Leben im Paulusviertel – eine soziale Interaktion
Bei uns im Viertel wohnen
viele Familien und allein erziehende Elternteile mit kleinen Kindern. Obwohl es
rund um die Pauluskirche gar nicht mal so kindgemäß ist. Die engen Straßen sind
beidseitig mit Autos zugeparkt, oft auch die Fußwege. Als Fußgänger oder gar
mit Kinderwagen müssen sich die Bewohner den Weg durchs Gedränge oft mühsam
bahnen. Grünflächen und Spielplätze sind rar und deshalb stets überfüllt.
Worin
eigentlich die Attraktivität des Paulusviertels liegt, kann ich gar nicht so genau
sagen. Und doch zieht es gerade junge Leute mit Kindern in dieses Viertel. Die
Altbauwohnungen sind groß und haben ihr eigenes Flair. Besonders viele
Studenten wohnen hier in Wohngemeinschaften. Ebenso viele Akademiker und
andere, die der besondere Ruf des Paulusviertels angezogen hat. Es schon hat
einen gewissen Charme, man muss ihn aber mögen.
Ja, es ist auch ein eigenes
Klientel, welches recht alternativ das Straßenbild prägt. Wollmützen, langer Rock, Ringelstrümpfe und
hohe Schuhe gehören genauso dazu wie die allseits beliebte Outdoorbekleidung
mit Rucksack und Umhängetasche. Wer einen Anzug trägt oder ein schlichtes
Kostüm, der ist schon overdressed, wie man hier sagen würde. Schon die
Kleinsten bekommen ihren individuellen Touch. Mann trägt Zopf und dazu genau
wie Frau ein Kind im Tragetuch vorm Bauch oder auf dem Rücken.
Neben den vielen Kindern
beherrschen kleine und große Hunde das Straßenbild und hinterlassen ihre
sichtbaren Spuren an den Bäumen und auf den Gehwegen. Es ist recht amüsant
anzusehen, wenn so ein kleines Hündchen
von einem großen Mann an der Leine spazieren geführt wird oder
wenn ein riesiger Hund sein kleines Frauchen hinter sich herzieht. Etwas
skurril wirkt es dann auch, wenn sich Herrchen oder Frauchen mit einer kleinen
Schaufel und einem Plastikbeutel bewaffnet, über die Hinterlassenschaften des
kleinen oder, igitt, des recht großen Lieblings hermachen und diese irgendwie
beseitigen, was ja wiederum sehr lobenswert ist und längst nicht alle tun.
Über mangelnde Abwechslung und Lebendigkeit
kann man sich hier im Viertel sicherlich
nicht beklagen! Durch den dichten
Straßenverkehr hindurch, drängeln sich
jede Menge kleine und große Leute auf oft abenteuerliche Weise. Die Papas und
Mamas auf Fahrädern mit Kindersitz und Anhängern, bestückt mit ein oder zwei
kleinen Kindern, holpern über das Kopfsteinpflaster und über die die halsbrecherischen
Gehwege. Schon die Kleinsten wuseln mit ihren Treträdern und Rollern durch den unübersichtlichen
Verkehr. Manchmal muss ich die Augen schließen, denn ich kann es gar nicht mit ansehen.
Zum Glück passiert aber weniger, als man annehmen könnte. Gott sei Dank, aber
der spielt auch hier keine große Rolle, obwohl über dem Viertel die dominante
Pauluskirche thront.
Ansonsten haben die Leute
hier eine eigene Art zu leben. Kinder haben einen hohen Stellenwert und alles
dreht sich um sie. Die Mütter und Väter nehmen die Kleinen ganz
wichtig und vermeiden bewusst unnötige Regeln und Einschränkungen. Neulich kam uns doch
ein etwa Zweijähriger auf dem Bürgersteig entgegen gerannt und lief auf die Straße
zu. Er hatte sich scheinbar von der Hand des Vaters einfach losgerissen. Da
stürmte der Papa, ein großer und kräftiger Mann, mit erzürntem Gesicht hinter ihm
her. Ich dachte noch, gleich passiert es! Aber nichts passierte. Mit der
sanften Stimme eines pädagogisch geschulten „Kinderverstehers“ säuselte er dem
Kleinen, noch ganz außer Puste, zu: „Jetzt hast du Papa aber große Angst
gemacht! Wenn du einfach weg läufst, kann
der Papa gar nicht auf dich aufpassen!“ Na, das hat aber gesessen! Oder?
Nächste Szene vor unserem
Balkon. Ein Vater zu einem etwa fünfjährigen Kind: „Aaron Luca, wir haben dir drei
Alternativen gegeben, aber du hast dich definitiv nicht entscheiden können“.
Kind bleibt ungerührt. Die Mutter versucht es noch einmal: „ Oder soll dich der Opa
abholen?“ Außer einem angewiderten Gesicht, keine Antwort. Das wäre bei einer
konventionellen Erziehung wohl auch einfacher gewesen.
Zwei stolze Väter sitzen im
Straßenkaffee und unterhalten sich über ihre Sprösslinge. „Ach morgen feiert
unser Jüngster seinen ersten Geburtstag“, erzählt der eine Vater ganz stolz. „Toll,
dann ist das ja seine erste soziale Interaktion“, meinte der andere
anerkennend.
Na, der Kleine hat sich bestimmt
riesig gefreut und wird noch nach Jahren stolz davon berichten. Ganz gewiss
werde ich das wohl auch mal wieder tun, wenn es neue „soziale Interaktionen“ im Paulusviertel gibt.
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