Sonntag, 23. August 2020

Bücher - eine eigene Welt

 

Bücher – eine eigene Welt

In der Hitze des Sommers, als jeder, der konnte, es wohl eher vorgezogen hat, in seiner Wohnung zu bleiben (Gott sei Dank haben wir recht angenehm kühle Räume im Altbau), da nahm ich mir vor, meine Bibliothek mit rund vierzig laufenden Metern Regale zu entstauben und die Bücher neu einzuordnen. Große und kleine, dicke und dünne Bücher standen dort und stapelten sich nämlich bereits mehrfach übereinander oder hintereinander.

So stieg ich auf die Leiter und begann meine Arbeit. Dazu nahm ich nun Buch für Buch in die Hand und entfernte mit einem großen Pinsel den Staub von ihnen. Ein ganz eigener Geruch von Staub und Papier stieg mir alsbald in die Nase. Das weckte sogleich verschiedene Erinnerungen in mir. Immer öfter hielt ich inne und betrachtete jedes einzelne Buch. Dabei fielen mir besonders bei den Büchern, die noch aus der DDR-Zeit stammten, wieder die Umstände ein, unter denen diese Exemplare damals in meinen Besitz gekommen sind. Oft waren es Lizenzausgaben westlicher Verlage, die nur in geringer Auflage hier im Osten erschienen. Solche Bücher gehörten, wie vieles andere auch, zur sogenannten „Bückware“, weil sie oft nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden.

Da war zum Beispiel der dicke, grüne Band mit Erzählungen von Heinrich Böll, ihn fand ich damals nicht im Buchladen, sondern im Konsum im Dorf neben Konservendosen und anderen Dingen des „täglichen Bedarfs“ im Regal ganz unten. Kaum jemand interessierte sich dort scheinbar für Bücher. Treffer! Das schmale Büchlein von Ulrich Plenzdorf „Die neuen Leiden des jungen W.“ entdeckte ich in einem Zeitungskiosk und zog hocherfreut mit meiner Beute los. „Homo faber“ von Max Frisch bekam ich durch  Beziehungen zu einem Buchhändler in der kleinen privaten Buchhandlung. Andere Titel tauschten wir mit Freunden aus. Bücher von Alexander Solschenizyn „Der Archipel Gulag“, Georg Orwell „1984“ oder A. Huxley „Schöne neue Welt“ standen nie in meinem Regal und wenn, dann versteckt in der zweiten Reihe. Nur heimlich habe ich sie  in diesen Jahren lesen können. Manches Exemplar wurde an der Westgrenze der DDR eben doch nicht entdeckt und fand seinen Weg zu seinen Lesern im Osten, obwohl jeder Westbesucher bei der Einreise von streng dreinblickenden Zöllnern  schroff gefragt  wurde: „Führen Sie Waffen oder Druckerzeugnisse bei sich?“ Bücher erschienen der SED-Parteiführung wohl gleichermaßen gefährlich, wie Waffen. Das aber nur mal als Anmerkung zur Zeitgeschichte. Bei vielen heute leider längst vergessen oder verdrängt. Auch diese Erinnerungen halten meine Bücher in mir wach.

Beim Säubern und Sortieren, kam mir auch wieder in den Sinn, dass zu der damaligen Zeit, jeder von uns, der bei seiner „Bücherjagd“ fündig geworden war, versucht hat, gleich zwei Exemplare zu erstehen. Nach dem Motto: „Nimm zwei“, dann hatte man etwas zum Tauschen. Meine Bücheraktion in diesem Sommer dauerte also mehrere Tage und wurde allmählich doch recht schweißtreibend, bis alles wieder an Ort und Stelle stand oder lag. Ähnlich lange würde es sicher dauern, wenn ich hier alle Einzelheiten und Begebenheiten, die mir wieder in den Sinn gekommen sind,  auflisten wollte. Was ich übrigens nicht geschafft hatte, war, mich von einigen meiner Büchern zu trennen. Zwar hatte ich dazu bereits einen hohen Stapel zur Seite gelegt, doch er wurde nach und nach immer niedriger und letztlich landeten alle meine Bücher wieder im Regal und fanden dort ihren Platz. Nach oben hin war ja in den Regalfächern auch noch Platz.

Bücher sind eine ganz eigene Welt. Nicht nur der Inhalt meiner Bücher gibt Einblicke in das jeweilige Zeitgeschehen und zeigt die Charaktere unterschiedlicher Menschen, sondern sie erzählen auch von den Umstände wie sie in mein Bücherregal gefunden haben. In diese Welt meiner Bücher, wollte ich hiermit einen kleinen Einblick geben. 

Ein regelrechter Hunger nach guter Literatur hatte uns nach der dürftigen Kost der sogenannten „Pflichtliteratur“ während der Schulzeit erfasst. Wir wussten danach zwar ganz genau, „wie der Stahl gehärtet wurde“ oder wie sich das „Neuland unterm Pflug“ anfühlt. Vor allem konnten wir die obligatorische Frage des Lehrers, was uns denn der Dichter damit sagen wolle, systemgerecht beantworten. Das hatten wir ja bestens gelernt, aber wir hatten in dieser Zeit auch gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und unsere eigenen Fragen zu stellen und anderswo Antworten zu suchen.

Im Kreis Gleichgesinnter begann damals ein reger Austausch der Gedanken und das Eintauchen in die Welt der Bücher. Es war wie ein Sog, der uns erfasst und beflügelt hatte.  „Hast du schon „Homo Faber“ von Max Frisch oder den „Steppenwolf“ von Hermann Hesse gelesen? Wer einen neuen Autor für sich entdeckt hatte, versuchte möglichst alle seine greifbaren Titel zu ergattern und zu lesen. Für uns waren diese 70iger und 80iger Jahre in der damaligen DDR eine spannende und zugleich angespannte Zeit. Es bahnte sich bereits etwas an, was noch keiner so richtig erahnen konnte.

Und dann durfte ich wirklich 1987 für wenige Tage in den Westen, offiziell die BRD, zu einem Besuch nach Bielefeld fahren. Dort stand ich nun in einer riesigen Buchhandlung und da standen auch all die Autoren, von denen wir damals nur träumen konnten. Mir gingen im wahrsten Sinne die Augen über. Ich musste schnellstens raus aus dem Laden. Diese Fülle hatte mich buchstäblich erschlagen, mir blieb fast die Luft weg. Beim zweiten Versuch erstand ich dann nach langem Suchen und Abwägen zwei dünne Paperback-Büchlein, die genauso schmal waren wie mein Budget.

Wenn ich jetzt auf all die Bücher, die Romane, Fachbücher und die dicken Bildbände in meinen Bücherregalen schaue, dann leben die vergangenen Zeiten wieder in mir auf. All diese Bücher zeigen mir zwar ihren Rücken, aber die Namen ihrer Autoren und die Titel darauf sind eine beständige Einladung, eine Einladungen, ein Buch zu nehmen, es aufzuschlagen, etwa zu verweilen und zu lesen. Manchmal finde ich in dem einem oder dem anderen Buch einen Zettel von mir mit einer handschriftlichen Notiz oder ein Exzerpt auf einer Karteikarte. Bemerkungen und Gedanken, die ich teils auch heute noch unterstreichen kann, anderes sehe ich inzwischen differenzierter, eben etwas anders. Beim Lesen guter Bücher, wird der Leser buchstäblich selbst Teil der Geschichten, wie er auch immer Teil der jeweiligen Zeitgeschichte ist. Zeit und Ort aber bestimmen auch seine Position und seine Sichtweise.

Und noch ein Gedanke kam mir in diesem Zusammenhang. Ist es nicht so, dass es beim Lesen von Weintrauben, also bei der Weinlese,  genauso wie beim  Lesen von Büchern, darum geht, die guten Beeren oder eben die guten Gedanken eines Buches zu lesen, aufzulesen, zu sammeln und das Wertvolle zu behalten? Dazu muss man wissen, dass das althochdeutsche Wort „lesan“  bereits im 8. Jahrhundert zu unserem heutigen Verb „lesen“ wurde. 

Lesen also sammelt die Gedanken und ordnet sie ein in ein größeres Ganzes. Gute Bücher kann man deshalb auch zweimal und öfter mit Gewinn lesen! Oder anders gesagt: Ohne Bücher wären wir und unsere Welt um einiges oder besser um vieles ärmer!

Mittwoch, 19. August 2020

„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur!“

 

„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur!“


Vielleicht kennen Sie dieses Sprichwort auch? Es klingt doch recht gut und erscheint auf den ersten Blick sogar sehr vernünftig. Auf den zweiten Blick hin stellt sich dann aber die Frage, was ist dann mit all den anderen Stunden, Tagen und Jahren des Lebens ohne Sonnenschein? Die Sonnenstunden machen doch oft nur einen Teil des Tages aus. An manchen Tagen schein sie überhaupt nicht. Und genau so ist es auch im Leben eines jeden Menschen.

Ja, was ist dann bitte mit der übrigen Lebenszeit, wenn sich unser Leben verdunkelt und die Sonne nicht scheint? Gehören nicht auch und gerade diese dunklen und schweren Stunden dazu? Es gibt doch wohl kein einziges Leben nur in Freude und Sonnenschein, ganz ohne dunkle Wolken. Denn es gibt auch keinen Tag ohne das Dunkel der Nacht, keine Liebe ohne Schmerz und vor allem kein Leben ohne das Sterben und den Tod. Auch wenn wir uns heute gern darüber hinwegtäuschen lassen und diese Wahrheit verdrängen. Was wäre das denn für ein Leben? Zählt nicht so manch einer in seinem Leid gerade die dunklen Stunden und hofft, dass sie vorüber gehen? Sie haben ihre ganz eigene Gewichtung und zählen zum Ganzen genauso dazu. Keiner kann sie einfach unterschlagen.

Natürlich darf sich jeder Mensch über die Sonnenstunden seines Lebens freuen, über alles Schöne und Heitere und sich dankbar daran erinnern. Die Zeit vergeht aber auch ohne Sonnenschein, auch wenn sich dichte Wolken vor die Sonne schieben und die Sonnenuhr diese Stunden nicht mehr anzeigen kann. Darum heißt diese Uhr ja Sonnenuhr. Denn allein durch den Stand der Sonne zeigte der Schatten des Zeigers die jeweilige Stunde des Tages an. Niemals bleibt die Zeit stehen, ob in guten wie in schweren Stunden.

Immer geht es weiter, auch wenn Sorgen, Schmerz und Trauer den Menschen treffen. Das ist für jeden Menschen eine ganz persönliche Herausforderung, die viel Kraft und Mut kostet. Das Leben verheißt ja auch keinem, dass er alles mit Leichtigkeit und Bravur meistert oder zum Nulltarif bekommen muss. Glücksmomente sind genau wie Sonnenstunden nicht selbstverständlich und schon gar nicht einklagbar. Sie haben immer Geschenkcharakter. Das aber vergessen viele Zeitgenossen, die nur noch von ihrem Anspruchsdenken bestimmt werden. Wer nur die schönen Stunden am Tag und im Leben zählt, der muss ja zutiefst enttäuscht und verzweifelt sein, wenn sie dann vielleicht sogar für längere Zeit ausbleiben.

Für alles Erreichte und Schöne im Leben darf und soll jeder Mensch natürlich besonders dankbar sein. Aber auch dann, wenn er dunkle Stunden und  Zeiten übergestanden hat und die Sonne wieder scheint. Rückschauend wird er vielleicht erkennen, dass in dieser Zeit andere Menschen an seiner Seite waren, die  ihn durch diese dunkle Zeit begleitet oder gar getragen haben. Diese Erfahrungen können einem Menschen sehr deutlich machen, dass nicht allein die Sonnenstunden als die schönen Stunden zählen, sondern auch und gerade die dunklen Zeiten ihren ganz eigenen Wert besitzen. Einen Wert, den man vielleicht erst viel später erkennt.

Was wäre denn das Leben ohne diese wertvollen Erfahrungen eines guten Miteinander und Füreinander?