Findlinge
– Zeugen vergangener Jahrtausende
Sicher sind sie Ihnen auch schon
einmal aufgefallen, die Findlinge. Sie liegen oft am Rande des Weges oder eines
Ackerfeldes. Findlinge werden diese großen runden Steine genannt,
die heute noch manchem Landwirt zu schaffen machen. Als würden sie aus dem
Boden wachsen, tauchen sie an der Oberfläche auf. Sie sind tonnenschwer und jeder wundert sich, wo sie eigentlich
herstammen, denn in unmittelbarer Nähe lässt nichts auf ihre Herkunft schließen.
Der Name „Findlinge“ macht gleichfalls auf die Unsicherheit über deren Ursprung
deutlich. Diese erratischen Blöcke werden an Orten gefunden, wo sie gar nicht
hingehören. So tragen sie zu recht noch heute den Namen, Findlinge!
Natürlich wissen wir inzwischen
sehr genau, dass diese Kolosse uralte Zeugen der Eiszeit und ihrer Gletscher
sind. Das meterhohe Eis der Gletscher hat diese Steine einst vor tausenden von
Jahren aus den Bergen in das Vorland geschleppt oder sie von Skandinavien bis
nach Norddeutschland transportiert. Über lange Zeiten und Distanzen wurden die
Felsbrocken durch den enormen Druck unter dem Eis über das Geröll geschleift
und dabei rundeten sich ihre Ecken und Kanten allmählich ab und sie erhielten
ihre heutige runde Form. Die enormen
Eismassen haben so durch ihr Vordringen und das Zurückweichen in dieser
unendlich langen Zeit ihre Spuren durch das Land gezogen, die wir in Form von
Endmoränen und Flusstälern noch heute deutlich erkennen können.
Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit und können uns
diese riesigen Zeiträume gar nicht richtig vorstellen. Bei uns muss alles immer
schnell gehen und jeder Wunsch möglichst sofort erfüllt werden. Verglichen mit
der schier unendlichen Zeitpanne der
Vorgeschichte unserer Erde und den Jahrtausenden der Geschichte der Menschen,
ist natürlich das Leben des einzelnen Menschen ein kaum sichtbares Pünktchen
auf dem Zeitstrahl der Entwicklung. Alles was außerhalb unserer eigenen
Lebensspanne liegt, bleibt uns, bei allem theoretischen Wissen darum, doch
irgendwie fremd und manches wirkt sogar unheimlich.
Findlinge üben auf mich
eine ganz besondere Faszination aus. Sie erscheinen mir wie „fremde Wesen“ aus
einer längst vergangenen Zeit. Aber sie erinnern mich auch an Menschen, die in
sich ruhen und Gelassenheit ausstrahlen. Die in ihrem Leben so manches erlebt
und erlitten haben. Die gleichsam all ihre Ecken und Kanten verloren haben auf
ihrem Weg durch das Leben. Doch der Druck und die Lasten haben sie nicht
zerstört, sondern gerundet und bewegt. Ihre Gedanken und Worte sind nicht
oberflächlich und schnell vergänglich, sondern diese kommen aus einer großen
Tiefe ihres Seins. Sie sind eher schweigsam und verhalten in unserer sonst so
geschwätzigen Zeit, wenn sie aber sprechen, dann hat das Gesagte wirklich
Gewicht. So manchem kommen sie eher fremd und etwas verloren in unserer heutigen Zeit vor, denn sie tauchen schon mal an Orten und zu Zeiten auf, wo sie keiner so recht erwartet. Sie sind dann einfach da und präsent und wirken deshalb für andere Menschen sogar eher störend.
Sie haben noch eine
Ahnung davon, dass auch heute nicht alles schnell, schnell gehen muss, von jetzt auf
gleich, sondern dass Vieles eben Zeit braucht. Sie denken in anderen
Dimensionen und Zusammenhängen, weil eins oft nicht ohne ein anderes denkbar ist
und schon gar nicht machbar. Solche Menschen sind für mich wie „Findlinge“ am
Wege. Sie laden ein zum Ausruhen und zum Verweilen. Leider begegnen uns solche
Menschen nicht oft an unseren Wegen, genau wie die Findlinge, werden sie immer
seltener. Doch es lohnt sich, solche Menschen zu suchen und zu finden.
Wenn wir ihnen begegnen,
sind sie nämlich für uns wie ein Geschenkt aus der Tiefe der Zeiten und des
Lebens, wie die Findlinge auch, Zeugen einer anderen Wirklichkeit.
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