Was soll ich nur anziehen?
Er und sie wollen
verreisen. In einer Stunde fährt der Zug. Sie steht aber immer noch vor ihrem
vollen Kleiderschrank und sucht die passende Kleidung für die Reise. Und nun
wird es schwierig. Das eine ist zu warm, das andere zu dünn, das eine zu kurz,
das nächste zu lang. Irgendwie ist nichts das Richtige, kein Stück will farblich
oder vom Schnitt her zum anderen passen. Er drängt sie ungeduldig immer
wieder zur Eile. Schließlich wartet der Zug nicht auf sie. Sie aber stöhnt und jammert:
„Was soll ich nur anziehen? Ich kann mich einfach nicht entscheiden!“ Er bleibt
ruhig, er kennt sie ja. Die Zeit vergeht, beide werden zunehmend nervöser und
so ergibt ein Wort das andere. Letztendlich ist der Krach da und der Zug ist weg.
Wer sich nicht entscheiden
kann, über den entscheiden halt andere. In unserem Fall ist es der Fahrplan. Das ist
jedoch noch kein Beinbruch. Es fährt gewiss noch ein anderer Zug, wenn nicht
gerade wieder einmal gestreikt wird.
Jeder Mensch muss sich
täglich und in vielen kleinen aber auch in größeren Dingen entscheiden. Dabei
sind so manche Entscheidungen bereits Routine geworden und fallen einem gar
nicht mehr auf. Der Tagesablauf wird nicht jeden Tag aufs Neue verändert. Auch
nimmt keiner jeden Tag einen anderen Weg zur Schule, ins Büro oder zum
Einkaufen. Bei der Programmauswahl im Fernsehen am Abend sieht das schon anders
aus. Da braucht es gewisse Kriterien, um sich für die richtige Sendung zu
entscheiden oder einfach auszuschalten. Jeder hat dabei zahlreiche Wahlmöglichkeiten. Viele zappen heute von
einem Programm zum anderen. Dabei gehen die Bildsequenzen und Inhalte in
rasanter Folge über den Bildschirm. Was kann davon noch den Zuschauer erreichen,
wenn eine Information die andere jagt? Sich ein eigenes Urteil über das Gehörte
und Gesehene zu bilden, ist von den Machern wohl gar nicht mehr gewünscht.
Ähnlich erscheint heute das
Verhalten vieler Zeitgenossen in ihrem persönlichen und beruflichen Alltag. Sie
zappen einfach hin und her. Bei Nichtgefallen nächstes Bild, nächster Ort, nächster Job, nächster Mensch und nächster Partner. Diese Unentschlossenheit ist aber nicht
nur ein persönliches Problem des einzelnen, nein es tangiert ganz stark andere
Menschen, die nicht mehr auf die Verlässlichkeit des andren zählen können. Es
ist einfach schwer mit jemanden aus zu kommen, der sich einfach nicht entscheiden
kann.
Lehrlinge brechen vorzeitig
ihre Lehre ab, weil sie meinen, sich falsch entschieden zu haben oder die
Anforderungen nicht erfüllen können oder wollen. Ein neuer Versuch wird
gestartet, oft mit genauso wenig Erfolg.
Studenten wechseln mehrmals während ihrer Studienzeit das Studienfach, weil es immer wieder andere
Möglichkeiten gibt, sich zu versuchen. Immer wenn es im Leben ernst wird, zeigt es
sich, ob ein Mensch entschieden dazu steht,
was er ausgewählt hat.
Sich bloß nicht zu früh
festlegen, sich ein Hintertürchen offen halten, man weiß ja nie, ob sich noch etwas besseres findet, das scheint für immer mehr Menschen die Devise zu sein. Sind sie nun "entscheidungsunfähig" oder nur "entscheidungsunwillig"? Ganz egal. Wer sich nicht entscheiden
kann, macht es sich und anderen oft sehr schwer. Aber auch sogenannte "Spontanentscheidungen" haben so ihre Tücken.
Darum gilt es hiebei, zuerst vernünftig abzuwägen, sich nicht drängen zu
lassen, lieber noch einmal eine Nacht darüber zu schlafen, dann aber eine begründete Entscheidung zu treffen. Das macht einem wieder den Kopf frei und nimmt das Grummeln im Bauch. Jetzt kann man wieder durchatmen, der Blick geht nach vorn, das Hin und Her ist vorbei. Die Entscheidung ist gefallen, denn die kann einem sowieso keiner abnehmen.
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