Donnerstag, 8. Mai 2014

Leben im Paulusviertel – eine soziale Interaktion


Bei uns im Viertel wohnen viele Familien und allein erziehende Elternteile mit kleinen Kindern. Obwohl es rund um die Pauluskirche gar nicht mal so kindgemäß ist. Die engen Straßen sind beidseitig mit Autos zugeparkt, oft auch die Fußwege. Als Fußgänger oder gar mit Kinderwagen müssen sich die Bewohner den Weg durchs Gedränge oft mühsam bahnen. Grünflächen und Spielplätze sind rar und deshalb stets überfüllt. 
Worin eigentlich die Attraktivität des Paulusviertels liegt, kann ich gar nicht so genau sagen. Und doch zieht es gerade junge Leute mit Kindern in dieses Viertel. Die Altbauwohnungen sind groß und haben ihr eigenes Flair. Besonders viele Studenten wohnen hier in Wohngemeinschaften. Ebenso viele Akademiker und andere, die der besondere Ruf des Paulusviertels angezogen hat. Es schon hat einen gewissen Charme, man muss ihn aber mögen.

Ja, es ist auch ein eigenes Klientel, welches recht alternativ das Straßenbild prägt.  Wollmützen, langer Rock, Ringelstrümpfe und hohe Schuhe gehören genauso dazu wie die allseits beliebte Outdoorbekleidung mit Rucksack und Umhängetasche. Wer einen Anzug trägt oder ein schlichtes Kostüm, der ist schon overdressed, wie man hier sagen würde. Schon die Kleinsten bekommen ihren individuellen Touch. Mann trägt Zopf und dazu genau wie Frau ein Kind im Tragetuch vorm Bauch oder auf dem Rücken.

Neben den vielen Kindern beherrschen kleine und große Hunde das Straßenbild und hinterlassen ihre sichtbaren Spuren an den Bäumen und auf den Gehwegen. Es ist recht amüsant anzusehen, wenn so  ein kleines Hündchen von einem großen Mann an der Leine spazieren geführt wird oder wenn ein riesiger Hund sein kleines Frauchen hinter sich herzieht. Etwas skurril wirkt es dann auch, wenn sich Herrchen oder Frauchen mit einer kleinen Schaufel und einem Plastikbeutel bewaffnet, über die Hinterlassenschaften des kleinen oder, igitt, des recht großen Lieblings hermachen und diese irgendwie beseitigen, was ja wiederum sehr lobenswert ist und längst nicht alle tun.  

Über mangelnde Abwechslung und Lebendigkeit kann man sich hier im Viertel  sicherlich nicht beklagen! Durch den dichten Straßenverkehr  hindurch, drängeln sich jede Menge kleine und große Leute auf oft abenteuerliche Weise. Die Papas und Mamas auf Fahrädern mit Kindersitz und Anhängern, bestückt mit ein oder zwei kleinen Kindern, holpern über das Kopfsteinpflaster und über die die halsbrecherischen Gehwege. Schon die Kleinsten wuseln mit ihren Treträdern und Rollern durch den unübersichtlichen Verkehr. Manchmal muss ich die Augen schließen, denn ich kann es gar nicht mit ansehen. Zum Glück passiert aber weniger, als man annehmen könnte. Gott sei Dank, aber der spielt auch hier keine große Rolle, obwohl über dem Viertel die dominante Pauluskirche thront.

Ansonsten haben die Leute hier eine eigene Art zu leben. Kinder haben einen hohen Stellenwert und alles dreht sich um sie. Die Mütter und Väter nehmen die Kleinen ganz wichtig und vermeiden bewusst unnötige Regeln und Einschränkungen. Neulich kam uns doch ein etwa Zweijähriger auf dem Bürgersteig entgegen gerannt und lief auf die Straße zu. Er hatte sich scheinbar von der Hand des Vaters einfach losgerissen. Da stürmte der Papa, ein großer und kräftiger Mann, mit erzürntem Gesicht hinter ihm her. Ich dachte noch, gleich passiert es! Aber nichts passierte. Mit der sanften Stimme eines pädagogisch geschulten „Kinderverstehers“ säuselte er dem Kleinen, noch ganz außer Puste, zu: „Jetzt hast du Papa aber große Angst gemacht! Wenn du  einfach weg läufst, kann der Papa gar nicht auf dich aufpassen!“ Na, das hat aber gesessen! Oder?

Nächste Szene vor unserem Balkon. Ein Vater zu einem etwa fünfjährigen Kind: „Aaron Luca, wir haben dir drei Alternativen gegeben, aber du hast dich definitiv nicht entscheiden können“. Kind bleibt ungerührt. Die Mutter versucht es noch einmal: „ Oder soll dich der Opa abholen?“ Außer einem angewiderten Gesicht, keine Antwort. Das wäre bei einer konventionellen Erziehung  wohl  auch einfacher gewesen. 

Zwei stolze Väter sitzen im Straßenkaffee und unterhalten sich über ihre Sprösslinge. „Ach morgen feiert unser Jüngster seinen ersten Geburtstag“, erzählt der eine Vater ganz stolz. „Toll, dann ist das ja seine erste soziale Interaktion“, meinte der andere anerkennend.

Na, der Kleine hat sich bestimmt riesig gefreut und wird noch nach Jahren stolz davon berichten. Ganz gewiss werde ich das wohl auch mal wieder tun, wenn es neue „soziale Interaktionen“  im Paulusviertel gibt.

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