Ich mag Pusteblumen
Tausende
und Abertausende von ihnen bevölkern besonders in den Monaten April und Mai die
Wiesen und die Grünanlagen in der Stadt. Ihre Blüten leuchten wie unzählige kleine,
goldgelbe Sonnen. Nur kurze Zeit darauf sind die Samen mit ihren kleinen Schirmen
reif und es entstehen die vielen kugelförmigen und leichten Gebilde, denen der
Löwenzahn seinen volkstümlichen Namen „Pusteblume“ verdankt. Geht ein Wind
darüber, werden die Samen wie eine Wolke weißer Flocken davon geweht.
Die
Pusteblume ist besonders bei Kindern beliebt. Sie pflücken sie gerne ab, halten
sie vor den Mund und pusten solange bis ihre Samen an den Schirmen davon
getragen werden, um an anderer Stelle sanft wieder zu landen. Aus den Blüten
machen die kleinen Mädchen schöne Kränze und setzen sie auf ihren Kopf. Dann sehen sie aus wie kleine Prinzessinnen mit
ihren goldenen Krönchen. Fast jedes Mädchen möchte doch gern einmal Prinzessin sein.
Selbst
als Salat sind die zarten Blätter des Löwenzahns bei Feinschmeckern sehr
geschätzt und beliebt. Aus den goldgelben Blüten lässt sich ein
wohlschmeckender honigähnlicher Sirup als Brotaufstrich gewinnen. Welch vielseitig verwendbare Pflanze der Löwenzahn
doch ist.
Dennoch
mochte ich den Löwenzahn in meinen Kindertagen gar nicht leiden, weil ich damals im Garten und auf dem Rasen den
Löwenzahn oft mühsam ausstechen musste, damit er sich nicht so sehr ausbreitete
und andere Pflanzen erstickte. Die Hühner auf unserem Hof dagegen freute es
sehr, wenn sie die jungen Blätter als zusätzliches Futter bekamen. Sie lohnten
es uns mit ihren frischen Eiern mit einem besonders goldgelben Eidotter.
Heute
sehe ich den Löwenzahn in seiner Blütenpracht, die eine ganze Wiese in
herrliches Gelb taucht, wirklich gern. Auch der Flug der kleinen Samen an ihren
Schirmen fasziniert mich immer wieder aufs Neue.
Der
Löwenzahn in all seinen Formen hat etwas, was uns Menschen oft fehlt. Er hat
Wurzeln, die tief in die Erde reichen und ihm einen festen Halt geben. Sein
Stehvermögen ist unglaublich stark. In den engsten Pflaster- und Mauerritzen
kann er sich behaupten. Durch seine Ausdauer und verborgene Kraft kann er
selbst den Asphalt aufbrechen. Das sind beste Voraussetzungen für ein
gelingendes Leben, nicht nur für ein Überleben. Vielen Menschen fehlt heute
dieser gesunde "Wurzelgrund", das sind Orte, Gemeinschaften oder Aufgaben, die
zwar anstrengend sein können, die aber auch Sinn und Kraft geben.
Der
Löwenzahn hält seine Samenkörner nicht fest, er lässt sie vom Wind forttragen an
unbekannte Orte, damit sie dort Wurzeln schlagen und neue Pflanzen bilden. Das geschieht nicht
ohne Risiko, denn nicht jeder Samen geht auf. Krampfhaftes Festhalten aber wäre
keine Lösung. Das gilt auch für uns
Menschen. Immer nur den Status quo erhalten zu wollen, ist in allen Bereichen des Lebens häufig der Anfang vom Ende.
Ein etwas paradox klingendes Wort lautet: „Nur wer sich verändert, bleibt sich
treu.“
Mich
beeindrucken deshalb die Standfestigkeit und zugleich diese Leichtigkeit des Löwenzahn
sehr. Er hat nämlich beides, gleichsam Wurzeln und Flügel. Genau solche Menschen wünsche ich
mir, die einen einen festen Standpunkt haben, aber immer bereit sind für Neues. Die ihre Ideen, ihr Wissen und ihren Glauben nicht für sich behalten, sondern die loslassen
können, damit der gute Geist sie weiter trägt
an viele neue Orte und sie Wurzeln schlagen lässt in den Herzen anderer Menschen.
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