Bücher
– eine eigene Welt
In der Hitze des Sommers, als jeder, der konnte, es wohl eher vorgezogen hat, in seiner Wohnung zu bleiben (Gott sei Dank haben wir recht angenehm kühle Räume im Altbau), da nahm ich mir vor, meine Bibliothek mit rund vierzig laufenden Metern Regale zu entstauben und die Bücher neu einzuordnen. Große und kleine, dicke und dünne Bücher standen dort und stapelten sich nämlich bereits mehrfach übereinander oder hintereinander.
So stieg ich auf die Leiter und begann meine Arbeit. Dazu nahm ich nun Buch für Buch in die Hand und entfernte mit einem großen Pinsel den Staub von ihnen. Ein ganz eigener Geruch von Staub und Papier stieg mir alsbald in die Nase. Das weckte sogleich verschiedene Erinnerungen in mir. Immer öfter hielt ich inne und betrachtete jedes einzelne Buch. Dabei fielen mir besonders bei den Büchern, die noch aus der DDR-Zeit stammten, wieder die Umstände ein, unter denen diese Exemplare damals in meinen Besitz gekommen sind. Oft waren es Lizenzausgaben westlicher Verlage, die nur in geringer Auflage hier im Osten erschienen. Solche Bücher gehörten, wie vieles andere auch, zur sogenannten „Bückware“, weil sie oft nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden.
Da war zum Beispiel der dicke, grüne Band mit Erzählungen von Heinrich Böll, ihn fand ich damals nicht im Buchladen, sondern im Konsum im Dorf neben Konservendosen und anderen Dingen des „täglichen Bedarfs“ im Regal ganz unten. Kaum jemand interessierte sich dort scheinbar für Bücher. Treffer! Das schmale Büchlein von Ulrich Plenzdorf „Die neuen Leiden des jungen W.“ entdeckte ich in einem Zeitungskiosk und zog hocherfreut mit meiner Beute los. „Homo faber“ von Max Frisch bekam ich durch Beziehungen zu einem Buchhändler in der kleinen privaten Buchhandlung. Andere Titel tauschten wir mit Freunden aus. Bücher von Alexander Solschenizyn „Der Archipel Gulag“, Georg Orwell „1984“ oder A. Huxley „Schöne neue Welt“ standen nie in meinem Regal und wenn, dann versteckt in der zweiten Reihe. Nur heimlich habe ich sie in diesen Jahren lesen können. Manches Exemplar wurde an der Westgrenze der DDR eben doch nicht entdeckt und fand seinen Weg zu seinen Lesern im Osten, obwohl jeder Westbesucher bei der Einreise von streng dreinblickenden Zöllnern schroff gefragt wurde: „Führen Sie Waffen oder Druckerzeugnisse bei sich?“ Bücher erschienen der SED-Parteiführung wohl gleichermaßen gefährlich, wie Waffen. Das aber nur mal als Anmerkung zur Zeitgeschichte. Bei vielen heute leider längst vergessen oder verdrängt. Auch diese Erinnerungen halten meine Bücher in mir wach.
Beim Säubern und Sortieren, kam mir auch wieder in den Sinn, dass zu der damaligen Zeit, jeder von uns, der bei seiner „Bücherjagd“ fündig geworden war, versucht hat, gleich zwei Exemplare zu erstehen. Nach dem Motto: „Nimm zwei“, dann hatte man etwas zum Tauschen. Meine Bücheraktion in diesem Sommer dauerte also mehrere Tage und wurde allmählich doch recht schweißtreibend, bis alles wieder an Ort und Stelle stand oder lag. Ähnlich lange würde es sicher dauern, wenn ich hier alle Einzelheiten und Begebenheiten, die mir wieder in den Sinn gekommen sind, auflisten wollte. Was ich übrigens nicht geschafft hatte, war, mich von einigen meiner Büchern zu trennen. Zwar hatte ich dazu bereits einen hohen Stapel zur Seite gelegt, doch er wurde nach und nach immer niedriger und letztlich landeten alle meine Bücher wieder im Regal und fanden dort ihren Platz. Nach oben hin war ja in den Regalfächern auch noch Platz.
Bücher sind eine ganz eigene Welt. Nicht nur der Inhalt meiner Bücher gibt Einblicke in das jeweilige Zeitgeschehen und zeigt die Charaktere unterschiedlicher Menschen, sondern sie erzählen auch von den Umstände wie sie in mein Bücherregal gefunden haben. In diese Welt meiner Bücher, wollte ich hiermit einen kleinen Einblick geben.
Ein
regelrechter Hunger nach guter Literatur hatte uns nach der dürftigen Kost der
sogenannten „Pflichtliteratur“ während der Schulzeit erfasst. Wir wussten danach zwar
ganz genau, „wie der Stahl gehärtet wurde“ oder wie sich das „Neuland unterm
Pflug“ anfühlt. Vor allem konnten wir die obligatorische Frage des Lehrers, was
uns denn der Dichter damit sagen wolle, systemgerecht beantworten. Das hatten wir ja bestens gelernt, aber wir hatten in dieser Zeit auch gelernt, zwischen den
Zeilen zu lesen und unsere eigenen Fragen zu stellen und anderswo Antworten zu
suchen.
Im Kreis Gleichgesinnter
begann damals ein reger Austausch der Gedanken und das Eintauchen in die Welt
der Bücher. Es war wie ein Sog, der uns erfasst und beflügelt hatte. „Hast du schon „Homo Faber“ von Max Frisch
oder den „Steppenwolf“ von Hermann Hesse gelesen? Wer einen neuen Autor für
sich entdeckt hatte, versuchte möglichst alle seine greifbaren Titel zu
ergattern und zu lesen. Für uns waren diese 70iger und 80iger Jahre in der damaligen
DDR eine spannende und zugleich angespannte Zeit. Es bahnte sich bereits etwas an, was
noch keiner so richtig erahnen konnte.
Und dann durfte ich
wirklich 1987 für wenige Tage in den Westen, offiziell die BRD, zu einem Besuch
nach Bielefeld fahren. Dort stand ich nun in einer riesigen Buchhandlung und da
standen auch all die Autoren, von denen wir damals nur träumen konnten. Mir
gingen im wahrsten Sinne die Augen über. Ich musste schnellstens raus aus dem
Laden. Diese Fülle hatte mich buchstäblich erschlagen, mir blieb fast die Luft
weg. Beim zweiten Versuch erstand ich dann nach langem Suchen und Abwägen zwei dünne
Paperback-Büchlein, die genauso schmal waren wie mein Budget.
Wenn ich jetzt auf all die
Bücher, die Romane, Fachbücher und die dicken Bildbände in meinen Bücherregalen
schaue, dann leben die vergangenen Zeiten wieder in mir auf. All diese Bücher
zeigen mir zwar ihren Rücken, aber die Namen ihrer Autoren und die Titel darauf sind
eine beständige Einladung, eine Einladungen, ein Buch zu nehmen, es
aufzuschlagen, etwa zu verweilen und zu lesen. Manchmal finde ich in dem einem oder dem anderen Buch einen
Zettel von mir mit einer handschriftlichen Notiz oder ein Exzerpt auf einer
Karteikarte. Bemerkungen und Gedanken, die ich teils auch heute noch unterstreichen
kann, anderes sehe ich inzwischen differenzierter, eben etwas anders. Beim Lesen guter Bücher, wird der
Leser buchstäblich selbst Teil der Geschichten, wie er auch immer Teil der jeweiligen Zeitgeschichte ist. Zeit und Ort aber bestimmen auch seine
Position und seine Sichtweise.
Und noch ein Gedanke kam mir in diesem Zusammenhang. Ist es nicht so, dass es beim Lesen von Weintrauben, also bei der Weinlese, genauso wie beim Lesen von Büchern, darum geht, die guten Beeren oder eben die guten Gedanken eines Buches zu lesen, aufzulesen, zu sammeln und das Wertvolle zu behalten? Dazu muss man wissen, dass das althochdeutsche Wort „lesan“ bereits im 8. Jahrhundert zu unserem heutigen Verb „lesen“ wurde.
Lesen also sammelt die Gedanken und ordnet sie ein in ein größeres Ganzes. Gute Bücher kann man deshalb auch zweimal und öfter mit Gewinn lesen! Oder anders gesagt: Ohne Bücher wären wir und unsere Welt um einiges oder besser um vieles ärmer!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen