Die letzten Indianer
Nur wenige von ihnen sind
noch übrig geblieben. Der Häuptling hat einige Schrammen abbekommen, die
Friedenspfeife ist verloren gegangen. Andere Krieger liegen mit abgebrochenen
Armen und Beinen, ohne ihre Bögen und Tomahawks, in einer Kramkiste aus meinen
Kindertagen auf dem Dachboden. Fast
sechzig Sommer sind über das ehemalige Indianerlager ihre Bewohner hingezogen.
Davon ist kaum noch etwas übrig. Eine Hütte ohne Dach, ein erloschenes Lagerfeuer,
der Totempfahl, das ist alles.
Die einst stolzen Krieger
und edlen Helden, die meine Kinderphantasie beflügelt haben, gibt es nicht mehr
und ganz sicher hat es sie in Wirklichkeit so nie gegeben. Unsere Vorstellung
von den „edlen Wilden“ entspringt einer sehr romantisierenden Sichtweise.
Die
großen Jäger, die den Büffelherden in den Weiten der Prärie nachjagten und so für das Überleben des
Stammes sorgten, die Krieger, die ihre Frauen und Kinder gegen jeden Angriff
der Feinde verteidigten, der weise Medizinmann, der die Natur und ihre Kräfte
der Heilung genau kannte und der große Häuptling mit seinem reichen
Federschmuck, der sein Volk schützte und zum Sieg führte, das sind die Vorstellungen
und verblassten Bilder, die wir von den Indianern hatten. Diese wurden noch genährt
von Karl May und seinen Büchern und später von den vielen Indianerfilmen, die
gerade dieses Klischee bedienten.
Auch wenn wir das alles
längst wissen, haben sich diese Bilder vom rothäutigen Prärieindianer mit
seinem Kopfschmuck aus prächtigen Federn tief in uns eingeprägt. Dass es die
verschiedensten indigenen Völker und Stämme auf dem ganzen amerikanischen
Kontinent vom hohen Norden bis nach Feuerland im äußersten Süden gab und gibt,
ist heute hinreichend bekannt. Auch die Tatsache, dass nach der Landnahme durch
die weißen Siedler, ihre Zahl auf ein Minimum dezimiert wurde, ist kein
Geheimnis mehr. Dem regelrechten Krieg der Europäer gegen die „Rothäute“, die
in ihren Augen als „Wilde“ und nicht als
Menschen galten, hatten diese nur wenig entgegen zu setzen. Skrupellose
Habgier hatte dem friedlichen Zusammenleben schon bald ein Ende gesetzt.
Die persönliche Begegnung
mit heute lebenden Indianern ist für uns noch immer etwas ganz Besonderes. Als wir in
diesem Jahr durch Kanada reisten, kamen wir durch ein Indianerreservat in der Nähe
von Pemberton in Britisch Columbia. Dort im Mount Currie Reservat lebt die Gruppe
der Lil´wat Indianer. Diese Ureinwohner waren die ersten, die das Gebiet ihr Zuhause nannten. Sie waren wirklich die „First Nation“, die erste Nation, wie
die Kanadier diese Nachkommen der Ureinwohner und ersten Besitzer des Landes heute
anerkennend nennen. Von ihrem Land ist ihnen jedoch nicht mehr viel geblieben.
Trotzdem pflegt die Gruppe
der Lil`wat, wie andere Stämme auch, ihre alten Traditionen und ihre Sprache. Sie versuchen, der heutigen Zeit zu trotzen und ihrem völligen Verschwinden
entgegen zu wirken. Jedoch war der
Einfluss der Weißen auf diese Menschen nicht immer der beste. Sie brachten ihnen
das „Feuerwasser“ und so manche Zivilisationskrankheit. Darunter leiden auch
heute noch viele in den Reservaten und man sieht es ihnen und ihren Behausungen
auch an.
Zu einer persönlichen
Begegnung mit einer alten Indianerin kam
es nach dem Gottesdienst am Fest Christi Himmelfahrt in der kleinen Holzkirche
in Mount Currie, den ein polnischer Pfarrer aus Wisthler mit uns und noch etwa
acht weiteren Besuchern feierte. Zum Klang einer Gitarre und einer
Mundharmonika wurde auch ein indianisches Lied gesungen. Im Anschluss wurden
wir zum Kirchenkaffee eingeladen und erfuhren einiges aus dem Leben dieser
Indianerin. Als Lehrerin versuchte sie immer, ihren Schülern die Traditionen der "Alten" zu vermitteln und
sie gleichzeitig auf die Herausforderungen der heutigen Zeit vorzubereiten, was
auch heute noch einem Spagat gleichkommt.
Nach dieser Begegnung
stellten wir gemeinsam fest, dass diese alte Indianerin so gar nicht unseren
Vorstellungen entsprach. Sie war so authentisch und hat uns sehr beeindruckt
und zum Nachdenken gebracht. Als wir danach durch das weite Tal fuhren mit
seinen grünen Wiesen und Wäldern, mit der reinen Luft und dem frischen Wasser
des Flusses, da konnten wir ermessen,
was diese „First Nation“ ein für allemal verloren hat. All das, war doch ihr
natürlicher und angestammter Lebensraum, den sie verloren haben und um den sie
noch heute kämpfen müssen.
„Nur wenige sind noch übrig
geblieben“, mit diesen Worten habe ich meinen Text und meine Betrachtungen begonnen
und meinte damit zuerst das Indianerlager aus meinen Kindertagen. Doch ein
Blick in die Geschichte des amerikanischen Kontinents zeigt, dass alle
indigenen Völker, Ureinwohner oder wohlwollender ausgedrückt, die „First
Nation“ ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Nur war ihr Schicksal eben viel
grausamer, als das der Indianer aus meiner Spielkiste, denn sie waren Menschen, die getötet wurden und ihr Land verloren haben.
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