Samstag, 1. August 2015


Der alte Mongole    

Der alte Mongole, den wir  in der Wüste Gobi trafen, ist mir noch lange im Gedächtnis geblieben. Sein  wettergegerbtes Gesicht und die tiefen Falten, die es buchstäblich durchfurchten, machten es ausgesprochen markant. Der Blick war ruhig und er schien alles, was das Leben und der harte Alltag in der Wüste mit sich bringen, mit großer Gelassenheit zu nehmen.

Genau wie wir wartete er am Brunnen darauf, seine Wasserkanister zu füllen. Sein Kamel war mit einigen davon beladen und wartete ebenso geduldig. Der Brunnen war eher ein  einfaches Loch in der Erde, das für Fremde kaum zu finden war. Mit einer alten Bohle und einem schweren Stein wurde es immer wieder verschlossen.

Am Brunnen gilt eine alte mongolische Regel: „Zuerst die Tiere!“ Wenn sie verdursten, kann auch der Mensch in der Gobi nicht gut überleben. Darum musste der alte Mongole, genau wie wir auch, warten bis die Kamele und Ziegen, die zur Tränke gekommen waren, ihre Ration Wasser bekommen hatten. Eine junge Mongolin mit ihrem kleinen, etwa vierjährigen Kind hatte die Tiere zum Brunnen geführt und war gerade dabei den Einer an einem Seil die etwa vier Meter hinunter zu lassen. Der gefüllte Einer musste dann mühsam wieder nach oben befördert werden. Ein zweites ungeschriebenes Gesetz am Brunnen heißt, dass jeder mit anpacken muss. Natürlich krempelten auch wir die Ärmel hoch und zogen etliche Eimer mit dem kostbaren Nass aus der Tiefe nach oben. Nachdem die Tiere getränkt waren, konnten auch wir unsere Kanister füllen. Das Wasser musste nun einige Tage reichen, bis wir wieder einen Brunnen fanden.

In der wasserarmen Wüste ist es ganz entscheidend, solche Brunnen zu finden. Das erfordert schon eine gewisse Ortskenntnis. Da konnten wir uns auf unsere mongolischen Begleiter verlassen, was sonst nicht immer der Fall war. Das aber ist ein andere Geschichte. Am Brunnen und bei der Begegnung mit den Menschen vor Ort erhielten wir gute und wichtige Hinweise von ihnen.

Die Nomaden leben  mit ihren Herden noch heute weitab von den größeren Siedlungen, die als Verwaltungs- und Versorgungsstützpunkte dienen. Sie ernähren sich fast ausschließlich von den Produkten ihrer Tiere. Im Sommer gibt es vorwiegend Milchprodukte, den bekannten, salzigen Milchtee, Käse, Jogurt und die legendäre gegorene Stutenmilch. Brot und Gemüse sind eher selten. Darum war ein Brot, das wir der Frau am Brunnen geschenkt haben, für sie eine willkommene Abwechslung, für die sie sich vielmals bedankte. Es ist nämlich üblich, sich bei solchen Begegnungen kleine Geschenke zu machen.

Auch der alte Mongole hatte inzwischen seine Kanister mit Wasser gefüllt und sie wieder auf seinem Lasttier verstaut. Vor ihm lag noch ein recht langer Weg. Seine Jurte konnten wir geradeso in der Ferne erblicken. Weites Land und lange Wege. Rau und unwirklich ist das Leben der Nomaden in der Wüste Gobi. Es erfordert Geduld und Ausdauer, und es prägt sich nicht nur tief in ihre Gesichter ein, sondern es wird noch ganz vom Rhythmus der Natur bestimmt. Hier spürt man deutlich, dass die Menschen sehr aufeinander angewiesen sind und dass sie es auch genau wissen. Trotz der großen Entfernungen, kennt man sich und besucht sich. Auch wir wurden ganz selbstverständlich immer wieder in die weit verstreut liegenden Jurten eingeladen. Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Der Fremde, der Gast ist herzlich willkommen. Wir selbst waren dort die Fremden, die Ausländer, aber auch die Gäste. Vieles war für uns fremd und manches auch befremdlich und gewöhnungsbedürftig, aber wir haben uns den Sitten und Gebräuchen angepasst. Es gelten nun mal in anderen Ländern auch andere Regeln, die wir uns aber stets bemühten zu befolgen.

Die Regeln, Sitten und Gebräuche verändern sich in der heutigen Zeit auch dort rasant. Das alte mongolische Reitervolk ist heute schon weithin auf fernöstliche Motorräder und LKWs umgestiegen. Neben den Jurten stehen große Satellitenschüsseln und ermöglichen einen Blick in die weite Welt. In den oft armseligen Jurten liefen stets die Fernseher, diese wurden mit Batterien betrieben und die Bilder wecken bei der Jugend Träume und Hoffnungen. Deshalb drängen so viele junge Leute in die Hauptstadt Ulan Bator, um Anteil zu haben am verlockenden, fremden Lebensstil, auch wenn es dann oft ganz anders kommt.

Den Gleichmut und die Geduld des alten Mongolen findet man inzwischen immer weniger. Was ihm sein Leben lang vertraut und wichtig war, löst sich mehr und mehr auf. Zurück bleibt die Erinnerung an einen alten Mann mit seinem zerfurchten und wettergegerbten Gesicht, das für mich so beeindruckend und geheimnisvoll war, wie die Wüste Gobi selbst.



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