Freitag, 30. Oktober 2015


Trockensträuße – was vom Sommer bleibt

Jetzt ist ihre Zeit wieder gekommen. Die Zeit der Gestecke und der Trockensträuße. Die Blüten des Sommers sind längst vergangen, die Farben des Herbstes schwinden zusehend. Auch wenn die noch verbliebenen bunten Blätter an den Bäumen und Sträuchern in den weniger werdenden, sonnigen Herbststunden noch einmal ihr herrliches Leuchten zeigen, die Tage der Farben und  des Lichtes sind endgültig gezählt.

Umso beliebter sind all die Trockensträuße in einer großen Bodenvase oder auch als kleine Gestecke auf den Tischen als dekorativer Raumschmuck. Schon im Sommer wird damit begonnen die Gräser, Kräuter, Blüten, Zweige  und Silberdisteln zu sammeln und zu trocknen, damit sie später noch lange über die dunkle und oft so karge Winterzeit die Räume unserer Wohnungen schmücken.

So ein Trockenstrauß ist ganz und gar  nicht mit einem Strauß frischer Blumen zu vergleichen, aber er weckt die Erinnerung an den vergangen Sommer mit all seinen Farben und Düften. Und sind es nicht gerade die Erinnerungen, von denen wir Menschen leben, ja oft wieder aufleben? Da fühlen wir uns plötzlich wieder auf die duftende Wiese mit all ihren Kräutern und Gräsern versetzt. Wohlig hatten wir uns ausgestreckt und in den blauen Himmel mit den weißen, dahinziehenden Wolken geschaut und in die Sonne geblinzelt, die so wohlig warm unsere Haut liebkoste. Da kehrt etwas zurück von der schönen Sommerzeit. Farben, Licht, Wärme und so wundersame Düfte erfüllen wieder unser Inneres. Die bunten Schmetterlinge flattern  durch unsere Erinnerung und wir hören förmlich Vögel zwitschern.

Denn unsere Trockensträuße haben nämlich etwas von der Schönheit des letzen Sommers, der ja oft nur so flüchtig ist, eingefangen und geben sie nun wieder frei. So erfüllen uns Freude und Dankbarkeit. Die stürmische und regnerische Zeit, die kalten Tage des Sommers, von denen es im Wetterbericht immer hieß, „Für diese Jahreszeit zu kalt“, diese werden  auf  unserer Phantasiereise einfach ausgeblendet.

Wie ein Trockenstrauß die Erinnerung an den vergangenen Sommer wachhält, so können auch  Geschichten von guten Erfahrungen und Erlebnissen uns neu beleben und mehr Licht und Farbe in das oft triste und farblose Leben anderer bringen. 


Mittwoch, 14. Oktober 2015


Der Kaktus unserer Nachbarn


In diesem Sommer hat  der  Kaktus auf dem Balkon unserer Nachbarn wieder in voller Blüte gestanden. Diese Blütenfülle war eine wirkliche Pracht und ein echter Hingucker. Da konnte man schon mal richtig neidisch werden. Nach gut einer Woche war von  der ganzen Blütenpracht aber nichts mehr zu sehen. Keine einzige Blühte zierte den Kaktus. Grün und stachlig stand er etwas verloren auf  der Brüstung des Balkons, denn merke, auch die schönsten Blüten sind oft nur von kurzer Dauer.

Trotzdem können sich viele Menschen nicht über das Schöne freuen, was andere haben oder was ihnen besonders gelingt. Sogleich schleichen sich Neid und Missgunst bei ihnen ein. Sie sehen zwar den Erfolg, die Blüten, aber nicht die Mühe, die dahinter steckt. „Ohne Fleiß kein Preis“, das scheint für andere nicht zu gelten, denen gelingt einfach alles. Neidische Menschen quält ständig der Gedanke: „Wieso geht es allen anderen besser als mir?“ Wenn Menschen anfangen, sich mit anderen zu vergleichen, dann tun sie es bekanntlich aus einem sehr subjektiven Blickwinkel. Dieser einseitige Blick auf die anderen, macht sie selbst neidisch und ungerecht. Das liegt wohl auch daran, dass sich „Jede“ und „Jeder“ gern mit denen vergleicht, die es anscheinend besser haben. 

Dabei schauen Frauen oft neidisch auf jene ihrer Artgenossinnen, die schlank und rank sind und trotzdem alles und in jeder Menge essen und trinken können. Das ist ja so ungerecht und unendlich gemein. Männer blicken schon einmal neidvoll über ihren eigenen Bierbauch hinweg auf die muskulöse und athletische Gestalt ihres Nachbarn, der stets alle bewundernden Blicke auf sich zieht.  Dass er sich mehrmals in der Woche im Fitnessstudio abmüht, ja quält, das übersehen sie geflissentlich. Schlechtere Schüler verstecken ihren Neid auf die guten Noten ihrer Mitschüler, indem sie diese als Streber verunglimpfen und sich selbst für ach so cool halten. Da hilft auch keine noch so geschickte Selbsttäuschung,  das zu verbergen, denn der Neid bohrt trotzdem weiter und quält ungemein.

In unserer Gesellschaft fühlen sich heute viele Menschen als Verlierer und von der ganzen Welt betrogen. So wird es immer wieder gezielt berichtet. Riesige „Neiddebatten“ werden darüber geführt und  immer  wieder neu angeheizt. Missgünstig wird der Blick auf alle gerichtet, denen scheinbar alles gelingt, die gute Posten haben und denen es so viel besser geht. Durch solchen, zumeist geschürten Neid, werden Menschen dann unzufrieden und sogar böse. Wo aber die Zufriedenheit sinkt, ist  letztlich auch der Friede im Kleinen wie im Großen gefährdet.

Neid und Missgunst werden dort geringer oder verschwinden gar, wenn wieder mehr Menschen anfangen, sich nicht  mehr mit denen zu vergleichen, die es scheinbar besser haben, sondern mit denen, die es wesentlich schlechter haben. Und von ihnen gibt es bekanntlich  mehr als genug auf dieser Welt.

Wer also genau dahin schaut, wird weniger neidisch sein. Das würde so manchen Zeitgenossen zufriedener und dankbarer machen. Denn die Frage lautet dann nicht mehr: “Warum geht es mir schlechter als anderen“, sondern „Warum geht es mir eigentlich besser als so vielen  Menschen auf dieser Erde?“ 

Der Mensch,  der immer nur auf das Aussehen, den Reichtum und die Postion  anderer schielt und sich mit ihnen vergleicht, der wird unzufrieden, missgünstig und neidisch. Dieses einseitige Vergleichen, macht Menschen nicht nur bitter und ungerecht, sonder auch ziemlich unglücklich.

Zeigt uns doch das Leben immer wieder, worauf Menschen heute neidisch sind, das kann morgen schon vorbei und „verblüht“ sein, wie die schönste Blüte an Nachbars Kaktus. 



Donnerstag, 8. Oktober 2015


 Schiefe Leuchttürme 

Wenn Leuchttürme kippen, wenn Ihre Feuer erlöschen, dann wird es dunkel und es fehlt den Schiffen auf stürmischer See die Orientierung. Leicht können diese dann den sicheren Hafen verfehlen und auf  eine Klippe auflaufen. Es droht ihr Untergang.

Natürlich weiß ich, dass diese alte Art der Orientierung für den Schiffsverkehr längst überholt ist. Andere, bessere und genauere Orientierungshilfen stehen den heutigen Besatzungen zur Verfügung.

Und doch regte mich gerade dieses Bild des umgekippten Leuchtturms, welches ich vor zwei Jahren an der portugiesischen Atlantikküste aufnehmen konnte, zum Nachdenken an. Frage? Suchen nicht alle Menschen irgendwie für ihr Leben eine Orientierung, so eine Art Leuchtturm? Wo aber  können  sie  diesen  finden und wie zuverlässig sind die Leuchtzeichen noch?  Wenn „Leuchttürme“ kippen und „Leuchtfeuer“ erlöschen oder im Meer der  unendlich vielen, anderen Lichter untergehen, wo finden Menschen dann Richtung und Halt?

Besonders junge Menschen lassen sich bei ihrer Suche nach dem richtigen Weg leicht vom Flimmern greller Lichter blenden. Sie sehen die Glitzerwelt ihrer Stars und Sternchen und glauben, das sei der Weg zum schnellen Glück und Geld. Jedoch ist die Halbwertzeit ihrer Idole bekanntlich recht gering. Es ist oft nur ein kurzes Aufleuchten, dann fallen sie zurück ins Dunkel. Für eine nachhaltige Orientierung taugen sie eher nicht. Was nun?

In den frühen Kindertagen sind zuerst die Eltern, für ihre Kinder „Leuchttürme“ und „Wegweiser.“ „Mein Papa ist der stärkste, den haut keiner um“, sagt der Vierjährige. „Er ist stark, wie ein Bär, er weiß und kann alles!“ Und das kleine Mädchen weiß genau, dass ihre Mama nur einmal pustet und das böse "Aua" ist weg. Welch ein Urvertrauen und ein unermesslicher Vertrauensvorschuss für die Eltern. Aber auch eine enorme Verantwortung und ein permanenter Druck. Denn wehe, wenn schon früh dieses Grundvertrauen der Kinder erschüttert und zerstört wird. Zu wem sollen sie aufschauen, wem folgen? 

Die alten „Leuchttürme“, die in früheren Zeiten die Richtung wiesen und Halt gaben; die Familien, die Traditionen, der Glaube, die Nachbarschaft, die Heimat, sie alle haben ihre Bedeutung vielfach verloren. Oder Ihnen wird bewusst der feste Grund entzogen. Dieser löst sich zudem  immer mehr auf  in diffusen, individuellen Vorstellungen davon.  


So werden wichtige Orientierungspunkte mehr und mehr zum Kippen gebracht und durch ständig wechselnde Werbebotschaften und Sprechblasen ersetzt. Was gestern topp war,  ist heute schon wieder ein Flop und keiner weiß, was morgen kommt. Aber nicht alles, was alt ist, ist auch gleich "veraltet" und nicht alles, was neu aufleuchtet, ist auch gleich "gut" und schon gar nicht besser! 

Donnerstag, 27. August 2015


Vancouver – ein Geschenk

In meinem heutigen Text geht es nicht um die Hauptstadt des Bundesstaates British Columbia an der Westküste Kanadas. Jedenfalls nicht vordergründig, obwohl mit dieser hat es auch zu tun. Wie aber schon das Bild zeigt, handelt es sich vielmehr um die Blüte einer Blume, genauer gesagt, um die erste Blüte einer Dahlie, die in diesem Jahr in einem großen Blumentopf aus Keramik auf unserem Balkon prächtig gediehen ist.

Angefangen hatte alles zunächst ganz klein. Zum Weihnachtsfest im letzten Jahr bekamen wir eine farbig bedruckte Tüte mit der Aufschrift „Vancouver“ geschenkt. Beim Öffnen stellten wir dann fest, dass es sich um eine Dahlienknolle handelte. Im Frühjahr habe ich dieses schrumplige Etwas in einen Blumentopf mit guter Gartenerde gesteckt und auf den Balkon gestellt. Von diesem Tag an galt der Knolle und ihrem Wohlergehen meine ganze Aufmerksamkeit. Als dann die ersten Spitzen durch die Oberfläche brachen, war die Freude groß. Unglaublich, aus dieser scheinbar leblosen Knolle bildeten sich erste zarte Triebe. Sie waren noch sehr empfindlich und mussten vor Kälte und allzu intensiver Sonneneinstrahlung geschützt werden. So wuchs die kleine Pflanze wohlbehütet zu ihrer vollen Größe heran. Über jedes neue Blatt freuten wir uns und staunten immer wieder.

In diesen Tagen des August ist nun die erste Knospe aufgebrochen und zu einer wunderschönen Blüte geworden. Vancouver blüht! Diese Dahlienknolle ist ein wirkliches Geschenk für uns geworden, ein Präsent von einem lieben Menschen. Und dieses Geschenk lässt uns oft an ihn denken und macht  ihn für uns präsent, gegenwärtig. 

Wir konnten das Wunder des Wachsen Tag für Tag erleben und haben uns davon immer  aufs Neue beschenken lassen. Ein Geschenk ist erst dann ein wirkliches Geschenk, wenn es der Beschenkte als Gabe und Aufgabe auch annimmt.  

Der Grund für dieses tolle Geschenk war unsere geplante Reise nach Kanada. So durften wir in diesem Jahr sogar zweimal „Vancouver“ als ein großes Geschenk erleben. Die blühende Dahlie auf unserem Balkon und die kanadische Stadt Vancouver, eingebettet in eine wunderbare Natur, zwischen Wasser, Wald und schneebedeckten Bergen. Zwei Geschenke, zwei Wunder der Natur, hinter denen für uns jeweils der Geber dieser Gaben deutlich präsent ist und bleibt.


Donnerstag, 13. August 2015


Hallo, Vermittlung!

Auch wenn ich nicht mehr der Jüngste bin, so habe ich  doch die Telefonie in dieser Form nicht mehr selbst erlebt. Trotzdem beeindruckt mich  die alte Technik,  wie man sie im Museum oder in  alten Filmen sehen kann. Das „Fräulein vom Amt“ hatte damals die Aufgabe, den Anrufer durch das „Umstöpseln“ der Kabel mit einem anderen Gesprächsteilnehmer zu verbinden. Da es noch keine Direktverbindungen gab, mussten die Gespräche auf diese Weise vermittelt werden. Auch wenn das heute technisch längst überholt ist, bleibt  der „Dienst der Vermittlung“ zwischen den Menschen eine ganz wichtige Aufgabe.

Leider ist diese Fähigkeit zu vermitteln,  in unserer Gesellschaft  recht wenig ausgebildet. Die Kommunikation läuft deshalb schnell ins Leere oder wird sogar zur Konfrontation. Es wird häufig aneinander vorbei geredet. Jeder möchte einfach nur  seine eigenen Vorstellungen und Ideen, auf  die er sich fixiert hat, durchboxen. Da kommen dann gute Gedanken und Vorschläge eines anderen einfach auf  der  falschen Leitung  an und sie finden nicht zueinander.

Ein Grundproblem im Miteinander der Menschen, im Kleinen wie im Großen, ist gestörte Kommunikation und fehlende Vermittlung. Es fängt bereits in der Familie an. Ohne Vermittlung, ohne Ausgleich zwischen allen Familienmitgliedern geht es nicht. Sonst wird sich mindesten immer einer  unverstanden oder gar benachteiligt fühlen. Mütter sind dabei die besten Vermittler. Die Kinder profitieren davon und kommen mit ihren Anliegen und Bitten oft zuerst zur Mutter, „kannst du Vater mal fragen, ob ich am Sonntag das Auto haben kann?“ Vater ist da sehr konsequent und hätte sicher gute Argumente, nein zu sage. Mutter redet so lange mit ihm , bis er zustimmt. Alle sind zufrieden.

Das ist doch wohl ein Beispiel für gute Vermittlung: Zuhören, reden, Argumente austauschen, die Argumente des anderen zu verstehen suchen, Kompromisse finden, dem anderen auf Augenhöhe begegnen, nicht von  oben herab, nicht fordernd agieren, den richtigen Ton  finden. Wenn das einer Mutter gelingt, warum klappt das in unserer Gesellschaft, in Politik, Kirche und Wirtschaft so selten oder gar nicht mehr?

Kaum eine Veränderung oder ein neues  Gesetz  wird doch von den Politikern so vermittel, dass es alle verstehen und akzeptieren können. Und schon wird alles buchstäblich in der Luft zerrissen und Konfrontation aufgebaut. Nicht die Gesetze sind schlecht, sondern sie werden schlecht oder gar nicht vermittelt. Wer möchte sich heute noch etwas einfach überstülpen lassen? So ist es auch mit alten Traditionen und Werten. Diese müssen für die heutige Zeit vermittelt werden, um ihre bleibende Gültigkeit verständlich zu machen. Nicht alles aber, was alt ist, ist deshalb auch gleich veraltet. Und nicht alles Neue ist deshalb gleich gut und richtig. Da ist Klugheit gefragt, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wer unnützen Streit  und Konfrontation vermeiden will, muss also schon im Vorfeld an eine gute und sachgerechte Vermittlung  denken und diese mit großer Geduld betreiben, damit auch der letzte Skeptiker überzeugt wird. Wo so ein Konsens gefunden wird, gibt  es hinterher keine harsche Kritik. Dabei macht sicher auch hier der Ton die Musik. Das ist bekanntlich  ein Riesenproblem in den Auseinandersetzungen und Debatten. Die unendlichen Verbalatacken in aller Öffentlichkeit lenken doch eher vom Kern des Geschehens ab.

Unsere Gesellschaft hat wenig Probleme beim Finden von Lösungen, auch von schwierigen und sehr komplexen. Das große Problem ist, dass die guten Lösungen nicht als solche auch allen vermittelt werden können. Wer nicht weiß, was der andere wirklich meint, ist verunsichert und eher skeptisch. Wer  weiß, was dahinter steckt?

Der "Dienst der Vermittlung", wie ich ihn hier einmal bezeichnen möchte, ist gewiss nicht leicht, aber in allen Bereichen des Zusammenlebens von Menschen dringend nötig. Es gibt in unseren Tagen riesige Probleme in unserem Land und darüber hinaus. Global denken und handeln ist das erklärte Ziel. Das muss aber auch allen Beteiligten kompetent und verständlich vermittelt werden, sonst wird daraus nichts. Wer hierbei überheblich denkt und handelt, in der Meinung, die anderen verstehen  es eh nicht, der schafft keine Verbindung, kein Miteinander, sondern der baut Barrieren auf und kappt lebensnotwendige Leitungen.  „Tote Leitungen“ nützen aber keinem und lösen keine Probleme. Kein Anschluss unter dieser Nummer!


 

Freitag, 7. August 2015


Abstand halten …


das ist ein ganz wichtiger Grundsatz im Straßenverkehr  und gilt als eine ernst zu nehmende Regel auch in anderen Bereichen des Alltags. Das wissen wir alle. Wir werden immer wieder darauf hingewiesen. Die Umsetzung hingegen sieht oft ganz anders aus. 

Dichter Verkehr auf der Autobahn, eine PKW-Fahrer drängelt sich von der rechten Fahrspur zwischen zwei andere Fahrzeuge. Der Sicherheitsabstand wird knapp, plötzlich stockt der Verkehr auf dieser Fahrbahn, die Bremslichter leuchten auf, es wird eng, es kracht. Gott sei Dank, nur ein Blechschaden! Das ging noch einmal gut. Hätte schlimmer ausgehen können.

Es kommt eben immer auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand an. Nur so kann gut und richtig reagiert werden und das nicht nur im Straßenverkehr. Darum finden wir diesen Hinweis und entsprechende Schilder auch an anderen sensiblen Orten in unserem Alltagsleben. Vor Bankschaltern und Automaten ebenso wie in der Apotheke, steht der Hinweis: „Diskretion – bitte Abstand halten“.

Wer möchte denn schon gern beim Eingeben seiner PIN, dass ein anderer ihm über die Schulter schaut? Auch muss der nächste Kunde nicht gleich erfahren, welches Medikament ich gerade in der Apotheke abhole. Es gibt viele Lebensbereiche und Situationen, bei denen Diskretion und der richtige Abstand ganz wichtige Voraussetzungen sind für ein störungsfreies Miteinander der Menschen. Wo dies nicht akzeptiert wird, kann es schnell zum "Crash" kommen.

Abstand und Diskretion dienen der eigenen, besonders der seelischen Gesundheit.  Wir müssen nicht alles und jeden ganz nah an uns heran lassen. Ein gesunder Selbstschutz ist da von Nöten: „Das geht mir jetzt einfach zu nah, das verkrafte ich nicht!“ Jeder braucht den räumlichen Abstand zum anderen und ebenso einen inneren Abstand, um eine Situation richtig einzuschätzen, zu bedenken und zu bewältigen. In bestimmten Zeiten ist es sehr wichtig, einem anderen Menschen, um den wir uns ehrlich sorgen, nicht alles abnehmen zu wollen, sondern ihm seinen Freiraum und seine Entscheidung zu lassen. Allzu große Nähe kann für den anderen nämlich eher erdrückend wirken. Die Ausgewogenheit zwischen Distanz und Nähe sollte stets gewahrt sein.

Wenn mir jemand ständig mit  seinen Problemen, den kleinen und großen Sorgen oder auch mit seiner Euphorie auf die „Pelle rückt“, dann wird das einfach nur unerträglich. Auch die übertriebene Fürsorge eines anderen, kann mir die Luft zum Atmen und zur eigenen, freien Entscheidung nehmen. Zu große Nähe schlägt dann ganz leicht ins Gegenteil um. Dann wundert es nicht, wenn der andere genervt und entschieden auf Abstand geht. Danach folgt oft  der verräterische Satz: “Ich hab es doch nur gut gemeint“. Wissen wir doch inzwischen, das dieses „gut gemeint“ oft das Gegenteil von „gut“ ist.

Also nicht nur im Straßenverkehr, in Banken und Apotheken oder in anderen sensiblen Bereichen in unserem Leben ist es wichtig, Diskretion zu wahren und Abstand zu halten, sondern ganz besonders im Umgang mit anderen Menschen. Hier ist es gewiss nicht immer leicht, das richtige Maß zu finden zwischen einer kühlen Distanziertheit und einer anbiedernden Nähe. Menschen mit  einem übertriebenen „Helfersyndrom“ sind leicht in der  Gefahr, sich überall einzumischen und dabei ihre Grenzen zu überschreiten. Sie haben es nicht gelernt, dem anderen Raum zum eigenen Handeln zu lassen. Selbst auf die Gefahr hin, dass er sich anders entscheidet. Kollisionen sind da unvermeidlich. Menschen, die von vornherein auf Abstand gehen, werden in ihrer unterkühlten Distanz ebenso wenig der jeweiligen Situation gerecht. Beide Extreme verfehlen ihr eigentliches Ziel.

Das Ziel ist immer das Wohl des anderen Menschen. Einzig und allein um ihn geht es. Mein Ich und meine Person spielen dabei stets eine untergeordnete Rolle. Es gilt zu erkennen, was für den anderen gut und wichtig ist. Braucht er meine Nähe, die ihm gut tut oder ist es der diskrete Abstand, der ihm ermöglicht durchzuatmen und er selbst zu sein?

Die Aufforderung: „Abstand halten“ ist also nur die halbe Wahrheit. Richtiger muss es  wohl heißen: „Haltet den richtigen Abstand und sucht stets das richtige Maß zwischen Distanz und Nähe.“ 



Samstag, 1. August 2015


Der alte Mongole    

Der alte Mongole, den wir  in der Wüste Gobi trafen, ist mir noch lange im Gedächtnis geblieben. Sein  wettergegerbtes Gesicht und die tiefen Falten, die es buchstäblich durchfurchten, machten es ausgesprochen markant. Der Blick war ruhig und er schien alles, was das Leben und der harte Alltag in der Wüste mit sich bringen, mit großer Gelassenheit zu nehmen.

Genau wie wir wartete er am Brunnen darauf, seine Wasserkanister zu füllen. Sein Kamel war mit einigen davon beladen und wartete ebenso geduldig. Der Brunnen war eher ein  einfaches Loch in der Erde, das für Fremde kaum zu finden war. Mit einer alten Bohle und einem schweren Stein wurde es immer wieder verschlossen.

Am Brunnen gilt eine alte mongolische Regel: „Zuerst die Tiere!“ Wenn sie verdursten, kann auch der Mensch in der Gobi nicht gut überleben. Darum musste der alte Mongole, genau wie wir auch, warten bis die Kamele und Ziegen, die zur Tränke gekommen waren, ihre Ration Wasser bekommen hatten. Eine junge Mongolin mit ihrem kleinen, etwa vierjährigen Kind hatte die Tiere zum Brunnen geführt und war gerade dabei den Einer an einem Seil die etwa vier Meter hinunter zu lassen. Der gefüllte Einer musste dann mühsam wieder nach oben befördert werden. Ein zweites ungeschriebenes Gesetz am Brunnen heißt, dass jeder mit anpacken muss. Natürlich krempelten auch wir die Ärmel hoch und zogen etliche Eimer mit dem kostbaren Nass aus der Tiefe nach oben. Nachdem die Tiere getränkt waren, konnten auch wir unsere Kanister füllen. Das Wasser musste nun einige Tage reichen, bis wir wieder einen Brunnen fanden.

In der wasserarmen Wüste ist es ganz entscheidend, solche Brunnen zu finden. Das erfordert schon eine gewisse Ortskenntnis. Da konnten wir uns auf unsere mongolischen Begleiter verlassen, was sonst nicht immer der Fall war. Das aber ist ein andere Geschichte. Am Brunnen und bei der Begegnung mit den Menschen vor Ort erhielten wir gute und wichtige Hinweise von ihnen.

Die Nomaden leben  mit ihren Herden noch heute weitab von den größeren Siedlungen, die als Verwaltungs- und Versorgungsstützpunkte dienen. Sie ernähren sich fast ausschließlich von den Produkten ihrer Tiere. Im Sommer gibt es vorwiegend Milchprodukte, den bekannten, salzigen Milchtee, Käse, Jogurt und die legendäre gegorene Stutenmilch. Brot und Gemüse sind eher selten. Darum war ein Brot, das wir der Frau am Brunnen geschenkt haben, für sie eine willkommene Abwechslung, für die sie sich vielmals bedankte. Es ist nämlich üblich, sich bei solchen Begegnungen kleine Geschenke zu machen.

Auch der alte Mongole hatte inzwischen seine Kanister mit Wasser gefüllt und sie wieder auf seinem Lasttier verstaut. Vor ihm lag noch ein recht langer Weg. Seine Jurte konnten wir geradeso in der Ferne erblicken. Weites Land und lange Wege. Rau und unwirklich ist das Leben der Nomaden in der Wüste Gobi. Es erfordert Geduld und Ausdauer, und es prägt sich nicht nur tief in ihre Gesichter ein, sondern es wird noch ganz vom Rhythmus der Natur bestimmt. Hier spürt man deutlich, dass die Menschen sehr aufeinander angewiesen sind und dass sie es auch genau wissen. Trotz der großen Entfernungen, kennt man sich und besucht sich. Auch wir wurden ganz selbstverständlich immer wieder in die weit verstreut liegenden Jurten eingeladen. Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Der Fremde, der Gast ist herzlich willkommen. Wir selbst waren dort die Fremden, die Ausländer, aber auch die Gäste. Vieles war für uns fremd und manches auch befremdlich und gewöhnungsbedürftig, aber wir haben uns den Sitten und Gebräuchen angepasst. Es gelten nun mal in anderen Ländern auch andere Regeln, die wir uns aber stets bemühten zu befolgen.

Die Regeln, Sitten und Gebräuche verändern sich in der heutigen Zeit auch dort rasant. Das alte mongolische Reitervolk ist heute schon weithin auf fernöstliche Motorräder und LKWs umgestiegen. Neben den Jurten stehen große Satellitenschüsseln und ermöglichen einen Blick in die weite Welt. In den oft armseligen Jurten liefen stets die Fernseher, diese wurden mit Batterien betrieben und die Bilder wecken bei der Jugend Träume und Hoffnungen. Deshalb drängen so viele junge Leute in die Hauptstadt Ulan Bator, um Anteil zu haben am verlockenden, fremden Lebensstil, auch wenn es dann oft ganz anders kommt.

Den Gleichmut und die Geduld des alten Mongolen findet man inzwischen immer weniger. Was ihm sein Leben lang vertraut und wichtig war, löst sich mehr und mehr auf. Zurück bleibt die Erinnerung an einen alten Mann mit seinem zerfurchten und wettergegerbten Gesicht, das für mich so beeindruckend und geheimnisvoll war, wie die Wüste Gobi selbst.