Freitag, 8. November 2013

Edelsteine und Menschen


„Menschen sind wie Edelsteine: Man lernt sie am besten kennen, indem man sie aus der Fassung bringt“. Vielleicht haben Sie diesen Spruch schon einmal gehört. Ich meine jedenfalls, da ist viel Wahres dran. Denn erst, wenn der Juwelier den Stein aus der Fassung eines Ringes nimmt, kann er ihn begutachten, sein Gewicht und  seine Größe feststellen, unter der Lupe betrachten und ihn ins Licht halten, um seine Reinheit zu erkennen. Solange der Stein in der Fassung steckt, ist er geschützt und es bleiben eventuelle Fehler und Kratzer verborgen. Nach all diesen Prüfungen kann erst sein Wert bestimmt werden und ob es überhaupt ein echter Edelstein ist.

Genau so ist es mit einem Menschen. Solange die Fassung des Alltags ihn umgibt, hat er seinen Halt und seine Sicherheit. Wird er aber plötzlich aus dieser Fassung gebracht, weil z.B.  Kinder seinen Briefkasten an Halloween mit Ketschup beschmiert haben, dann wird aus dem liebenswürdigen  Nachbarn plötzlich ein ungenießbarer Zeitgenosse. Aus der höflichen Mitarbeiterin wird eine zänkische und missgünstige Kollegin, weil sie meint, der Chef würde alle anderen im Büro bevorzugen.
Diese Empörung über vermeintliche oder echte Ungerechtigkeiten lässt manchen schnell die Fassung verlieren. Er oder sie zeigen sich dann, wie sie wirklich sind. „Wer schreit, hat schon verloren“, darum gilt es heute die „Contenance“ zu bewahren, denn wer zu viel von sich preisgibt, macht sich angreifbar. Darum erscheint es so, als ob die meisten Menschen nichts mehr aus der Fassung bringen könnte. Die schrecklichsten Meldungen in den Nachrichten von Terroranschlägen, von den ertrunkenen Bootsflüchtlingen vor Lampedusa, von Hungernden in Afrika, von Kindersoldaten oder anderen Katastrophen werden mit einem Schluck Bier herunter gespült und die Bilder von anderen Bildsequenzen schnell überblendet. Tage später, das weiß doch jeder, redet sowieso keiner mehr darüber. Außer einer künstlich hochgespielten Empörung z. B. über Limburg und seinen Bischof, sind es doch oft nur „Eintagsfliegen“. In unserer schnelllebigen Zeit besteht daher die Gefahr, dass Menschen sehr oberflächlich werden, keiner echten Empörung über wirkliche Ungerechtigkeiten mehr fähig und gleichgültig dem Leid anderer gegenüber. Was aber, wenn ihnen durch persönliche Schicksalsschläge ihr Halt und ihre Fassung genommen werden? Dann bricht ihnen wirklich eine, ja, ihre Welt zusammen.

Wer gibt den Menschen Halt, wenn ihre künstlichen Sicherungssysteme ausfallen, ihre Fassaden bröckeln? Da bin ich schon der Meinung, dass es gut wäre, seinen Schutzpanzer aufzubrechen und sich aus der Fassung bringen zu lassen. Einmal „fassungslos“ ohne Selbstschutz  auf sein eigenes Leben zu schauen und zu fragen: „Wer bin ich, was hält mich, was bin ich Wert ohne all die Äußerlichkeiten von Besitz, Schönheit, Jugend und Ansehen?“ Diese offenen Fragen könnten doch wohl den einen oder anderen dazu führen, zu erkennen, es muss darüber hinaus noch einen „anderen Halt“ im Leben geben, der allem Äußeren standhält. In ihm ist jeder Mensch gut und sicher „eingefasst“, wie ein kostbarer Edelstein.

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