Die Trauerweide, die nicht traurig wirkt
Irgendetwas auf diesem Bild
passt nicht so recht zusammen. Eine Trauerweide vor einem blauen Himmel mit
weißen Wolken und Sonnenschein. Meine Vorstellungen, sind da etwas anders. In
mir taucht ein Bild von einer mächtigen Trauerweide mit ihren weit herabhängenden
Zweigen an einem dunklen Teich oder am Ufer eines träge dahinfließenden Flusses
auf. Dazu ein grauer und trüber Himmel. Ein solch trauriges Bild bestimmt meine
Imagination. Dieses hier irritiert.
Vielleicht hat das etwas
mit dem eigentümlichen deutschen Namen „Trauerweide“ zu tun. Botanisch heißt dieser
Baum salix alba tristis oder auch salix babylonica. Sein Ursprung liegt in
den östlichen Breiten dieser Erde.
Einige meinen gar, der Name
könnte auf den Psalm 137 zurück gehen, in dem das Schicksal des Volkes Israel
im babylonischen Exil beschrieben wird. Dort heißt es: „An den Strömen von
Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten. Wir hängten unsere
Harfen an die Weiden in jenem Land“.Trauer über den Verlust der
eigenen Freiheit und den Tod und das Leid naher Angehöriger bestimmen das Leben
des Volkes Israel in der Gefangenschaft. Es lebte dort im Ghetto und unter
Repressionen. 40 Jahre lang dauerte das Exil letztendlich.
Trauer hat immer etwas mit
Verlust zu tun. Die Trennung von einem Menschen macht andere niedergeschlagen
und traurig, großer Schmerz erfüllt sie. Der Mensch lässt den Kopf hängen. Der
klare Blick ist getrübt. Alles scheint an Bedeutung verloren zu haben. Die
Gedanken gehen zurück an das Vergangene, an das, was einmal war. Die Zukunft erscheint
in weite Ferne gerückt, in einen trüben Nebel getaucht, unwirklich und
unerreichbar.
Haben wir nicht von Vielem im
Leben eine vorgefasste Meinung und ein festes Bild? Da irritiert uns natürlich
eine Trauerweide, die gar nicht traurig wirkt. Genauso wie ein trauernder
Mensch, der uns aber sehr gefasst begegnet. Sollte er nicht mit Tränen
überströmten Gesicht und tief gebeugt, in dunkelstes Schwarz gehüllt,
daherkommen? Es verunsichert uns zu tiefst, wenn unsere Vorstellungen sich
nicht mit der realen Wirklichkeit decken.
Wir schauen oft zu sehr auf
das äußere Erscheinungsbild und schließen allzu leichtfertig auf das Innere.
Wir meinen zu wissen, wie etwas sein muss oder auch nicht. Trauer und Schmerz
sind sehr starke Gefühle. Sie haben eine Außenseite und eine Innenseite und
diese gestalten sich bei jedem Menschen sehr unterschiedlich. Es steht keinem
von uns zu, das eine gegen das andere auszuspielen und zu bewerten oder gar
abzuwerten. Wissen wir denn, aus welchen Tiefen ein Mensch lebt und aus welchem
Wurzelgrund er seine Kraft zieht? Auch ein Mensch mit einem offenen
und frohen Gesicht kann in seinem Herzen tiefe Trauer tragen, genau wie ein anderer, der in Tränen fast zerfließt.
Eine Trauerweide muss nicht
düster und traurig wirken. Sie ist und bleibt auch im Sonnenschein eine
Trauerweide. Ebenso kann ein Mensch, der Trauer in seinem Herzen trägt, gelöst
und offen in die Zukunft gehen, denn die Sonnen scheint ja auch für ihn und das
Leben geht weiter als manch einer heute denkt.
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