie sich identifizierten. Dieses „Wiedererkennen“ bedeutete ihnen deshalb sehr viel.  Wie trostlos musste ihr Leben verlaufen sein? Keiner kümmerte sich um sie. Sie waren sich selbst überlassen. Sie fühlten sich unbeachtet, ungeliebt und ziemlich nutzlos.
Sind diese Schmierereien nicht auch heute Versuche, irgendwie Beachtung zu finden? Wenigstens in den eigenen Kreisen? „Das ist mein Kürzel, mein Markenzeichen, das hab ich gemacht“. Es ist so etwas wie eine Selbstbestätigung: „Wenn mich schon keiner lobt, so sollen sie doch wenigsten merken, dass es mich gibt.“ Eigentlich eine ganz traurige und beschämende Geschichte, die zeigt, dass kein Mensch ohne Zuwendung und Anerkennung leben kann. Jeder möchte beachtet werden, denn nur so gewinnt er Achtung vor sich selbst und vor den anderen. Der Mangel an Beachtung und Anerkennung kann Menschen krankmachen oder aggressiv.
Um herauszufinden, welche Bedeutung ein Mitglied in einer Gruppe hat, gibt es ein, ich möchte sagen, recht bedenkliches Spiel. Dazu stehen alle Teilnehmer im Raum verteilt, dann wird das Licht gelöscht und der Leiter des Spiels wirft einem Teilnehmer eine Decke über den Kopf, so dass er für die anderen quasi unsichtbar wird. Wenn danach das Licht wieder angeschaltet wird, muss erraten werden, wer fehlt. Dabei sind ganz gewiss schon Tränen geflossen, denn der Teilnehmer, dessen Fehlen den anderen einfach nicht auffällt, muss doch unweigerlich erkennen, dass er den anderen überhaupt nicht wichtig ist. Keiner vermisst ihn. Der Mangel an Beachtung führt oft  zu gravierenden Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft. Sind deshalb so viele Menschen krampfhaft darum bemüht, sich stets zu positionieren und in den Vordergrund zu drängen?

Was der Teilnehmer, der nicht vermisst wurde, bei diesem „Spiel“ erfahren musste, ist heute die vielfache Erfahrung und Realität von jungen und alten Menschen. Keiner braucht sie wirklich. Sie sind ein "Nichts". Warum sollen sie sich noch anstrengen? Die Zahl derer, die an den Rändern unserer Gesellschaft leben, wird immer größer. Ganze Gruppen von Menschen versuchen wohl gerade deshalb durch ihr auffallendes Äußeres und ihr Auftreten, Aufmerksamkeit zu erwecken oder sich abzugrenzen. Sie möchten Auffallen, und das um jeden Preis. Sie kompensieren mit ihrem so „coolem Gehabe“ ihre innere Leere und ihre Angst, denn sie spüren selbst, dass sie nicht dazugehören. All das ist wie ein verzweifelter Schrei: „Beachtet mich!“

Sonntag, 5. Januar 2014


„Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel“ 


Dieses Wort wird dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschrieben. Konfuzius wurde etwa um das Jahr 501 v. Chr. geboren. Also ist dieser Satz fast 2.500 Jahre alt. Er fiel mir wieder ein, als ich diese Maulwurfshügel auf dem Weg vor mir sah. Nun frage ich mich natürlich, was meint denn Konfuzius mit dieser, eigentlich simplen Aussage? Die Tatsache ist doch wohl jedem Menschen klar. Über einen hohen Berg kann ich nicht stolpern, den sehe ich schon von weitem vor mir. Den Maulwurfshügel auf dem Weg, den  kann ich schon mal übersehen, wenn ich im Gespräch mit anderen bin oder mir die Landschaft anschaue. Dabei kann mich diese kleine Unebenheit ganz leicht zum Stolpern und sogar zu Fall bringen.

Es kann dem Philosophen Konfuzius also nicht um die Berge oder die Maulwurfshügel auf den Wegen gegangen sein. Die Berge und die Maulwurfshügel sind demnach Metaphern für das „Große“ und das „Kleine“ im Miteinander der Menschen. Darauf sollen wir unser Augenmerk richten. Ganz gewiss gehört der überwiegende Teil der Menschen nicht zu denen, die das ganz große „Ding drehen“, die im großen Stil Milliarden unterschlagen, Kriege anzetteln und Millionen Menschen in Not und Elend bringen. Die Gefahr über solche Berge an Unrecht und Gewalt zu stolpern ist für die meisten sehr gering. Im Kleinen dagegen ist die Gefahr, über Unregelmäßigkeiten zu stolpern, doch  recht groß. Eben mal in der Straßenbahn „schwarz“ zu fahren, kein Problem. Bei der Steuererklärung nicht alles anzugeben, schon lange üblich. In der Schule spicken, in Doktorarbeiten ganze Passagen nicht als Zitate zu kennzeichnen und als seine eigenen Gedanken auszugeben, scheint fast normal. Tricksen, Täuschen, Schummeln das sind die Unebenheiten auf den alltäglichen Wegen damals wie heute. Das meint  Konfuzius , denn das zentrale Thema seiner Lehren war die menschliche Ordnung, die seiner Meinung nach durch Achtung vor anderen Menschen erreicht wird. Sein Ideal war ein moralisch einwandfreier Mensch. Nicht über Berge stolpert der Menschen, sondern über eben diese kleinen „Maulwurfshügel“ im Alltag.
Noch einen anderen Aspekt möchte ich hinzufügen. Häufig ist zu beobachten, dass Menschen nur einen Blick für das Große und die Größen der Zeit haben. Sie übersehen dabei oft das Kleine und Unscheinbare im Leben.  Wie gebannt blicken sie auf die „Großen dieser Welt“. Sind fasziniert von all dem Glanz und Glamour auf dem roten Teppich, über den die "Schönen und Reichen" dahinschweben. Übergroß ist wohl deshalb auch die mediale Anteilnahme am Schicksal eines Michael Schumacher, nach seinem schweren Skiunfall. Die ungezählten Opfer von Unfällen, die tagtäglich verletzt und getötet werden, kommen nicht in den Blick. Der Unfall des Michael Schumacher ist gewiss tragisch und ihm und seinen Angehörigen gilt unsere Anteilnahme. Diese sollte  ihm aber nicht nur gelten, weil er ein „Großer“ ist, sondern weil er ein Mensch ist und jedes Leid eines Menschen Schmerz verursacht ist und betroffen macht. Dem weisen Konfuzius geht es wohl gerade darum, dass wir das Große und Mächtige nicht überbewerten und das Kleine und Unscheinbare nicht übersehen. Er kennt die Menschen sehr genau. Er weiß um die Gefahren einer solchen, falschen Sichtweise. Sie ist fixiert auf das Große und Mächtige, das sich so augenscheinlich in den Vordergrund drängt. Das Kleine und Unscheinbare wird dabei leicht übersehen und mancherorts einfach zertreten.

Daher gilt, es sind  nicht die großen Dinge, die wir falsch machen. Es sind vielmehr die kleinen, alltäglichen Dinge im Leben, die wir ignorieren, sie nicht tun und darüber stolpern. 

Freitag, 3. Januar 2014

Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit?


Barmherzigkeit ist in unserer Zeit ein Fremdwort geworden. Es klingt genauso antiquiert wie Gnade und Treue. Das Schlüsselwort lautet heute: Gerechtigkeit. Die Menschen betonen mit verbissener Miene: „Das  ist mein Recht, das steht mir zu! Was der eine hat, muss ich auch haben. Das ist doch nur recht und billig!“

Dabei wird aber übersehen, dass Gerechtigkeit eben nicht bedeutet, dass jeder das Gleiche hat oder bekommt, sondern dass jeder das erhält, was er wirklich benötigt. Darin besteht echte Gerechtigkeit. Keiner darf diskriminiert und ausgebootet werden. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Doch können Gesetze diese Forderungen auch wirklich durchsetzen und vor allem, genügt das? Es ist gut und wichtig, wenn die Rechte der Menschen, besonders der Schwachen, der Behinderten, der Frauen, Männer und Kinder durch eine gerechte Gesetzgebung gesichert werden. Es ist auch wichtig und gut, dass sich Menschen gegen Willkür und Benachteiligung vor Gericht wehren können.
Jeder denkende Mensch wird aber zugeben müssen, dass allein durch Gesetze und Paragraphen unsere Welt nicht besser und menschlicher wird. Besonders dann nicht, wenn clevere Anwälte die Lücken in den Gesetzen für ihre Mandanten suchen und finden.  Durch solche Schlupflöcher können dann Schuldige entkommen. Dabei werden das Recht und die Gerechtigkeit geschickt umgangen. Hier spürt man schmerzlich die Schwächen unserer Rechtsordnung. Recht haben, bedeutet nicht zugleich Recht bekommen. Wer sich einzig auf die so genannte, rechtsstaatliche Ordnung  verlässt, der wird sich bald ziemlich verlassen fühlen.
Wenn sich die Menschen nicht von einem anderen, inneren Gesetzt leiten lassen, wird ein gutes Miteinander nicht gelingen. Neben der Gerechtigkeit braucht es eben auch die Barmherzigkeit, die den anderen in seiner Ganzheit sieht. Es braucht einen Umgang der Menschen miteinander, der dem anderen einfach gut tut. Wer immer nur darauf achtet, dass er sein Recht bekommt, der wird den Blick für andere verlieren. Für ihn  sind diese immer schon Gegner. Oder er fühlt sich letztlich als Benachteiligter und Verlierer.
Ich persönlich möchte mir nur ungern vorstellen, einem unbarmherzigen Richter ausgeliefert zu sein, der keine mildernden Umstände gelten lässt, der nur auf die Buchstaben des Gesetzes schaut und sonst gar nichts. Diese enge Sicht macht unbarmherzig. Nur ein barmherziger Blick auf den anderen und ein großzügiges Herz schenken Hoffnung. Ohne Herz geht nämlich gar nichts im Leben. Beides ist im Wort Barmherzigkeit enthalten, Erbarmen und Herzlichkeit. Dabei ist die Barmherzigkeit wie ein Polster, dort wo harte Fronten sonst gnadenlos aufeinander prallen.
Wie könnte Barmherzigkeit heute konkret aussehen? Hierfür ist das Ergebnis einer Meinungsumfrage ganz hilfreich. Für die Befragten ist Barmherzigkeit, wenn zu einem Menschen gesagt wird: „Du gehörst dazu, du wirst nicht ausgegrenzt, du bist nicht allein, ich höre dir zu, ich denke und rede stets gut über dich, ich gehe ein Stück deines Weges mit, wenn du es wünschst, ich teile mit dir, ich besuche dich, wenn du einsam bist und ich bitte für dich und setze mich für die ein“. Jeder, der so lebt und handelt, der macht unsere Welt und das Miteinander ein Stück menschlicher und schöner. (Vielleicht auch eine Möglichkeit, das zuletzt Gesagte, zu den eigenen "guten Vorsätzen" im neuen Jahr hinzuzufügen.)
Fazit: Es muss  nicht Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit heißen, sondern Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.  Beides sind keine Gegensätze, sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sie ergänzen sich.

Nach meiner Ansicht ist keiner verpflichtet, sein Recht unbedingt mit aller Macht durchzusetzen. Warum denn nicht einmal auf sein Recht verzichten, wenn es dem Frieden dient? Wie krank muss eigentlich eine Gesellschaft sein, in der es ohne Anwalt scheinbar nicht mehr geht? Nicht ohne meinen Anwalt! Wir brauchen nicht mehr Prozesse vor den Gerichten, sondern einen Prozess des Umdenken, des Wohlwollen und der Barmherzigkeit.