Mittwoch, 19. August 2020

„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur!“

 

„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur!“


Vielleicht kennen Sie dieses Sprichwort auch? Es klingt doch recht gut und erscheint auf den ersten Blick sogar sehr vernünftig. Auf den zweiten Blick hin stellt sich dann aber die Frage, was ist dann mit all den anderen Stunden, Tagen und Jahren des Lebens ohne Sonnenschein? Die Sonnenstunden machen doch oft nur einen Teil des Tages aus. An manchen Tagen schein sie überhaupt nicht. Und genau so ist es auch im Leben eines jeden Menschen.

Ja, was ist dann bitte mit der übrigen Lebenszeit, wenn sich unser Leben verdunkelt und die Sonne nicht scheint? Gehören nicht auch und gerade diese dunklen und schweren Stunden dazu? Es gibt doch wohl kein einziges Leben nur in Freude und Sonnenschein, ganz ohne dunkle Wolken. Denn es gibt auch keinen Tag ohne das Dunkel der Nacht, keine Liebe ohne Schmerz und vor allem kein Leben ohne das Sterben und den Tod. Auch wenn wir uns heute gern darüber hinwegtäuschen lassen und diese Wahrheit verdrängen. Was wäre das denn für ein Leben? Zählt nicht so manch einer in seinem Leid gerade die dunklen Stunden und hofft, dass sie vorüber gehen? Sie haben ihre ganz eigene Gewichtung und zählen zum Ganzen genauso dazu. Keiner kann sie einfach unterschlagen.

Natürlich darf sich jeder Mensch über die Sonnenstunden seines Lebens freuen, über alles Schöne und Heitere und sich dankbar daran erinnern. Die Zeit vergeht aber auch ohne Sonnenschein, auch wenn sich dichte Wolken vor die Sonne schieben und die Sonnenuhr diese Stunden nicht mehr anzeigen kann. Darum heißt diese Uhr ja Sonnenuhr. Denn allein durch den Stand der Sonne zeigte der Schatten des Zeigers die jeweilige Stunde des Tages an. Niemals bleibt die Zeit stehen, ob in guten wie in schweren Stunden.

Immer geht es weiter, auch wenn Sorgen, Schmerz und Trauer den Menschen treffen. Das ist für jeden Menschen eine ganz persönliche Herausforderung, die viel Kraft und Mut kostet. Das Leben verheißt ja auch keinem, dass er alles mit Leichtigkeit und Bravur meistert oder zum Nulltarif bekommen muss. Glücksmomente sind genau wie Sonnenstunden nicht selbstverständlich und schon gar nicht einklagbar. Sie haben immer Geschenkcharakter. Das aber vergessen viele Zeitgenossen, die nur noch von ihrem Anspruchsdenken bestimmt werden. Wer nur die schönen Stunden am Tag und im Leben zählt, der muss ja zutiefst enttäuscht und verzweifelt sein, wenn sie dann vielleicht sogar für längere Zeit ausbleiben.

Für alles Erreichte und Schöne im Leben darf und soll jeder Mensch natürlich besonders dankbar sein. Aber auch dann, wenn er dunkle Stunden und  Zeiten übergestanden hat und die Sonne wieder scheint. Rückschauend wird er vielleicht erkennen, dass in dieser Zeit andere Menschen an seiner Seite waren, die  ihn durch diese dunkle Zeit begleitet oder gar getragen haben. Diese Erfahrungen können einem Menschen sehr deutlich machen, dass nicht allein die Sonnenstunden als die schönen Stunden zählen, sondern auch und gerade die dunklen Zeiten ihren ganz eigenen Wert besitzen. Einen Wert, den man vielleicht erst viel später erkennt.

Was wäre denn das Leben ohne diese wertvollen Erfahrungen eines guten Miteinander und Füreinander?

 

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