Mittwoch, 2. März 2016



Straßenhunde in Paraguay

 
Neulich schaute ich mir alte Dias von unseren Reisen aus den letzten Jahren an. Dabei wurden viele der Bilder ganz lebendig und so manche Begebenheit fiel mir dazu wieder ein.  Auch diese  von unserer Reise nach Paraguay. Das war so:
 
Sie, eine ältere Dame, hatte sich von ihrem Mann ganz einfach am falschen Hotel absetzen lassen. Als sie ihren Irrtum bemerkte, war ihr Mann mit dem Auto schon wieder weg. Nun suchte sie händeringend nach einer anderen Mitfahrgelegenheit, um doch noch rechtzeitig zum Treffen der Frauengruppe deutscher Einwanderer in Paraguay zu kommen. Am schönen Lago Ypacarai, dem größten See Paraguays, liegt die Kleinstadt San Bernadino, die 1881 von deutschen Einwanderern gegründet wurde. Unseren Rundgang am See und durch die Stadt wollten wir gerade mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Käsekuchen in der „Deutschen Bäckerei“ beschließen.
 
Da kam auch schon die Frau ganz aufgeregt auf uns zu. „Sie sprechen deutsch“, sprach sie uns. „Ja, wir sind aus Deutschland.“ „Ick bin die Rosi und komme aus Berlin“, sprudelte es aus ihr heraus. In kürzester Zeit erfuhren wir, dass sie schon einige Male in Paraguay war und  jetzt mit ihrem Mann hier am See in diesem guten Klima seit Wochen alles für ihre Einwanderung nach Paraguay vorbereiteten. Deshalb wollte sie ja auch zu dieser Frauengruppe, denn von ihr erhoffte sie sich viele gute Tipps. Man tauschte sich dort nämlich über alles aus, vom Brotbacken über den Umgang mit den Behörden im Land bis zur Information, wo der beste Fisch hier am See geräuchert wird. Aber das würde sie nun alles verpassen, wenn sie nicht schnellstens in das andere Hotel käme. Kurz und gut, sie würde uns auch einen Kaffee spendieren, wenn wir sie dorthin fahren könnten. Leider hatte sie  aber auch nur eine vage Vorstellung, wo das Hotel  so ungefähr liegt.
 
 Nachdem wir uns kurz in der Bäckerei umgesehen hatten und diese dann doch nicht den erwarteten Eindruck auf uns machte und Käsekuchen gab es auch nicht mehr, fuhren wir mit Rosi zurück in die Stadt. Während der Fahrt erzählte sie uns, dass Sie und  ihr Mann einen ruhigen Lebensabend in Paraguay verbringen wollen. Mit dem Ersparten und der Rente aus Deutschland kämen sie hier viel leichter und besser klar als in Deutschland. Und es lebt sich ja auch wesentlich ruhiger hier. Aber das viele Elend und die Armut machten sie schon sehr betroffen. Davor konnte sie die Augen nicht einfach verschließen. Und sie hatte beschlossen, hier zu helfen. Wir erfuhren also von ihr, dass sie sich gern sozial engagieren wolle. Sie hätte ja schon immer eine soziale Ader gehabt, meinte sie noch.
 
 Wir waren echt beeindruckt und gespannt, was sie denn für Projekte plante. Ja, sie wolle sich um die Straßenhunde kümmern, die täten ihr so leid. Wir sahen uns nur kurz an und schluckten leicht. Wir hatten nämlich bei unserer Reise in diesem Land schon ganz andere Probleme und sehr viel Armut gesehen, worunter die Menschen litten. Wenn man ihnen helfen würde, wäre sicher auch den Hunden geholfen, dachten wir noch. Doch da waren wir auch schon am Hotel. Rosi eilte schnellstens zu ihrer der Frauengruppe und schon war sie verschwunden. Wir tranken unseren Kaffee und bezahlten ihn selbst. Wenn aber wir in den Tagen nach dieser Begegnung mit Rosi, streunende Hunde auf den Straßen und Plätzen sahen, dann mussten wir unwillkürlich an Rosi und  ihr „soziales Engagement“ denken. Auch wenn wir selbst etwas andere Vorstellungen von einem „sozialen Engagement“ hatten, so war doch Rosis Vorhaben  immerhin ein kleiner Anfang in diesem Land. Straßenhunde gibt es in Paraguay genug, buchstäblich wie Sand am Meer.
 
Sagt man nicht, dass der Hund der beste „Freund des Menschen“ sei?  Warum sollte  es nicht auch umgekehrt der Fall sein? Helfen ist in jedem Fall besser, als gar nichts zu tun.

Sonntag, 7. Februar 2016

Gedanken beim Verlegen von Fliesen



Neulich habe ich das Gäste-WC im Haus der Familie meiner Nichte neu gefliest. Ich muss ihr wohl irgendwann erzählt haben, dass ich so etwas schon einmal gemacht habe. Nun ja, das lag  jedoch schon lange zurück. Zudem bin ich auch kein gelernter Fliesenleger. Als mich dann meine Nichte verbindlich fragte, wollte ich keinen Rückzieher machen und habe zugesagt. 
 
„Ja, ich  schaffe das“, sagte ich zu ihr,  aber noch mehr zu mir selbst. Nachdem ich mir die Maße aufgeschrieben, das Material begutachtet und Fotos vom „Tatort“ gemacht hatte, begann sich  das Gedanken- Karussell schon bald auch noch im Schlaf zu drehen. Skizzen wurden gemacht und Berechnungen angestellt. Ich fühlte mich herausgefordert, was ich ja immer noch sehr mag, und natürlich bei meiner Handwerker- bzw. Heimwerker-Ehre gepackt. Gut ausgerüstet mit Werkzeug und Arbeitskluft, machte ich mich auf den Weg.
 
Wer nun aber denkt, dass meine Berechnungen und Überlegungen mit der Realität vor Ort übereinstimmen würden, der irrt gewaltig. Ich kannte zwar aus meiner Lehrzeit noch den Satz aus der Tischlerei: „Keine Rückwand eines Schrankes ist poliert“, aber es kam doch immerhin bei der Genauigkeit auf den Millimeter an. Im Bau scheint das aber nicht zu gelten. Mein Entsetzen war groß. Keine einzige Wand, ob gemauert oder als Trockenbau, war im rechten Winkel, der Fußboden war uneben und die Höhen stimmten nicht überein. Da kam eine Menge zusätzliche Arbeit auf mich zu. Doch, „Ich schaffe das“, war die Devise.
Und so ging es auch schon los. Mit  einem modernen Lasergerät wurde eine waagerechte Linie für die Oberkante der Fliesen markiert und die Senkrechte ausgelotet. Als die ersten Fliesen dann an der Wand waren, stellte sich auch bald wieder eine  gewisse Routine eine. Der Anfang war gemacht. Auf ihn  kommt es an. Wenn hier etwas, im wahrsten Sinne des Wortes, schiefgeht, dann wird alles schief.

Damit bin ich auch schon bei meinen Gedankengängen, die über das Fliesenlegen im Besonderen und das Leben der Menschen im Allgemeinen hinausgehen, angelangt. Ich musste zuerst abwägen, ob ich das wirklich schaffe. Die nächste Frage war, wie schaffe ich das und in welcher Zeit? Natürlich bleibt bei all dem ein gewisses Risiko, Unwägbarkeiten und Probleme können auftreten. Beim Fliesenlegen kommt es zu Beginn auf eine gerade Linie an, woran sich alles Weitere orientiert, wie ich es schon beschreiben habe. Das ist aber auch auf alle Bereiche in unserem Leben zu übertragen, egal ob es um persönliche oder um gesellschaftliche Fragen geht. Eine klare Linie ist das A und O. Wo die Geradlinigkeit fehlt, kommt  alles schnell in eine Schieflage. Oder  wie es ein wahres Wort sagt: „Der Anfang geht mit“, ob es nun ein guter oder ein schlechter ist.

Wie oft muss denn heute in der Tagespolitik zurückgerudert werden, gilt das nicht mehr, was gerade noch gestern gemeinsam beschlossen worden ist?  Oft wird eben einfach zu dick aufgetragen. Beim Verlegen von Fliesen kommt es entscheidend darauf  an, wie dick der Kleber aufgetragen wird. Für jedes Format gelten dabei unterschiedliche Stärken. Mit den entsprechenden Werkzeugen wird das sehr genau erreicht. Diese Kenntnis sollte man schon haben und sich zudem an die Richtlinien und Vorgaben der Branche halten. Nur so ist die Haftung der Fliesen an der Wand sicher gegeben. Ein zu dicker Auftrag führt dazu, dass der  Kleber aus den Fugen quillt, alles verschmutzt und die Arbeit zusätzlich erschwert. 

Beim Fußboden muss besonders darauf geachtet werden, dass er tragfähig ist und die Fliesen eine gute Bodenhaftung haben und eine solche gewährleisten. Diese Bodenhaftung vermisse ich  allerdings bei allzu vielen Menschen, gerade in der Öffentlichkeit,  immer mehr. Das wäre aber ein ganz eigenes Kapitel.

Das Fliesenlegen erfordert also eine ganze Menge handwerkliches Können, einen sach- und fachgerechten Umgang mit den unterschiedlichen Materialien, einen Blick für die konkrete Raumsituation und ein ästhetisches Gespür, um ein ansprechendes Gesamtbild zu schaffen, welches noch durch die Gestaltung der Fugen hervorgehoben wird. Fugen dienen aber nicht nur der Ästhetik, sonder haben als Dehnungsfugen gerade im Bodenbereich, die Aufgabe Spannungen auszugleichen und Übergänge zwischen verschieden Materialien zu gestalten. Die Fuge ist also mehr als eine Lücke zwischen zwei Fliesen. Auch zwischen zwei oder mehr Menschen kommt es auf  den entsprechenden Abstand an, damit  es weniger zu Spannungen und Verwerfungen kommt.

Nach Beendigung meiner Fliesenarbeiten bin ich richtig stolz auf mich. Die übernommene Aufgabe ist erledigt, ich hab es geschafft! Und nebenbei sind mir noch einige Gedanken über das Fliesen und das Miteinander der Menschen gekommen, die ich Ihnen heute nicht vorenthalten wollte. 

Mittwoch, 9. Dezember 2015

 „Die Geschenkefalle“


„Alle Jahre wieder… aber gewiss nicht im nächsten Jahr“, das hatten sie sich nach  dem letzten Weihnachtsfest, mit all dem Stress, dem Plätzchen backen, der Weihnachtsgans, dem Großputz, mit Weihnachtsbaum und riesigen Bergen  von Geschenken, ganz fest vorgenommen.

Doch, wie sagt man so schön, „der Weg zum Himmel ist mit guten Vorsätzen gepflastert“. Natürlich auch der Weg zu einem stressfreien Weihnachtsfest! Rasch wurde aus dem, „wir schenken uns in diesen Jahr nichts“, schon bald ein, „aber nur Geschenke für die Kinder“. Na klar, die Kinder sind schon längst dem Kindesalter entwachsen. Aber es ist doch Weihnachten!

Spätesten mit der beginnenden Werbung für das große „Fest der Geschenke“ und der weihnachtlichen Dekoration in den Schaufenstern und den Geschäften, bröckeln diese Vorsätze. Und schon sitzen wieder alle in der Geschenkefalle und der jährliche Stress geht wieder los. Als ob es nicht  schon genug Termine und Aufgaben in den letzten Wochen des Jahres gäbe. Klausuren und Tests in der Schule, die unbedingt noch vor den Weihnachtsferien geschrieben  werden müssen. Die Bilanzen und Abschlüsse in den Büros häufen sich und jeder möchte noch bedacht werden, obwohl er seit Wochen die letzten Unterlagen nicht eingereicht hat. Plötzlich muss alles auf einmal gehen. Besinnliche Adventszeit? Nein, ganz und gar nicht. Das würde wohl anders aussehen.

Und nun doch wieder diese Jagd nach den sogenannten Weihnachtsgeschenken, ohne die es nun mal nicht zu gehen scheint. Sollen sie doch schließlich Ausdruck der Verbundenheit und Zeichen der Liebe zwischen den Menschen sein. Schauen wir uns aber in dieser Welt um,  dann ist  da nicht viel von Solidarität unter den Menschen zu spüren und vom Frieden ist diese Welt meilenweit entfernt. Wenn das schon nicht überall auf  der Welt möglich ist, dann doch wenigsten in der kleinen, heilen Welt der Familie. Und Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft.

Was natürlich eine Küchenwaage für Oma, eine Flasche Portwein für Opa oder ein Fleischklopfer aus Edelstahl für Tante Rita mit der Liebe der Menschen zu tun  hat, bleibt wohl allen ein Rätsel? Aber bitte, immer schön den Kassenzettel aufheben, denn nach  dem Fest des "Warenaustauschs" folgen dann die Tage des "Warenumtauschs"! 

Da müsste sich doch eigentlich jeder normale Mensch fragen, warum tun wir uns das schon wieder an? Vielleicht ist es ja für einige noch nicht zu spät und die Geschenkefalle ist noch nicht zugeschnappt. Dann schenken Sie sich doch einfach die Geschenke und schenken sich dafür  etwas mehr Zeit und Ruhe, anderen Menschen ein gutes Wort, ein Lächeln und damit unendlich viel mehr Freude.


Samstag, 5. Dezember 2015


Wir haben uns daran gewöhnt,

dass unsere Kühlschränke gut gefüllt sind und wir im Supermarkt zwischen zig verschiedenen Sorten unseren Joghurt auswählen können. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es spätestens ab September Schokoladenweihnachtsmänner und Christstollen gibt, und dass wir frische Erdbeeren im Dezember bekommen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass auf den Weihnachts-märkten und in den Kaufhäusern, den modernen Einkaufstempeln, die Besucher mit alten christlichen Liedern berieselt werden, obwohl immer  weniger Menschen in die Kirchen gehen und noch weniger  an die Weihnachtbotschaft glauben. 

Wir haben uns an so vieles gewöhnt, was uns nützlich, bequem und gut erscheint. Und an das Gute kann man sich ja ganz schnell gewöhnen.

An anderes haben wir uns auch gewöhnt oder besser gesagt, mussten wir uns gewöhnen. Daran, dass es in Deutschland keine Vollbeschäftigung mehr geben wird, dass die Sparer um ihre Zinsen betrogen werden und die Versicherungen zugesagte Zugewinne bei ihren Versicherten nicht mehr einhalten  müssen, sodass jeder von Glück reden kann, wenn er wenigstens das heraus bekommt, was er in langen Jahren eingezahlt hat. Wir haben uns daran gewöhnt.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns in Film und Fernsehen häufig eine Scheinwelt vorgegaukelt wird. Dass uns sozusagen Verhaltensmuster suggeriert werden, wie man heute denkt, redet und handelt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns gezeigt wird, dass fast kein Tatortkommissar oder ein anderer Protagonist im Fernsehen verheiratet ist und eine Familie hat. Stattdessen landet er oder sie ganz selbstverständlich nach einer flüchtigen Begegnung sofort im Bett des anderen. Dass zwei Männer sich küssen, nach des Tages Last erst einmal ein Joint rein gezogen wird und natürlich immer ein Drink bereit steht, ist einfach omnipräsent. Woran andere Menschen vielleicht Anstoß nehmen, daran haben wir uns schon lange gewöhnt ohne es noch selbst zu merken, was da mit  uns gemacht wird. 

Wir sind müde und träge geworden und haben uns an solche Dinge gewöhnt und sie einfach hingenommen, auch die, die nicht in Ordnung sind. So sind die Bilder von Krieg  und Terror schon seit Jahren, fast Tag für Tag auf unseren Bildschirmen zu sehen gewesen, die Bilder von hungernden Menschen, von Ausgebeuteten und von Krankheit Gezeichneten. Bis jetzt war das alles so weit weg. Nun aber werden die Bilder Wirklichkeit. Es kommen die Flüchtlingsströme zu uns nach Europa und nach Deutschland, da werden unsere bisherigen Gewohnheiten in Frage gestellt. Wir hatten uns doch so sehr daran gewöhnt, dass es ein natürliches Gefälle zwischen Ost und West und besonders zwischen der ersten und der dritten Welt gibt. Wir merken immer mehr, dass wir alle in einer Welt leben und eben nichts mehr sicher ist, an  das wir uns so sehr gewöhnt hatten.

Wir hatten naiver Weise geglaubt, dass Freiheit zum Nulltarif zu haben ist und uns daran gewöhnt, dass andere dafür kämpfen. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass unser Wohlstand sicher ist, und wir vor Weihnachten mit einer kleinen Spende gegen Spendenbescheinigung davon kommen. 

Wir hatten uns an vieles gewöhnt. Und es ist ja auch nicht verkehrt, wenn wir gewisse Gewohnheiten entwickelt haben. Gewohnheiten erleichtern das Leben des einzelnen und ganzer Gruppen. Nicht jeder Handgriff, nicht jede Handlung muss jedes Mal neu überlegt werden, das entlastet unseren Alltag. Gewohnheiten können aber auch den Blick für das Neue und die Anderen verstellen, sie können gleichsam wie eingefahrene Geleise wirken, die nur in eine Richtung  führen.

„Der Mensch kann sich an vieles gewöhnen“, heißt es manchmal sehr salopp. An Gutes und gleichermaßen an Böses. Doch der Mensch muss es nicht, und er darf es nicht. Trotzdem wird die sogenannte „Macht der Gewohnheit“ als Entschuldigung herangezogen für unser angepasstes Verhalten, welches uns fast zur zweiten Natur geworden ist, sodass es uns  so unendlich schwer fällt, es wirklich zu verändern. 




Sonntag, 29. November 2015


Selbstgestrickt“

Stricken ist wieder „in“. Zwei links, zwei rechts, Masche für Masche entsteht so ein Unikat und bringt dem Träger Freude und Bewunderung. Stricken ist mehr als bloß ein Zeitvertreib oder eine Erwerbstätigkeit, Stricken ist inzwischen ein angesagter  Event für Frau und Mann. In den frühen 80iger Jahren konnten wir die „grünen“ Abgeordneten im Bundestag häufig mit Nadeln und Wollknäuel sehen. Nun ist es wieder schick, die Nadeln zu kreuzen, aber nicht nur um Mützen, Schals und Pullover zu stricken, sonder die „Strickrebellen“ von heute verschönern mit ihren Strick-kunstwerken: Straßenlaternen, Brücken-geländer, Denkmale und sogar Bäume. Im Internet findet man ihre Bilder von den Kunstwerken aber auch von bunten, selbstgestrickten Socken und bei ebay jede Menge Wollsachen im Angebot. 

Schöne alte/neue Strick- und Häkelwelt. Da  ist sicher für jeden etwas dabei. Was aber gerade diese Stricksachen ausmacht, ist ihre unangefochtene Originalität in Farbe, Muster und Form. Jeder gestaltet und fertigt sein unverwechselbares Unikat, selbst wenn dazu ein fertiges Strickmuster verwendet wurde, hat es doch die eigene „Note“. So soll es wohl auch sein, wer strickt, möchte  dafür  auch bewundert werden. Wenn auch nicht alle selbstgestrickten Stücke gelingen, macht  ja nicht, sie können wieder aufgeribbelt werden. Dann geht’s von vorne los. Dass die zwei Socken nicht so gleich aussehen, wie sie  eigentlich sollten, ist gar nicht so schlimm, ist  dann eben Ausdruck von Individualität.

Und genau um diese scheint es heutzutage auch in anderen Bereichen des Lebens für immer mehr Menschen zu gehen. Frei nach Pippi Langstrumpf: „Widdewiddewitt und Drei macht Neune! Ich mach mir die Welt widdewiddewitt wie sie mir gefällt…“, machen sich viele Menschen ihre eigene „selbstgestrickte“ Weltanschauung. 

Was einem da auf dem  Markt der Meinungen und Ansichten so alles begegnet, ist oft haarsträubend. Originalität und Individualität werden ganz großgeschrieben, ob es anderen passt oder nicht. Und so wird gestrickt und gehäkelt, was das Zeug hält. Hauptsache bunt und kuschelig, dafür etwas zipfelig und mit einigen Luftmaschen durchsetzt, für die einen und für die anderen eher in einer altertümlichen, strengen Form und dunkler Farbe. Von rot und grün über braun und schwarz bis hin zu den schillernden Regenbogenfarben, ist hier alles vertreten. Jeder aber hält seine Farbe und sein Muster nicht nur für das Schönste, sonder absolut für das einzig Richtige. 

Bei Widerspruch haut man/frau sich die Anschauungen rechts und links heftig um die Ohren, sodass die Maschen fliegen. Und wie praktisch, was heute passt, gilt morgen schon nicht mehr. Da wird das „Selbstgestrickte“ einfach aufgeribbelt. Ein paar Wollreste aus der Mottenkiste genommen und dazu ein Knäuel echte, handgesponnene nepalesische Wolle aus dem Ökoladen und fertig ist das neue Stück. 

Einfach „selbstgestrickt“ – das passt  schon! Oder  vielleicht doch nicht?




Dienstag, 24. November 2015


Fallobst - was unten liegt, ist nichts mehr wert

Was auf der Erde liegt ist schmutzig und nichts mehr wert. Was runterfällt, bleibt liegen. Salopp gesagt: „Tritt sich fest“. Sich danach zu bücken, ist nicht der Mühe wert. Herunter gefallene Früchte bleiben liegen und werden auf den Wegen zertreten oder auf der Fahrbahn von den Autoreifen zerquetscht.

Wie sich  doch  die Zeiten und die Ein-stellungen ändern? Aus meiner Kindheit kenne ich es noch, dass wir zu den Obst- wiesen gingen und die herunter gefallenen Äpfel aufgesucht haben. Ebenso lasen wir diese unter den Apfelbäumen am Straßen-rand auf. Die Angst vor den schädlichen Autoabgasen war in diesen Jahren noch nicht so groß, da der Straßenverkehr im Osten recht übersichtlich war. Nun, so ganz lecker wirkten die „Falläpfel“ nun wirklich  nicht. Oft waren sie madig und hatten faulige Flecken. Aber sie waren reif und saftig. Und das war ja auch der Grund dafür, dass wir sie körbeweise aufsammelten. Es ging doch gerade um den süßen Saft, natürlich hundert Prozent Frucht.

In unserem Dorf gab es eine kleine Mosterei. Dorthin wurden die Äpfel und andere Früchte gebracht, um daraus den köstlichen Most herstellen zu lassen. Zu den Abgabeterminen bildeten sich auf  der Dorfstraße regelrechte Schlangen parkender Fahrzeuge, beladen mit Eimern, Körben und Säcken voller Obst und dazu auch jede Menge leere Flaschen, in die später die fertigen Obstsäfte abgefüllt wurden.

Es stimmt also nicht immer: „Was unten liegt, taugt nichts.“ Vielleicht ist das auch nur so eine Ausrede für alle, die zu faul sind, sich zu bücken. Schließlich erfinden wir ja allzu häufig zur eigenen Entschuldigung die kreativsten Ausreden. Diese werden dann schnell zu handfesten Vorurteilen und zu gedankenlos übernommenen Klischees. „Was am Boden liegt, taugt zu nichts.“ 

Und das gilt dann auch für Menschen, die gefallen sind und buchstäblich am Boden liegen. Sie sind halt die Verlierer. Es ist ihr Fehler, dass sie dort gelandet sind. „Jeder ist schließlich seines Glückes Schmied.“ Sie ähneln den Falläpfeln, angeschlagen, dreckig und faul. Für die Gesellschaft wertlos. Wirklich?

Ist  das nicht manchmal auch unsere Sicht,  wenn  wir von solchen Menschen hören oder ihnen begegnen? Ihre Schicksale interessieren uns wenig, wir wenden lieber den Blick ab und gehen weiter. Wir haben schließlich unsere eigenen Sorgen. Die Versager, die von der Natur Benachteiligten, die wenig Gebildeten haben kaum noch Chancen. Die Nachfrage nach "Fallobst" ist eben sehr gering. Es gut aufzubereiten, ist mühsam und viel zu teuer. So vergammelt das Obst auf dem Boden und bestätigt wieder einmal die vorherrschende Meinung: „Was am Boden liegt, taugt zu nichts mehr, ist wertlos.“ Welch eine Verschwendung von Obst und anderen Lebensmitteln, die in unserem Lande, in dieser Wegwerfgesellschaft, einfach entsorgt werden und vergammeln.

Welch ungeheures Versagen an all denjenigen Menschen in unserem Land, die in den Augen anderer (vielleicht auch in unseren) zu nichts mehr taugen, die am Boden liegen, die wir gern als die "Sozialschwachen" bezeichnen und sie mit Hartz-4 abspeisen. Man hat sie abgeschrieben und fallen gelassen. Zu nichts mehr zu gebrauchen, Sozialfall.

Hat nicht jeder Mensch eine  zweite oder auch dritte Chance verdient, wieder auf  die Beine zu kommen? Dazu muss man sich natürlich zu ihnen herabbücken, um sie aufzurichten und sie wieder auf die Beine zu stellen. Das ist zwar mühsam und auch nicht immer von Erfolg gekrönt, jedenfalls nicht nach unseren Maßstäben. Aber es wird immer  wichtiger. Diese Verschwendung können wir uns eigentlich nicht leisten. 

Wenn dennoch unsere Gesellschaft es weiterhin zulässt, dass große Teile der Bevölkerung  an die Ränder gedrängt, abgeschoben und abgeschrieben  werden,  weil sie nicht den Standards der Leistungsgesellschaft entsprechen, dann ist diese so überhebliche Gesellschaft selbst „sozialschwach“, ja unmenschlich und letztendlich der eigentliche Verlierer.

  

Sonntag, 8. November 2015


Man weiß ja nie…

„Ich brauche eine Trauerkarte“, sagte Tante Rita, „die Nachbarin ist gestorben“. Im Dorf kennt man sich halt noch und nimmt Anteil am Geschick der anderen. Jedenfalls ist das so bei den älteren und ortsansässigen Bewohnern. „Ach bringt doch gleich fünf Karten mit, man weiß ja nie“, fügte sie dann nach einer Weile noch hinzu.

Das stimmt natürlich, man weiß es wirklich nie, ob und wann der nächste Todesfall im Bekanntenkreis eintritt und schon gar nicht, wen es trifft. Mit Gewissheit wissen wir natürlich, dass jeder einmal sterben muss. Auch wir selbst.

Doch herzliches Beileid wünschen, was soll das eigentlich heißen? Wem gilt es? Dem Verstorbenen sicher nicht, denn er ist ja tot. Für ihn ist es unerheblich, ob andere Menschen um ihn weinen, ihn bemitleiden oder trauern. Und in den Augen  vieler Zeitgenossen bedeutet das Ende des Menschen ja sowieso nur:  „tot ist tot, aus und vorbei.“ Was soll´s also?

Der Tod eines Menschen, eines Angehörigen oder eines lieben Freundes bedeutet doch immer Verlust. Einen Verlust, den die Lebenden erleiden. Ihnen gilt mein  Mitgefühl, ihnen spreche ich mein herzliches Beileid aus. Das sollte aber keine bloße Floskel  sein, nur so dahingesagt oder in einem Kondolenzbrief schriftlich zum Ausdruck gebracht. Einem Hinterbliebenen, der einen so schmerzlichen Verlust erlitten hat, der Mann der seine Frau verloren hat oder die Frau, die ihren Mann oder gar ihr eigenes Kind beerdigen musste, diesen Menschen gilt mein „Herzliches Beileid“. Das aber heißt doch nichts anderes als: „In deinem Leiden und deinem Schmerz bin ich bei Dir, das sage ich Dir heute von ganzem Herzen zu“. Und wenn das nicht nur leere Worte sind, dann spürt der Trauernde auch, dieser Trost hat wirklich Hand und Fuß.

Beileid wünschen bedeutet Anteil nehmen und Anteil geben, dem Tod und der Trauer nicht auszuweichen. Der Tod eines Menschen, sowie der Schmerz und die Trauer der Hinterbliebenen verunsichern aber oft selbst Freunde und Bekannte. Sie wissen dann nicht, was sie sagen  sollen und das entstehende Schweigen ist ihnen eher peinlich und bedrückend. Man beschränkt sich bei einer Begegnung, wenn es gar nicht anders geht, auf Vordergründiges oder weicht einer Begegnung lieber aus.

Der Tod und was er mit den  Menschen macht, bleibt uns sehr suspekt. Er stellt uns selbst in Frage. Da fehlen uns die Antworten, die  wir sonst so schnell und selbstbewusst überall parat haben. Die Aussage - tot ist tot - ist deshalb für einen Trauernden nicht sehr tröstlich. Ebenso ist die Allerweltsaussage, „die Zeit heilt alle Wunden“, nur ein hilfloser Versuch das eigene Unvermögen zu verschleiern, den man sich getrost sparen kann.

Dagegen eröffnet der so banal klingende Satz, „das Leben geht weiter“, wenn dieser nicht nur eindimensional gemeint und verstanden wird, eine ganz andere Dimension, die über den Tod hinausweisen kann und so manch einem die Einsicht entlockt: „Man weiß ja wirklich nie…“