Altweibersommer
„Das ist heute aber ein
herrlicher Tag, die Sonne meint es noch einmal gut mit uns“, sagte die Frau
neben mir auf dem Marktplatzt. „Ein richtig schöner Altweiber-sommer“, fügte sie dann noch hinzu. Den Ausdruck „Altweibersommer“ kannte ich zwar schon lange, aber ich habe nie
näher drüber nachgedacht. Nun war jedoch mein Interesse geweckt. Gerade in einer Zeit,
wie der unseren, wo es genau auf „political correctness“ ankommt, möchte man doch
nicht ins Fettnäpfchen treten und den Zorn der Frauen auf sich ziehen, die an
diesem Wort eventuell Anstoß nehmen könnten.
Zudem ist es doch ein
ziemlich unpassender Name für so einen schönen Tag. Was steckt denn hinter dieser Bezeichnung? Eins sei schon einmal vorab gesagt, der Name stammt aus
einer Zeit, in der das Wort Weib noch
als sehr ehrbarer galt. Also keineswegs abwertend und diskriminierend war.
Bei meiner Recherche fand
ich als Erklärung für den Begriff Altweibersommer: „Bedingt durch ein
Hochdruckgebiet, das sich von Südwesten her über ganz Europa erstreckt, schenkt
uns der Herbst von Mitte September bis Mitte/Ende Oktober eine trockene, warme
Schönwetterperiode mit freundlichen ruhigen Tagen: Altweibersommer!“
Charakteristisch sind dabei die die feinen
Fäden, die durch die Luft fliegen und Pflanzen und Felder überziehen. Sie gleichen
langen, silbernen Frauenhaaren und stammen von den Krabbenspinnen. Von diesen werden
sie buchstäblich in die Luft geschossen, um sich an ihnen zu einem
Winterquartier forttragen zu lassen.
Wir können in
diesen Tagen erleben, dass sich die Natur noch einmal von ihrer schönsten Seite
zeigt. Der alt und müde gewordene Sommer kommt zurück. Doch die Kraft der Sonne
ist schon merklich schwächer geworden. Der schönste Herbsttag ist zudem
wesentlich kürzer. Genauso ist es doch auch bei uns Menschen. Wer in die Jahre
gekommen ist, erfährt immer deutlicher seine eigenen Grenzen. Das junge Mädchen
kann noch die Nächte durchtanzen und feiern. Dem „alten Weibe“ geht schon bald die Puste aus.
Der
Altweibersommer ist demnach eine Zeit der kürzer werdenden Tage, ein letztes
Ausschütten von Farben und Licht, sehnsüchtige Erinnerungen an den vergangenen
Sommer und Vorahnung von Herbst und Winter. Unser menschliches Leben ist dabei dem
Verlauf der Jahreszeiten sehr ähnlich. Die Kindheit und Jugend ist der Frühling
des Lebens, der Sommer die Zeit der Schaffenskraft und Stärke. Dagegen werden
der Herbst und der Winter dem älter werdenden Menschen und letztlich dem alten
zu gerechnet. Daher wird die sogenannte zweite Hälfte des Lebens heute für
viele zum Problem. Denn die Überbetonung der Jugendlichkeit und der Tatkraft
führen dazu, dass so manches davon unpassender Weisen in die zweite Hälfte
hinüber gerettet werden soll. Doch kurze Hosen im Winter machen noch längst
keinen Sommer!
Wer sich daher mit
dem Duft der Blüten allein begnügt und seien sie noch so schön, der übersieht ihren
eigentlichen Sinn, nämlich Reife und Frucht. Wenn wir die Augen öffnen und mit
allen Sinnen wach durch die Natur gehen, dann spüren wir, dass jede Jahreszeit
ihre schönen und bezaubernden Seiten hat. So ist es doch auch bei uns Menschen.
„Alles hat seine Zeit“.
Ob nun jung
oder alt, wir sollten uns hüten, das eine gegen das andere auszuspielen.
Deshalb sagte wohl der dänische Denker Sören Kirkegaard so treffend: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und
der Anfang der Unzufriedenheit.“
In diesen Tagen
des „Altweibersommers“, der uns an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert, dürfen wir uns noch
einmal an der Sonne und der Wärme des Sommers freuen und ihn genießen, auch
wenn wir um sein Ende wissen. Liegt doch in jedem Ende auch ein neuer Anfang!
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