Sonntag, 10. Mai 2015


Ich mag Pusteblumen



Tausende und Abertausende von ihnen bevölkern besonders in den Monaten April und Mai die Wiesen und die Grünanlagen in der Stadt. Ihre Blüten leuchten wie unzählige kleine, goldgelbe Sonnen. Nur kurze Zeit darauf sind die Samen mit ihren kleinen Schirmen reif und es entstehen die vielen kugelförmigen und leichten Gebilde, denen der Löwenzahn seinen volkstümlichen Namen „Pusteblume“ verdankt. Geht ein Wind darüber, werden die Samen wie eine Wolke weißer Flocken davon geweht.

Die Pusteblume ist besonders bei Kindern beliebt. Sie pflücken sie gerne ab, halten sie vor den Mund und pusten solange bis ihre Samen an den Schirmen davon getragen werden, um an anderer Stelle sanft wieder zu landen. Aus den Blüten machen die kleinen Mädchen schöne Kränze und setzen sie auf ihren Kopf. Dann  sehen sie aus wie kleine Prinzessinnen mit ihren goldenen Krönchen. Fast jedes Mädchen möchte doch gern einmal  Prinzessin sein.

Selbst als Salat sind die zarten Blätter des Löwenzahns bei Feinschmeckern sehr geschätzt und beliebt. Aus den goldgelben Blüten lässt sich ein wohlschmeckender honigähnlicher Sirup als Brotaufstrich gewinnen. Welch  vielseitig verwendbare Pflanze der Löwenzahn doch ist.

Dennoch mochte ich den Löwenzahn in meinen Kindertagen gar nicht leiden, weil   ich damals im Garten und auf dem Rasen den Löwenzahn oft mühsam ausstechen musste, damit er sich nicht so sehr ausbreitete und andere Pflanzen erstickte. Die Hühner auf unserem Hof dagegen freute es sehr, wenn sie die jungen Blätter als zusätzliches Futter bekamen. Sie lohnten es uns mit ihren frischen Eiern mit einem besonders goldgelben Eidotter.

Heute sehe ich den Löwenzahn in seiner Blütenpracht, die eine ganze Wiese in herrliches Gelb taucht, wirklich gern. Auch der Flug der kleinen Samen an ihren Schirmen fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Der Löwenzahn in all seinen Formen hat etwas, was uns Menschen oft fehlt. Er hat Wurzeln, die tief in die Erde reichen und ihm einen festen Halt geben. Sein Stehvermögen ist unglaublich stark. In den engsten Pflaster- und Mauerritzen kann er sich behaupten. Durch seine Ausdauer und verborgene Kraft kann er selbst den Asphalt aufbrechen. Das sind beste Voraussetzungen für ein gelingendes Leben, nicht nur für ein Überleben. Vielen Menschen fehlt heute dieser gesunde "Wurzelgrund", das sind Orte, Gemeinschaften oder Aufgaben, die zwar  anstrengend sein können, die  aber auch Sinn und Kraft geben.

Der Löwenzahn hält seine Samenkörner nicht fest, er lässt sie vom Wind forttragen an unbekannte Orte, damit sie dort Wurzeln schlagen und neue Pflanzen bilden. Das geschieht nicht ohne Risiko, denn nicht jeder Samen geht auf. Krampfhaftes Festhalten aber wäre keine Lösung. Das gilt auch für uns Menschen. Immer nur den Status quo erhalten zu wollen, ist in allen Bereichen des Lebens häufig der Anfang vom Ende. Ein etwas paradox klingendes Wort lautet: „Nur wer sich verändert, bleibt sich treu.“

Mich beeindrucken deshalb die Standfestigkeit und zugleich diese Leichtigkeit des Löwenzahn sehr. Er hat nämlich beides, gleichsam Wurzeln und Flügel. Genau solche Menschen wünsche ich mir, die einen einen festen Standpunkt haben, aber immer bereit sind für Neues. Die ihre Ideen, ihr Wissen und ihren Glauben nicht für sich behalten, sondern die loslassen können, damit  der gute Geist sie weiter trägt an viele neue Orte und sie Wurzeln schlagen lässt in den Herzen anderer Menschen. 


Montag, 4. Mai 2015


Die Bahia -  wo andere Urlaub machen

Der Bundesstaat "Bahia" liegt im tropischen Nordosten von Brasilien. Ein besonderer Anziehungspunkt für viele Touristen aus aller Welt ist die Stadt San Salvador. Sie ist bekannt für die Lebensfreude ihrer Bewohner und besonders für den lauten und bunten Karneval. Überall ist dort noch die afrobrasilianische Kultur gegenwärtig und lebendig. Kilometerlange weiße Strände laden Einheimische und Besucher zum Baden und Chillen ein. Das Ziel unserer Reise aber lag wieder einmal abseits dieser touristischen Attraktionen.

Nach unserem Zwischenstopp in Rio fuhren wir sehr früh am Morgen zum dortigen Airport und flogen nach San Salvador. Die ehemalige Hauptstadt Brasiliens, denn das war Salvador einmal, war aber nicht unser eigentliches Ziel. In überfüllten Bussen ging es in rasanter Fahrt durch die drittgrößte Stadt Brasilien zur Anlegestelle der Fähre. In knapp einer Stunde erreichten wir mit dieser die vorgelagerte Insel Itaparica. Weiter ging es nun noch einmal mit dem Bus zur Stadt Nazare´. Über eine lange Brücke haben wir dann  wieder das Festland erreicht. Die letzten 25 km nach Jaguaripe, dem Ziel unserer Reise, fuhren wir mit einem Auto. Die Fahrer privater Autos bieten auf dem Marktplatz ihre Fahrdienste an. Das ist dort die übliche Weise, in die entlegensten Winkel des Landes zu kommen. Zudem ist es recht preiswert, jedoch mit eingeschränktem Komfort verbunden, denn es werden schon einmal bis zu sieben Erwachsene in einem kleinen PKW befördert und da wird die Luft schnell knapp und die Hitze fast unerträglich. Der Blick auf die sanften grünen Hügel mit Palmen und blühenden Büschen, die an uns vorüberzogen, entschädigte uns für die Strapazen der langen Reise.

In dieser wunderschönen tropischen Landschaft, wo andere gern einmal Urlaub machen würden, lebte und arbeitete Padre Arnoldo einige Jahre als Seelsorger bei den Menschen. Er sah ihre Armut, erkannte ihre Nöte und reagierte sofort mit der Einrichtung von zehn Projekten, die er heute noch betreut und finanziell mit Spenden aus Deutschland unterstützt. Sein Weg von Sao Paulo ist weit und beschwerlich, wie wir es ja selbst gerade erfahren hatten. Trotzdem versucht er, alle drei bis vier Monate in die Bahia zu fahren, zu den Menschen, die schon sehnsüchtig auf ihn warten.  Wir hörten bei jeder Begegnung  immer wieder den Satz: „Padre, du warst so lange nicht hier!“ Ihre große Freude und Dankbarkeit war deutlich zu spüren. Auch wir wurden immer ganz herzlich aufgenommen und begrüßt. Für alle war klar, der Besuch aus Deutschland ist ein Zeichen für eine große Solidarität, ohne die all die Projekte von Padre Arnoldo nicht möglich gewesen wären.

Nachdem wir unser einfaches Quartier auf einer Matratze auf dem Fußboden im Saal über der dortigen Creche für die nächsten Tage bezogen hatten, waren wir wieder mit  Arnoldo ständig unterwegs zu seinen Projekten. Nach einem Großeinkauf im Supermercado Sao Jose fuhr ein Mitarbeiter des Geschäfts und guter Freund des Padre die Lebensmittel mit seinem Pickup über teils unwegsame Straßen in die entlegenen Orte und Einrichtungen. Überall spürten wir eine große Herzlichkeit und Freude über den Besuch und die Lebensmittel. Waren doch dadurch in der nächsten Zeit die Mahlzeiten für die Kinder in den creches wieder abgesichert.

In diesen Tagen hatten wir zahlreiche Begegnungen mit den Menschen. Wir haben viele Eindrücke gewonnen von ihrer großer Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Trotz aller Armut spürten wir immer wieder ihre Dankbarkeit und ihre Lebensfreude. Wir erfuhren auch das persönliches Engagement der Helfer und dass die finanzielle Hilfe der Spender hier wirklich ankommt und genau die Bedürftigsten erreicht. Die Erinnerung an die übersprühende Lebensfreude und Herzlichkeit der Menschen durften wir als ein großes Geschenk für uns mitnehmen. Auch wir dürfen sagen: obrigado – danke!

Vor der langen Fahrt zurück nach Sao Paulo, konnten wir noch einmal in der wunderschönen Altstadt von San Salvador das sprühende und bunte Leben der afrobrasilianischen Kultur erleben. Die Besichtigung der historischen Altstadt mit den vielen Kirchen in ihrer kolonialen Pracht und der Sonnenuntergang am Strand rundeten unseren Besuch in der Bahia ab.

Brasilien ist ein wunderschönes und reiches Land. Der größte Reichtum sind wohl seine Menschen in ihrer Vielfalt und Buntheit. Millionen von ihnen aber müssen unter schwierigsten Bedingungen in größter Armut ihr Leben fristen. Abseits der Touristenpfade wurde unser Blick auf diese Not der Armen der Ärmsten gelenkt. Wir sahen aber auch das Engagement von Padre Arnoldo und seiner Helfer. Es ist ihnen wichtig, einfach anzupacken und etwas zu tun. 

Wir haben diese Reise gemacht und gern die Strapazen auf uns genommen, um mit den Spendengeldern zu helfen, die wir Padre Arnolodo übergeben haben und wurden selbst beschenkt. Indem ich darüber berichte, möchte ich vielen meiner Leser den Blick öffnen für die Situation anderer Menschen. Denn unter einem neuen Blickwinkel fällt es uns gewiss auch leichter, einmal dankbarer zu sein für all das, was wir hier in Deutschland allzu oft für so selbstverständlich erachten.



Sonntag, 3. Mai 2015


Brasilien - abseits der Touristenpfade

Nicht der Zuckerhut und die Copacabana, nicht die gewaltigen Wasserfälle des Foz do Iguacu oder der Karneval in Salvador waren das Ziel meiner Reise zusammen mit meinem Freund Charly, sondern diese Reise führte buchstäblich an die Ränder der brasilianischen Gesellschaft.

Am Flughafen in Sao Paulo erwartete uns unser Freund Padre Arnoldo. Seit 25 Jahren arbeitet er in Brasilien als Seelsorger und bemüht sich unaufhörlich, etwas gegen die himmelschreiende Armut und für die Ärmsten der Armen zu tun. Besonders die Kinder liegen ihm dabei sehr am Herzen. So hat er im Laufe der letzten Jahre an verschieden Orten am Rande von Sao Paulo, in Itapeceritca da Sierra, welches zum Großraum Sao Paulos gehört, in dem rund 20 Millionen Menschen auf engsten Raum leben, Kindergärten gebaut, sogenannte „creches“. Dort können die Kinder lernen und fröhlich miteinander spielen. Die rund 400 Kinder in der größten creche „St. Theresinha“ erhalten dort täglich vier Mahlzeiten und die Zuwendung der Mitarbeiterinnen. Das gleiche gilt auch für die anderen kleineren Einrichtungen und Projekte, die wir mit ihm besuchten und immer herzlich und laut von den Kindern und den Erzieherinnen begrüßt wurden.

Wir waren mit Padre Arnoldo ständig unterwegs. Er zeigte uns stolz, was schon geschafft wurde. Aber wir sahen auch so viele Menschen, die in Armut leben mussten und unter menschenunwürdigen Verhältnissen. In einer Favela, einem Armenviertel in St. Pedro, lernten wir ein weiteres Projekt kennen. Beim Besuch einiger der ärmsten Familien in dieser Favela verschlug uns der Gestank dort fast den Atem. Schmutz und Unrat waren überall. Dazwischen lebten auf engsten Raum oft mehrere Personen.  An sie wurde einmal im Monat eine „cesta basica“ ein Paket mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln verteilt. Wenn uns auch die äußeren Umstände oft auf den Magen schlugen, so entschädigten uns doch die Freude und die Dankbarkeit der Menschen. Immer wieder hörten wir zum Abschied ihr „muito obrigado“, vielen herzlichen Dank, denn all diese Projekte werden von Spenden aus Deutschland finanziert.

Nun konnten wir Padre Arnoldo auch besser verstehen, der mit seinen 73 Jahren noch längst nicht ans Aufhören denkt, denn die Not ist unendlich groß. Auch wenn seine Hilfe und sein persönlicher Einsatz nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, so bringt dieser doch wenigsten für einen kurzen Augenblick etwas Linderung für die Ärmsten und es keimt wieder neue Hoffnung auf.

Desweiteren lernten wir ein beeindruckendes Projekt der Schwestern von „Belem“ (Bethlehem) in Sao Paulo kennen. Das ist eine „Gemeinschaft von Frauen für Frauen“, die sich ganz besonders bemüht, Schwangere und Frauen mit Kindern von der Straße und den Drogen wegzuholen und ihnen dafür einen Ort der Geborgenheit zu geben. Drogen gehören allerorten zur unheilvollen Wirklichkeit für so viele in Brasilien. Diese Frauen von Belem haben früher oft selbst das Schicksal der Frauen auf der Straße geteilt und kennen deren Situation genau. Mit großem Engagement bemühen sie sich deshalb, wenigstens Einigen von ihnen die soziale Integration zu ermöglichen. Leider ist auch hierbei nicht jedes Bemühen mit Erfolg gekrönt.

Danach fuhren wir mit dem Überlandbus von Sao Paulo nach Rio de Janeiro. Das Ziel unserer Fahrt lag in der größten und gefährlichsten Favela „morro del aleman“, in der am Tag vor unserer Ankunft die Gewalt zwischen den Drogenbanden und der Polizei wieder einmal eskalierte. Ein Einsatzkommando der Polizei stürmte mit Unterstützung von Hubschraubern dieses Viertel. Schüsse fielen und Blendgranaten wurden abgefeuert. In der dortigen creche versteckten die Helferinnen die 20 Kinder in den Toiletten und Waschräumen. Alle hatten furchtbare Angst, von den Kugeln getroffen zu werden, denn die Wellblechdächer bieten keinen Schutz dagegen, so berichteten sie uns immer noch ganz verstört. Violencia, Gewalt, beherrscht weithin das Leben der Menschen in Brasilien.

Nach unserem Großeinkauf für die Armen in einem Supermercado brachten private Autos die Einkäufe und uns durch die engen und verwinkelten Gassen in die Favela. Wir duckten uns im Auto, denn Fremde sind dort nicht gern gesehen. Das „Comando“, das sind die Drogenbosse, beherrscht die ganze Favela, es gelten dort ihre eigenen Regeln. Einschüchterung und Angst, Drogen, Prostitution und Gewalt bestimmen das Leben der Menschen. Schon Kinder werden als Drogenkurier rekrutiert. Schwerbewaffnete Polizisten haben vor  der Favela Posten bezogen, halten sich aber ansonsten lieber heraus. In Rio leben rund 1,3 Millionen Menschen unter solchen Bedingungen in zahlreichen Favelas. Wie zum Hohn für die Bewohner führt die neue Seilbahn über dieses Armenviertel. Auf einer zwanzig minütigen Fahrt können die Touristen in einer Gondel über die Köpfe der Bewohner schweben und diese wie Exoten in einem Zoo betrachten. So kam mir das jedenfalls vor.

Immer wieder trafen wir dort Menschen, die sich nicht einfach mit diesem Schicksal abfinden. So zum Beispiel die Gruppe „sal do terra“, das heißt: „Salz der Erde“. Wir erfuhren von ihrer Arbeit und ihrem Engagement für die Ärmsten der Armen in der Favela und lernten auch einige von ihnen kennen. Die zehn ehrenamtlichen Mitglieder  der Gruppe bringen monatlich zu 25 Familien, die schon erwähnten „cesta basica“ und kümmern sich um ihre Probleme. Das Engagement und der Mut dieser Frauen und Männer haben uns sehr beeindruckt.




Mittwoch, 29. April 2015


Was raus ist, ist raus


Manche Menschen können einfach keine Neuigkeit für sich behalten. Was raus muss, muss raus. Andere wiederum platzen vor Neugierde und können von Klatsch und Tratsch gar nicht genug bekommen. Und wie das Leben so spielt, treffen genau diese immer wieder aufeinander. Nun kann man sich lebhaft vorstellen, was da so alles abgeht. „Hast Du schon gehört, dass...?“ „Nein, unmöglich, erzähl mal und mach es nicht so spannend“, so wird der andere noch animiert. 

Mit hochroten Köpfen werden dann die privatesten und nicht immer schmeichelhaftesten Sachen über andere erzählt. Demjenigen  müssen geradezu die Ohren nur so klingeln. Im Eifer des Gesprächs, besser im Eifer des Gefechts, denn dazu kann es sich schnell entwickel, wird aus vollen Rohren auf die Schwachstellen des anderen gezielt. Da kommt es auch schon einmal zu erheblichen Kollateralschäden bei unbeteiligten Dritten. Die Worte selbst werden zu spitzen und  giftigen Pfeilen. Sie sind verletzend und manchmal können sie sogar tödlich sein. Manche Worte zerstören ein Leben für immer.

Erschöpft, aber hoch zufrieden, lassen sie sich danach, wenn alle Munition verschossen ist, in ihre Sessel zurücksinken. „Das tat mal richtig gut, über alles so offen  reden zu können“, ist ihr gemeinsames Resümee. Dabei kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn, was sie damit einem anderen angetan haben und dass es diesem ganz und gar nicht gut tat. Einer meiner Freunde hatte, wenn er von solcher üblen Nachrede hörte, stets einen treffenden Vergleich parat. Er sagte dann: „Keiner kann die Zahnpasta, die einmal aus der Tube herausgedrückt wurde, auf dem gleichen Weg wieder in die Tube zurück bekommen." Wer das einmal versucht hat, wird es bestätigen. Genauso ist es auch mit dem Reden über andere. Auch die ausgesprochen Worte lassen sich nicht ungeschehen machen und sie wirken weiter, ob es gewollt ist oder nicht.

Deshalb ist es wohl besser, vorher zu prüfen, ob das zu Sagende  überhaupt wahr und zutreffend ist. Selbst wenn wahr ist, wäre noch zu prüfen, ob es für den anderen gut ist, was hier weiter erzählt werden soll. Und letztendlich, ist es überhaupt notwendig, erzählt zu werden? Diese alte, oft vergessene Weisheit wird dem alten Sokrates zugeschrieben. Und diese drei Siebe, wie er sie nennt, sollten stets zur Anwendung kommen.

Mir scheint, dass wir in einer sehr geschwätzigen Zeit leben. Über alles und jeden wird ausgiebig geredet oder in Kommentaren und Foren hergezogen. Da bleibt dann am anderen nicht viel Gutes. Dieses dauerhafte, negative Reden über andere Menschen, vergiftet die Atmosphäre und zerstört echte Gesprächskultur. Diese so entstandene „Unkultur des Negativen“ breitet sich wie eine „Volkskrankheit“ aus und erfasst alle Bereiche der Gesellschaft, angefangen vom privaten Gespräch bis hin zur öffentlichen Diskussion in Politik, Kirche und den Medien. Die Beteiligten reden nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander und haben längst ihre Urteile gefällt. Davor ist keiner gefeit. 

Wir kennen den Spruch: "Wer mit dem Finger auf einen anderen zeigt, auf den zeigen selbst drei Finger seiner eigenen Hand". Das sagt auch immer etwas über den aus, der über andere herzieht und schlecht über sie redet. Außerdem ist nicht nur der gefordert, der ungeprüft etwas zum Besten gibt, sondern auch der, der ihm begierig zuhört. Dieser sollte nämlich wissen, dass der andere bei passender Gelegenheit auch über ihn schlecht reden wird

Alle üble Nachrede, jede Halbwahrheit, jeder geschmacklose Tratsch und Klatsch ist genauso wie die Zahnpasta, ist sie erst einmal raus, dann kann sie nicht wieder in die Tube zurück gedrückt werden. Was raus ist, ist raus!

Donnerstag, 26. März 2015


Fremdes und Vertrautes

Fremde und exotische Länder sehen. Im Urlaub fremdartige Früchte und andere Köstlichkeiten genießen. Sich von der  Sonne an den unendlich weiten, weißen Stränden verwöhnen lassen. Ferne Städte und Kulturen hautnah erleben. Das ist gewiss ein Wunsch vieler Menschen. Es muss ja auch längst kein Traum mehr bleiben. Jährlich reisen unzählige Menschen in die entlegensten Gegenden der Welt. Sie suchen das Unbekannte und möchten das Fremde kennen lernen.

Je ferner aber die Reiseziele, umso fremder sind dann auch die Sitten und Gebräuche dort. Besonders bei dem ungewohnten, fremdartigen Essen meldet sich schon nach kurzer Zeit das Verlangen nach dem vertrauten deutschen Schwarzbrot, nach Bratkartoffeln und gut geräuchertem Schinken. Schon bei dem Gedanken an eine Thüringer Rostbratwurst mit Senf lief mir buchstäblich immer das Wasser im Mund zusammen und ich freute mich schon auf ihren Genuss nach meiner Heimkehr.

Ist das nicht sonderbar? Da packt uns das Fernweh und das Abenteuer lockt uns in die Ferne. Sind wir aber gerade einmal ein paar Tage unterwegs, befällt uns auch schon der Wunsch nach dem Vertrauten, was wir zu Hause oftmals eher als langweilig und abgestanden betrachten. Viele Menschen leben wohl in dieser Spannung. Sie sind oft unzufrieden mit dem, was sie gerade haben. Es ist so selbstverständlich und sie können es nicht schätzen. Der Ort, an dem sie gerade leben, erscheint ihnen viel zu eng und fand. Die Menschen ihrer Umgebung kennen sie nur allzu gut, das Alltägliche verliert schnell seinen Reiz. Die Sehnsucht nach Veränderung wächst in ihnen und treibt so Manchen hinaus in die Fremde.

Fremdes und Vertrautes werden wohl immer in einer gewissen Spannung zu einander bleiben. Diese Ambivalenz liegt selbst im Inneren des Menschen. Manchmal stellt man in bestimmten Entscheidungssituationen fest, dass die eine oder andere Reaktion einen selbst überrascht, ja erschreckt. Sie erscheint einem aus einer bis dahin fremden und tieferen Schicht zu kommen. Als wäre das kein Teil von uns. Wir fragen uns ungläubig: "Bin ich das wirklich, der so denkt, redet und handelt?" Unser uns vertrautes Denken und Handeln wird urplötzlich durchbrochen und ist wie von fremder Hand gesteuert.

Im vertrauten Umfeld und mit uns selbst im Reinen fühlen wir uns sicher und wohl. Das Unbekannte und das Fremde dagegen verunsichert und macht uns sogar oft Angst. Sowohl das Vertraute als auch das Fremde sind aber keine Einbahnstraßen, denn was für mich vertraut ist, das ist einem anderen Menschen eher fremd und suspekt. Genauso ist das für mich Fremde und Unbekannte für andere Menschen ihre vertraute Alltagswelt.  

Wenn wir das wissen und beherzigen, muss dass Vertraute nicht langweilig sein und das Fremdartige wird uns nicht über die Maßen verunsichern. Wir können uns deshalb respektvoll und ohne Vorurteile allem Fremden und Unbekannten nähern und werden dankbar  das uns Vertrauten schätzen und lieben.

Samstag, 28. Februar 2015


Halbvoll oder halbleer?

Das berühmte „Glas Wasser“, für die einen ist es halbvoll und für andere halbleer. Da kann man nichts dagegen sagen. Beide haben wohl recht. Jeder sieht es eben nur aus einer anderen Perspektive. Der eine eher optimistisch und positiv: „Toll, das Glas ist noch halbvoll, ich freu mich darauf.“ Der andere sieht sich schon am Verdursten: „Oh je, das Glas ist schon halbleer“. Diese pessimistische Sicht sieht nur das Negative und den Mangel, ja überall nur Verlust und Frust im Leben.

Wir müssen nur einmal die Nachrichten in den unterschiedlichsten Medien beobachten: Krieg, Gewalt, Terror, Streit auf der ganzen Ebene und kein Lichtblick am Horizont. Alles düster und deprimierend.  In unseren persönlichen Gesprächen sieht  es oft nicht anders aus. Sind wir ein Volk von Schwarzsehern geworden? Unsere Einkaufswagen sind nicht nur halbvoll, sondern quellen schon fast über. Noch ist das Glas mehr als halbvoll, da wird schon nachgefüllt. In vielen Fällen sind die Portionen beim Griechen so groß, dass die Teller halbvoll in den Abfall wandern.

Warum gelingt es uns trotzdem so wenig, mehr das Positive zu sehen? Oder ist Klagen und Jammern einfach leichter, als zu danken und zu loben? Es kann doch nicht nur daran liegen, dass sich schlechte Nachrichten besser verkaufen als gute. Manchmal denke ich, viele Menschen hierzulande verfahren nach dem verballhornten Spruch: „Lerne klagen ohne zu leiden“. Wenn jemand sagt, „mir geht es gut, ich bin zufrieden“, dann sind die anderen eher verunsichert und halten ihn für nicht normal.

Wir haben uns alle zu sehr daran gewöhnt, uns mit Halbwahrheiten zufrieden zu geben. Oft stellt sich dann doch die Frage, ob die andere Hälfte nicht noch eine größere Unwahrheit in sich birgt? Damit werden wir ja täglich abgespeist in der sogenannten Berichterstattung. Wer aber kritisch nachfragt, macht sich schon verdächtig. Wer den Mainstream hinterfragt und eine eigene Meinung äußert, dem wird gleich eine Phobie unterstellt. Warum lassen wir uns eigentlich  solche halben Sachen einfach gefallen?

Vielleicht, weil wir selbst allzu oft noch hin und her schwanken. Weil wir uns nicht recht entscheiden können oder wollen, uns hinter so mancher Halbwahrheit in unserem eigenem Leben verstecken und immer wieder eine Hintertür zumindest halb offen halten? Unser eigenes, halbherziges Handeln erinnert sehr an das halbstarke Verhalten bei Jugendlichen, die noch etwas halb- oder unreif sind, sich aber ganz besonders stark fühlen und so auftreten. Doch oft ist nicht viel dahinter. Halbheiten führen zu nichts und bringen nur Frust.

Ob nun halbvoll oder halbleer, das bleibt Ansichtssache und ist letztlich egal. Aber sonst bitte keine halben Sachen, denn es geht immer um das Ganze. 

Mittwoch, 4. Februar 2015


Aber bitte nur die geraden Stücke


Müssen alle Männer Wäsche bügeln können? Ich jedenfalls kann es nicht. Oder doch ein wenig, aber nur die geraden Stücke. Nicht jeder muss schließlich alles können. Darum  gebe ich es gerne zu, dass ich auch nicht tanzen, singen und kochen kann. Obwohl gerade  das Kochen heute bei den Männern außerordentlich beliebt ist und bei den Damen auch gut ankommt, wie man hört. So sehe ich es jedenfalls immer wieder in den einschlägigen Fernsehsendungen und in vielen Filmen im Kino. Kochende Männer berichten auch stolz von ihren Kochkünsten in den Talkshows und ernten dafür Applaus. Viele  stellen sich dabei gern mit ihrem tatsächlichen oder angeblichen Können ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Da ist es geradezu kontraproduktiv und fast tödlich, einmal einen noch so kleinen Fehler oder Mangel zuzugeben. Das tut man nicht! Das geht gar nicht. Das schadet dem Image. Was sollen denn die anderen denken, wenn ich Schwäche zeige? Vor ihnen muss man schließlich etwas darstellen. Daher gilt heute: tarnen täuschen, trixen. Mehr Schein als Sein.

Eigene Fehler werden schon gar nicht zugegeben. Es wird gestritten und geleugnet, bis es nicht mehr geht. Immer sind natürlich die anderen schuld. Dies lernen schon die Jüngsten. Den heutigen Menschen ist es abgewöhnt worden, sich selbst und sein Handeln auch einmal in Frage zu stellen. Fehler gibt man nicht zu, das macht angreifbar. Die Konkurrenz schläft nämlich nicht und wartet nur auf eine solche Gelegenheit. 

Wenn mir ein solcher Mensch begegnet und mir im Gespräch mit ihm nur sein Können, seine Stärke und seine Cleverness präsentiert wird, dann werde ich ganz schnell still und denke mir meinen Teil. Dieses Aufgesetzte ist mir echt zuwider. Mir sind Menschen lieber, die einen Fehler zugeben können und selbst herzlich über ihren eigenen Fauxpas lachen können. Alle aber, die sich selbst als perfekt und unfehlbar darstellen, sind für mich hingegen die reinsten Karikaturen.

Und wie gefährlich es sein kann, einen Fehler nicht zuzugeben, habe ich ja bereits in einem früheren Blog beschrieben. Darin stoßen zwei blinde Pinguine im ewigen Eis zusammen, geben aber voreinander ihre Blindheit nicht zu. Jeder verlässt sich auf den anderen, dass dieser den Weg schon kennt und sieht. So gehen sie blind dem tiefen Abgrund entgegen.

Nicht jeder muss alles können und wissen. Auch darf jeder einmal einen Fehler machen, denn nur wer nichts macht, macht nichts falsch. Oder vielleicht doch? Wer hingegen einen Fehler zugeben kann oder eingesteht, dass er nicht perfekt ist, dass er nicht alles kann, der macht sich doch nicht klein, sondern der zeigt wahre Größe.

Wenn ich also selbst einen Fehler oder einen Mangel zugebe, komme ich damit sogar meinen Kritikern zuvor und nehme so dem Ganzen die Schärfe. Dann heißt es vielleicht am Ende noch: „Kann ja jedem mal passieren. Kriegen wir schon wieder hin."

Nicht nur ich, sondern jeder Mensch hat doch seine Stärken, die er einbringen kann und jeder hat seine Schwächen, für die er sich nicht schämen muss. Schließlich sollte auch heute noch gelten: "nobody is perfect". Und das ist auch gut so. Erst das macht schließlich ein gutes Zusammenleben aller immer wieder möglich.