„Selbstgestrickt“
Stricken ist wieder „in“.
Zwei links, zwei rechts, Masche für Masche entsteht so ein Unikat und bringt
dem Träger Freude und Bewunderung. Stricken ist mehr als bloß ein Zeitvertreib
oder eine Erwerbstätigkeit, Stricken ist inzwischen ein angesagter Event für Frau und Mann. In den frühen 80iger
Jahren konnten wir die „grünen“ Abgeordneten im Bundestag häufig mit Nadeln und
Wollknäuel sehen. Nun ist es wieder schick, die Nadeln zu kreuzen, aber nicht
nur um Mützen, Schals und Pullover zu stricken, sonder die „Strickrebellen“ von
heute verschönern mit ihren Strick-kunstwerken: Straßenlaternen, Brücken-geländer,
Denkmale und sogar Bäume. Im Internet findet man ihre Bilder von den Kunstwerken
aber auch von bunten, selbstgestrickten Socken und bei ebay jede Menge Wollsachen im
Angebot.
Schöne alte/neue Strick- und Häkelwelt. Da ist sicher für jeden etwas dabei. Was aber gerade diese
Stricksachen ausmacht, ist ihre unangefochtene Originalität in Farbe, Muster und Form. Jeder
gestaltet und fertigt sein unverwechselbares Unikat, selbst wenn dazu ein fertiges Strickmuster
verwendet wurde, hat es doch die eigene „Note“. So soll es wohl auch
sein, wer strickt, möchte dafür auch bewundert werden. Wenn auch nicht alle selbstgestrickten Stücke gelingen, macht ja nicht, sie können wieder aufgeribbelt werden. Dann geht’s von vorne los. Dass die zwei Socken nicht so gleich
aussehen, wie sie eigentlich sollten, ist
gar nicht so schlimm, ist dann eben Ausdruck
von Individualität.
Und genau um diese scheint
es heutzutage auch in anderen Bereichen des Lebens für immer mehr Menschen zu gehen. Frei
nach Pippi Langstrumpf: „Widdewiddewitt und Drei macht Neune! Ich mach mir die
Welt widdewiddewitt wie sie mir gefällt…“, machen sich viele Menschen ihre
eigene „selbstgestrickte“ Weltanschauung.
Was einem da auf dem Markt der Meinungen und Ansichten so alles begegnet, ist oft haarsträubend.
Originalität und Individualität werden ganz großgeschrieben, ob es anderen passt
oder nicht. Und so wird gestrickt und gehäkelt, was das Zeug hält. Hauptsache
bunt und kuschelig, dafür etwas zipfelig und mit einigen Luftmaschen durchsetzt,
für die einen und für die anderen eher in einer altertümlichen, strengen Form und dunkler Farbe. Von
rot und grün über braun und schwarz bis hin zu den schillernden Regenbogenfarben, ist hier alles vertreten. Jeder aber hält seine Farbe und sein Muster nicht
nur für das Schönste, sonder absolut für
das einzig Richtige.
Bei Widerspruch haut man/frau sich die Anschauungen rechts
und links heftig um die Ohren, sodass
die Maschen fliegen. Und wie praktisch, was heute passt, gilt morgen schon nicht
mehr. Da wird das „Selbstgestrickte“ einfach aufgeribbelt. Ein paar Wollreste
aus der Mottenkiste genommen und dazu ein Knäuel echte, handgesponnene nepalesische
Wolle aus dem Ökoladen und fertig ist das neue Stück.
Einfach „selbstgestrickt“
– das passt schon! Oder vielleicht doch nicht?