Wir haben uns daran gewöhnt,
dass unsere Kühlschränke
gut gefüllt sind und wir im Supermarkt zwischen zig verschiedenen Sorten
unseren Joghurt auswählen können. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es
spätestens ab September Schokoladenweihnachtsmänner und Christstollen gibt, und
dass wir frische Erdbeeren im Dezember bekommen. Wir haben uns daran gewöhnt,
dass auf den Weihnachts-märkten und in den Kaufhäusern, den modernen Einkaufstempeln, die Besucher mit alten christlichen
Liedern berieselt werden, obwohl immer
weniger Menschen in die Kirchen gehen und noch weniger an die Weihnachtbotschaft glauben.
Wir haben
uns an so vieles gewöhnt, was uns nützlich, bequem und gut erscheint. Und an
das Gute kann man sich ja ganz schnell gewöhnen.
An anderes haben wir uns
auch gewöhnt oder besser gesagt, mussten wir uns gewöhnen. Daran, dass es in
Deutschland keine Vollbeschäftigung mehr geben wird, dass die Sparer um ihre
Zinsen betrogen werden und die Versicherungen zugesagte Zugewinne bei ihren
Versicherten nicht mehr einhalten
müssen, sodass jeder von Glück reden kann, wenn er wenigstens das heraus
bekommt, was er in langen Jahren eingezahlt hat. Wir haben uns daran gewöhnt.
Wir haben uns daran
gewöhnt, dass uns in Film und Fernsehen häufig eine Scheinwelt vorgegaukelt
wird. Dass uns sozusagen Verhaltensmuster suggeriert werden, wie man heute
denkt, redet und handelt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns gezeigt wird,
dass fast kein Tatortkommissar oder ein anderer Protagonist im Fernsehen
verheiratet ist und eine Familie hat. Stattdessen landet er oder sie ganz selbstverständlich nach einer flüchtigen
Begegnung sofort im Bett des anderen. Dass zwei Männer sich küssen, nach des Tages
Last erst einmal ein Joint rein gezogen wird und natürlich immer ein Drink
bereit steht, ist einfach omnipräsent. Woran andere Menschen vielleicht Anstoß
nehmen, daran haben wir uns schon lange gewöhnt ohne es noch selbst zu merken, was da
mit uns gemacht wird.
Wir sind müde und träge
geworden und haben uns an solche Dinge
gewöhnt und sie einfach hingenommen, auch die, die nicht in Ordnung sind. So
sind die Bilder von Krieg und Terror schon
seit Jahren, fast Tag für Tag auf unseren Bildschirmen zu sehen gewesen, die
Bilder von hungernden Menschen, von Ausgebeuteten und von Krankheit
Gezeichneten. Bis jetzt war das alles so weit weg. Nun aber werden die Bilder
Wirklichkeit. Es kommen die Flüchtlingsströme zu uns nach Europa und nach
Deutschland, da werden unsere bisherigen Gewohnheiten in Frage gestellt. Wir
hatten uns doch so sehr daran gewöhnt, dass es ein natürliches Gefälle zwischen Ost
und West und besonders zwischen der ersten und der dritten Welt gibt. Wir
merken immer mehr, dass wir alle in einer Welt leben und eben nichts mehr
sicher ist, an das wir uns so sehr
gewöhnt hatten.
Wir hatten naiver Weise
geglaubt, dass Freiheit zum Nulltarif zu haben ist und uns daran gewöhnt, dass
andere dafür kämpfen. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass unser Wohlstand sicher
ist, und wir vor Weihnachten mit einer kleinen Spende gegen
Spendenbescheinigung davon kommen.
Wir hatten uns an vieles
gewöhnt. Und es ist ja auch nicht verkehrt, wenn wir gewisse Gewohnheiten
entwickelt haben. Gewohnheiten erleichtern das Leben des einzelnen und ganzer
Gruppen. Nicht jeder Handgriff, nicht jede Handlung muss jedes Mal neu überlegt
werden, das entlastet unseren Alltag. Gewohnheiten können aber auch den Blick
für das Neue und die Anderen verstellen, sie können gleichsam wie eingefahrene
Geleise wirken, die nur in eine Richtung
führen.
„Der Mensch kann sich an
vieles gewöhnen“, heißt es manchmal sehr salopp. An Gutes und gleichermaßen an
Böses. Doch der Mensch muss es nicht, und er darf es nicht. Trotzdem wird die
sogenannte „Macht der Gewohnheit“ als Entschuldigung herangezogen für unser
angepasstes Verhalten, welches uns fast zur zweiten Natur geworden ist, sodass es
uns so unendlich schwer fällt, es wirklich zu verändern.
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