Vom Sinn des Formationsfluges
Jetzt kann
man sie wieder am Himmel sehen. Oft hört man zuerst ihr Schreien, so
dass die Leute ihre Blicke nach oben richten. Und da ziehen sie vorüber, die
Schwärme von Wildgänsen. In wohlgeordneter
Formation fliegen sie hoch über unseren Köpfe. Imposant bilden sie ein offenes
Dreieck mit einem spitzen Winkel am blauen Himmel. Wie eine Pfeilspitze aus vielen Vögeln
fliegen sie dahin. Wer sie aber einmal länger beobachtet, der bemerkt, dass
ihre Formation immer die gleiche bleibt, aber die einzelnen Tiere sich bei der
Führung abwechseln. Aus dem hinteren Teil des Verbandes kommt ein ausgeruhtes
Tier an die Spitze und löst den Leitvogel ab, der sich allmählich nach hinten fallen
lässt und sich in die Formation einreiht. Bei der Dreiecksformation haben die
einzelnen Vögel alle vor ihnen fliegenden Tiere im Blick und können doch von ihrem
Windschatten profitieren. Auf diese Weise legen sie lange Strecken zurück. Die
Formation gibt ihnen Sicherheit und Halt.
Was
bei den Wildgänsen so ganz natürlich ist, fehlt heute vielen Menschen. Der
Zusammenhalt und die Formen des
Zusammenlebens sind schwächer geworden und vielfach aufgelöst. Jeder ist sich
selbst überlassen oder hat sich selbst von alten Formen und Formationen
verabschiedet. Diese als Einengung seiner Individualität abgestreift. Nun
flattern sie, aufgeschreckt wie Tauben auf einem großen Platz, wild durcheinander.
Besorgt, rasch wieder zum Futterplatz zu finden, um nicht zu kurz zu kommen. Wenn
aber immer mehr nur noch an sich selbst denken, kann so manches Wichtige nicht mehr
gelingen. Der Einzelne verfehlt dabei aber leicht die Orientierung. Auch unser Leben
kann ohne Form und Ordnung nicht funktionieren.
In
der Formation der Wildgänse werden die Schwachen gestützt und so sicher ans
Ziel gebracht. Allein auf sich gestellt ist der einzelne Vogel nicht in der
Lage, den Flug zu überstehen. Der Blick auf das Bild mit der Formation der Wildgänse am blauen
Himmel macht es wohl allzu deutlich: Wer
sich aus der Form des geordneten Zusammenlebens in unserer menschlichen
Gesellschaft ausklingt, schwächt und gefährdet das Gemeinwohl. Denn eine
Gemeinschaft ist nur so stark wie ihre schwächsten Glieder. Es muss sich jeder
auf jeden verlassen können. Der Leitvogel muss alle anderen Vögel im Blick
haben und jeder in der Formation kann sich an ihm ausrichten und kann sich auf
ihn verlassen. Er aber erfährt die Unterstützung der anderen, wenn er mehr Ruhe
braucht, um neue Kraft zu schöpfen. Jeder findet in der Formation den Platz,
den er gerade zu einer bestimmten Zeit ausfüllen kann. Und weil die Wildgänse
das instinktiv tun, erreichen sie gemeinsam ihr Ziel.
Warum
wird das in unserer modernen Gesellschaft immer schwieriger, uns mit Vernunft
und Verstand auf gemeinsame Ziele und die Wege dorthin zu verständigen?
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