„Hannibal ante portas“ – oder die Bagger kommen!
Plötzlich herrschte eine riesige Aufregung in dem, sonst so verschlafenen, kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern.
Na ja, Dorf kann man diesen Ort eigentlich gar nicht nennen. Es ist nicht mehr
und nicht weniger eine Ansammlung von Häusern entlang der Dorfstraße, die früher als Unterkünfte für die Landarbeiterfamilien dienten. Diese aber waren alle samt auf dem ehemaligen Gut in Grammow beschäftigt. Heute bilden sie den Ort Grammow. Der Ort mit seinen etwa 145 Einwohnern liegt eher abseits allen Geschehens. Die Zufahrt zu dieser Siedlung
mündet auf der sogenannten Dorfstraße. Diese aber endet in beiden Richtung auf einem
Feldweg und verliert sich zwischen den Ackerflächen. Damit ist der Ort vom
störenden Durchgangsverkehr verschont und in dieser Hinsicht ungestört und ruhig. Kommt tatsächlich einmal ein Fremder in den Ort, so wird der gleich von den Bewohnern neugierig beäugt, doch meistens ist die Dorfstraße fast menschenleer. Wer pulsierendes Leben erwartet, ist hier falsch. Man
bleibt halt gern für sich und lässt es ruhig angehen.
Diese Abgeschiedenheit könnte ja auch ganz idyllisch und schön sein, doch das kommt nicht von Ungefähr. Die Ursache dafür ist nämlich die Autobahn, genauer die A 20, die in unmittelbarer Nähe
vorbeiführt und ihr Geräuschpegel seit ihrer Fertigstellung Tag und Nacht als
ein permanentes Summen und Rauschen, je nach Windrichtung, mal lauter und mal
leiser, zu hören ist. Das singt den einen vielleicht sanft in den Schlaf, anderen wiederum raubt es
diesen.
Ach ja, die Windrichtung
ist auch in anderer Hinsicht und für das Wohlbefinden im Ort sehr entscheidend. Kommt
der Wind nämlich aus westlicher Richtung, dann weht er, wie soll man es vornehm
ausdrücken, die schweren „Düfte“ einer intensiven Tierhaltung und der
„Bioenergie Grammow GmbH & Co“ über den Ort und seine Bewohner. Dann gilt es auch bei schönstem Sommerwetter, die Fenster und Nasen zu schließen.
Sollten aber ausnahmsweise einmal
diese Lärm- und Geruchsbelästigungen etwas geringer als üblich ausfallen, dann kann
man garantiert darauf warten, dass schon bald die nächste Störung einsetzt. Sie kommt von den
allgegenwärtigen Rasentraktoren und den knatternden Rasenmähern. Damit ist vom
frühesten Frühling bis hinein in den später Herbst jederzeit und zu jeder
Stunde zu rechnen. Ganz besonders störend ist das jedoch in der Mittagsruhe und am
Wochenende. Gerade dann aber sitzen wohlbeleibte Männer stolz auf ihren kleinen, und lauten Traktoren. Sie mähen Stunde um Stunde den Rasen in ihren Grundstücken
millimeterkurz. Da könnte sich garantiert jeder Golfplatz dahinter verstecken.
Doch plötzlich war es in der letzten Woche mit dieser dörflichen Ruhe und dem Frieden schlagartig aus. Es war der 26. März 19 und dieser wird immer ein denkwürdiger Tag bleiben. Was war
geschehen? Ach ja, „Hannibal ante portas“, wie der Lateiner sagt und damit an
den karthagischen Heerführer Hannibal erinnert, der mit seinem Heer und den
gefürchteten Kriegselefanten vor den Toren der Stadt Roms
auftauchte, sodass die Römer in hellste Aufregung, ja in Panik, gerieten.
Auch in Grammow herrschte schlagartig eine ähnliche, panikartige Aufregung. Es tauchten nämlich riesige gelbe
Ungetüme im Ort auf. Das waren zwar keine
trompetenden Kriegselefanten, sondern die Bagger einer Abrissfirma. Und dann
geschah es auch schon. Damit hätte wohl
keiner der friedlichen Einwohner ernsthaft gerechnet. Der erste Bagger fuhr vor
das alte Gutshaus in der Mitte des Ortes und stieß ein riesiges Loch mit seiner
eisernen Baggerschaufel in dessen Rückwand.
„Welch ein Schande, welch eine Frechheit“, empörte sich ein Teil der überraschten Einwohner. Sollten hier etwa gegen ihren Willen
Tatsachen geschaffen werden? Das galt es zu verhindern. Nach diesem zerstörerischem Eingriff in die Bausubstanz des Gutshauses, das war ihnen klar, wäre das Haus nicht mehr zu retten. Alle ihre romantischen Vorstellungen vom seinem Erhalt waren damit zunichte gemacht. Die Empörung der Verfechter für die Erhaltung des Hauses, aber auch ihre Ratlosigkeit
wuchsen. "Haus oder nicht Haus", war nun die Frage.
Das leerstehende und ziemlich
heruntergekommene Gutshaus ist schon seit vielen Jahren, ach, inzwischen fast
seit zwei Jahrzehnten, der Stein des Anstoßes in diesem kleinen
mecklenburgischen Ort. Für
die einen ein Schandfleck, der weg gehört, für andere aber das „Herz“ und
die „Zierde“ des ganzen Ortes, das es um jeden Preis zu erhalten galt. Darum
musste der „bösartige und heimtückische Angriff“ auf das ehemalige Gutshaus
unweigerlich die Gemüter der, eher stillen und meistens behäbigen, Einwohner erhitzen. Was zu viel ist, ist zu viel. Das bringt auch den friedlichsten
Mecklenburger aus der Fassung. Der Schlagabtausch mit gegenseitigen Vorwürfen
und Beschuldigungen war neu entfacht.
Von einem Augenblick zum
anderen überschlugen sich die Ereignisse. Eine dringende Krisensitzung
des Vereins zur Erhaltung des Gutshauses wurde eilig einberufen, Einwohner eingeladen und
mobilisiert, die Presse informiert, Proteste angekündigt, Transparente und Plakate gemalt und an den Zäunen aufgehängt. So zierten
am nächsten Morgen, man traute seinen eigenen Augen kaum, die Dorfstraße eine ganze Reihe dieser Zeugnisse der
Entrüstung und des Widerstandes. Da stand, mit zitternden Händen und voller
Zorn und Verzweiflung geschrieben, mehr oder weniger sinnreich, aber aus ganzem Herzen kommend und der Verzweiflung freien Lauf lassend:
„Wir müssen zusehen wie eine Stück Geschichte zusammengeschoben wird“ oder „Wir haben alles gegeben“. Selbst das letzte Bettlaken, wie manch schelmisch meinte. Es fehlte eben nur noch, dass die Klima- und Umweltaktivistin Greta persönlich am Ort des Frevels, an der nun tief klaffenden Wunde am Gutshaus, sich dem vehementen Protest der Verteidiger anschließen würde. "Das Gutshaus darf nicht sterben!" Es lag eine emotionale Spannung in der Luft, dass war buchstäblich fast körperlich zu spürbar.
„Wir müssen zusehen wie eine Stück Geschichte zusammengeschoben wird“ oder „Wir haben alles gegeben“. Selbst das letzte Bettlaken, wie manch schelmisch meinte. Es fehlte eben nur noch, dass die Klima- und Umweltaktivistin Greta persönlich am Ort des Frevels, an der nun tief klaffenden Wunde am Gutshaus, sich dem vehementen Protest der Verteidiger anschließen würde. "Das Gutshaus darf nicht sterben!" Es lag eine emotionale Spannung in der Luft, dass war buchstäblich fast körperlich zu spürbar.
Jetzt endlich müsste doch der geneigte Leser fragen: „Um was geht es hier eigentlich? Was ist das für eine absurde Geschichte?" Stimmt, das
ist wirklich eine längere und sehr verworrene Geschichte. Und wie schon gesagt, der Ort Grammow liegt etwas abseits. Da geht eben manches anders und ein bisschen langsamer. Doch kurz gesagt, es geht schon allzu lange um das alte Gutshaus von Grammow. Es muss
einst wirklich ein Schmuckstück in der, durch Viehzucht und Ackerbau geprägten Mecklenburger Landschaft gewesen sein. Umgeben von einem gepflegten Park und einem schönem Teich. Die Zierde der kleinen Ortschaft und der Mittelpunkt
des dörflichen Lebens.
Diese Zeit ist jedoch seit 1945 längst zu Ende. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Gutsherr und seine Familie vertrieben. Im neuen Deutschland brauchte man keine "Herren" und keine "Herrenhäuser" mehr. Darum wurde in den Zeiten des Sozialismus darin ein Kindergarten eingerichtet. Es gab auch einen großen Saal für die Werktätigen zum Feiern und sogar eine Kneipe. Alles volkseigen. Den Park teilten sich die Bewohner als Gärten auf. Der Teich im Park diente nun ihren schnatternden Enten als ihr Refugium. Alles war ja Volkseigentum und jeder bediente sich, wo er nur konnte. Das wollte man auch nicht wieder aufgeben.
Diese Zeit ist jedoch seit 1945 längst zu Ende. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Gutsherr und seine Familie vertrieben. Im neuen Deutschland brauchte man keine "Herren" und keine "Herrenhäuser" mehr. Darum wurde in den Zeiten des Sozialismus darin ein Kindergarten eingerichtet. Es gab auch einen großen Saal für die Werktätigen zum Feiern und sogar eine Kneipe. Alles volkseigen. Den Park teilten sich die Bewohner als Gärten auf. Der Teich im Park diente nun ihren schnatternden Enten als ihr Refugium. Alles war ja Volkseigentum und jeder bediente sich, wo er nur konnte. Das wollte man auch nicht wieder aufgeben.
Nach dem "Aus" der DDR 1989/90 und der volkseigenen Wirtschaft, ging es dann noch rasanter mit dem Haus bergab. Es hatte seine gesellschaftliche Funktion rasch verloren. Trotz
dieses desolaten baulichem Zustandes, übernahmen nach der Wende entfernte Verwandte der
ehemaligen Gutsherrenfamilie das Gutshaus und zogen ein. Die junge Familie hatte allen Mut der Welt und viel
Optimismus mitgebracht. Sie wollten das alte Haus wieder mit Leben erfüllen. Das
war aber nicht so einfach. Sie waren Fremde und noch dazu aus dem Westen. Das gefiel
nicht allen Alteingesessenen im Ort. Manche Unternehmungen ihrerseits wurden sogleich blockiert
oder ganz verhindert.
Fazit, das Haus stand alsbald wieder leer. Der Sturheit so mancher Bewohner des Ortes war die Familie einfach nicht gewachsen. Und wieder folgte Leerstand und damit zunehmender Verfall. So kam, was kommen musste. Wind und Wetter taten über die Jahre das Ihre dazu. Ein Brand im Haus vernichtete einen Teil des Dachstuhls. Seit Jahren schließt nun eine hässliche Plane provisorisch das Loch im Dach. Das Haus ist in diesem erbärmlichen Zustand schon seit Jahren keine Zierde und längst kein Schmuckstück mehr, eher ein Schandfleck für den Ort und seine Bewohner. Zudem ein permanenter Zankapfel.
Fazit, das Haus stand alsbald wieder leer. Der Sturheit so mancher Bewohner des Ortes war die Familie einfach nicht gewachsen. Und wieder folgte Leerstand und damit zunehmender Verfall. So kam, was kommen musste. Wind und Wetter taten über die Jahre das Ihre dazu. Ein Brand im Haus vernichtete einen Teil des Dachstuhls. Seit Jahren schließt nun eine hässliche Plane provisorisch das Loch im Dach. Das Haus ist in diesem erbärmlichen Zustand schon seit Jahren keine Zierde und längst kein Schmuckstück mehr, eher ein Schandfleck für den Ort und seine Bewohner. Zudem ein permanenter Zankapfel.
Alle gut gemeinten und doch häufig
wenig zielführenden Versuche zur Rettung und Erhaltung des Gutshauses scheiterten oder
schliefen bald wieder ein. Investoren kamen und gingen. Realistische Konzepte fehlten. Befürworter und Gegner blockierten sich gegenseitig.
Schon lange ging es tatsächlich nicht mehr um das Haus, sondern nur darum, wer sich letztendlich
durchsetzt. Für die Gemeindevertreter wurde das Haus zu einer ständig drückenderen Last. Darum musste endlich gehandelt werden. Das war schließlich ihr Auftrag. So wurde als letzte Konsequenz der Abriss des Hauses beschlossen.
Das brachte natürlich die Gegner des Abrisses wieder auf den Plan und sie zogen von Haus zu Haus, um Unterschriften zu sammeln. Dabei trugen sie eine ganze Reihe davon zusammen. Es schien ja auch nicht allzu schwierig zu sein, gegen den Abriss und für den Erhalt zu votieren, denn das kostete keinem Unterzeichner persönlich irgendetwas. Die Fronten waren jedenfalls klar und jede Seite fühlte sich im Recht oder wenigsten moralisch legitimiert. Fakten wurden mehr und mehr zur Nebensache. Der Worte waren eh genug gewechselt, nun sollten Taten folgen.
Dann war es am besagten Tag soweit. Die
Bagger rückten an. Der Abriss begann. Alle Genehmigungen lagen dazu vor, die
Fördermittel standen bereit. Der Widerspruch gegen den Abriss wurde abgewiesen. Der "Schandfleck" sollte endlich verschwinden und an seiner Stelle ein schön
gestaltetet Dorfplatz für alle Bewohner entstehen.
Mit seiner mächtigen Schaufel zerstörte der Bagger dabei aber nicht nur die Rückwand des Hauses, sonder auch ein für allemal die sozial romantischen Träume einer Initiativgruppe zur Rettung und Erhaltung des einstigen Gutshauses. Doch welch ein Wunder, im Dachstuhl des Hauses wurden partout in letzter Sekunde Fledermäuse entdeckt, die sich dort häuslich eingerichtet hatten.
Also Kommando zurück, Baustopp. Aus - die Fledermaus! Und täglich grüßt die Fledermaus!
Mit seiner mächtigen Schaufel zerstörte der Bagger dabei aber nicht nur die Rückwand des Hauses, sonder auch ein für allemal die sozial romantischen Träume einer Initiativgruppe zur Rettung und Erhaltung des einstigen Gutshauses. Doch welch ein Wunder, im Dachstuhl des Hauses wurden partout in letzter Sekunde Fledermäuse entdeckt, die sich dort häuslich eingerichtet hatten.
Also Kommando zurück, Baustopp. Aus - die Fledermaus! Und täglich grüßt die Fledermaus!
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