Sonntag, 16. Dezember 2018


Der Engel mit dem Cello


Der kleine Engel mit dem Cello hat in dieser Adventszeit seinen Platz auf meinem Schreibtisch gefunden. Ja, er ist mir buchstäblich zugeflogen. Oder besser, ich hab ihn, nach einem Besuch bei Freunden in der letzten Woche, von diesen lieben Menschen geschenkt bekommen. Nun steht er vor mir und ich muss ihn immer wieder anschauen.

Er ist so klein und zerbrechlich. Schon auf dem Weg zu mir nach Hause, ist bei ihm ein kleiner Flügel abgeknickt. Doch schnell ein Tropfen Alleskleber und alles war wieder heil.  
Da kommt mir so ein Gedanke, wäre es nicht toll,  wenn es solchen Alleskleber auch für all die Brüche und Verletzungen bei den Menschen gäbe? Eins, zwei, drei wäre alles wieder heil und in Ordnung. Wie Vieles geht doch täglich im menschlichen Miteinander in die Brüche. Das Allerwenigste davon lässt sich aber so einfach wieder kleben, kitten oder gar heilen. Viele Brüche und Verletzungen belasten manche Menschen ein Leben lang.

Daran muss ich denken, wenn ich auf den kleinen Engel vor mir schaue. Und mir wird dabei bewusst, dass es immer die Kleinen und Schwachen sind, die am meisten verletzt werden. Es sind gerade die, die sich am wenigsten wehren können, oder die es nicht tun, weil sie nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollen. Es sind ausgerechnet diejenigen, die mit Anstand durchs Leben gehen. Das macht sie in der heutigen Zeit und Gesellschaft zu Außenseitern, zu Verlierern. Sie sind verletzlich und schwach. Darum passen sie wohl genau so wenig in diese raue und laute Welt, wie der kleine, zerbrechliche Engel. Und doch gibt es sie. Sie machen den Alltag in ihrem Umfeld etwas friedlicher und heller. Es würde sehr viel in der Gesellschaft fehlen, wenn es sie nicht gäbe. Dabei nehmen sie sich selbst gar nicht so wichtig. Dafür bin ich dankbar.

Und wieder fällt mein Blick auf meinen kleinen Engel mit seinem Cello. Er macht mich aufmerksam, das Kleine und Unscheinbare im Leben nicht zu unterschätzen, sondern zu achten. Auch die leisen Töne gehören dazu. Die kann aber nur der hören, der selbst still wird und lauscht. Es ist jedoch nicht allein das laute Getöse unserer Tage auf den Straßen und Plätzen, sondern es ist der beständige Drang in uns, immer und überall zu reden, zu diskutieren und zu lamentieren. Das lässt uns nicht mehr zur Ruhe kommen. Dieses Karussell der Belanglosigkeiten und Nichtigkeiten dreht sich unaufhörlich und  immer rasanter und führt letztlich zu der permanenten Aufgeregtheit in unserer Gesellschaft, die so häufig beklagt wird. 

Ist es nicht gerade die Adventszeit, die die viel beschworene Stille und Besinnung bringen soll? Doch wie soll das gehen? Sind wir es doch, die zwar ständig über den ganzen Weihnachtsrummel schimpfen, ihn aber selbst mit verursachen? Vielleicht liegt es ja daran, dass wir es gar nicht erst versuchen, einfach mal still zu werden? Es ist doch so viel einfacher, die Gründe für unser Unvermögen und unsere Unlust gleich bei anderen zu suchen. Was wir am meisten vermissen, Ruhe und inneren Frieden, verhindern wir auf diese Weise selbst durch unsere ständige Hektik und Aufgeregtheit.

Der kleine Engel spielt so zart und leise auf seinem Cello, dass wir es kaum oder gar nicht mehr hören. Aber er gibt nicht auf. Dieser lange Atem, diese Ausdauer und die Geduld, fehlen heute viel zu vielen Menschen. Sie jagen der Verheißung nach schnellem Wohlstand und äußerem Glück hinterher und merken dabei nicht mehr, dass sie selbst die Gejagten sind.

Der kleine Engel mit dem Cello auf meinem Schreibtisch hilft mir in dieser Adventszeit, daran zu denken, still zu werden und achtsamer mit mir selbst und mit anderen Menschen umzugehen. Nur so wird es möglich, seine Melodie der Freude und des Friedens aufzunehmen und sie weiterzutragen.




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