Mittwoch, 6. November 2013

Ein Ballon, der vom Himmel fiel

Da leuchtete plötzlich etwas Blaues aus dem Gebüsch. Es muss wohl über fünfzig Jahre her sein. Damals war ich noch ein Kind. Aufgeregt gingen wir näher heran. Ein blauer Luftballon hatte sich mit seiner Schnur an einem Zweig verheddert. Unser Glück, denn sonst hätten wir ihn nie gefunden. An der Schnur war ein Stückchen Pappe befestigt. Aufgeregt brachten wir unseren Fund nach Hause. Auf dem Anhänger stand eine in Druckbuchstaben geschriebene und schon ein wenig durch die Feuchtigkeit des Regens verwischte Adresse.
An den Namen kann ich mich nach all den Jahren nicht mehr erinnern. Der Ort aber hat sich mir eingeprägt. Er klang etwas eigenartig: Wanne-Eickel. Wo aber lag diese Stadt mit dem seltsamen Namen? Wie weit mag wohl der Luftballon geflogen sein? Das war alles so aufregend. Und die Absender baten um Nachricht, weil auch sie sicher gespannt waren, wann und wo ihr blauer Ballon wohl gefunden worden war und natürlich von wem. Im Atlas fanden wir schnell die Lösung. Quer über ganz Westdeutschland vom Ruhrgebiet her war er vom Westwind getragen bis zu uns in den Osten getragen worden.
Natürlich wurde schnell eine Nachricht per Briefpost nach Wanne-Eickel geschickt. Die Freude war sicher auf beiden Seiten groß. Über viele Jahre hinweg erhielten wir nun immer zu Weihnachten ein „Westpaket“ von der unbekannten Familie aus Wanne-Eickel. Ein Schuhkarton voller Kaffee, Schokolade und andere leckere Sachen, besonders für uns Kinder eine  große Freude.
Eine „Luftbrücke“ war so von West nach Ost über die sonst undurchlässige Grenze, die die beiden Teile Deutschlands zerschnitt, geschlagen worden. Ein großes Dankeschön an all die vielen namenlosen Menschen, die auf unterschiedlichste Weisen einander ihre Verbundenheit gezeigt haben und Freude schenkte. Auch wenn es lange zurückliegt, es waren lebendige Zeichen der Freundschaft, die nicht vergessen sind.
Wenn ich heute bei Kinderfesten, Hochzeiten oder anderen Gelegenheiten Luftballons aufsteigen sehe, stelle ich mir immer wieder vor, wie solche Grüße und Wünsche bei anderen ankommen.  Es  verbindet sich  doch die Hoffnung der Menschen damit,  dass ihre Bitten, ihre Wünsche und Botschaften ein unbekanntes Ziel erreichen und einen Adressaten finden.

Erinnert das nicht an Menschen, die weltweit ihre Gebete und Bitten zum Himmel schicken und darauf vertrauen, dass diese einen „Adressaten“ erreichen? Immer hoffend, dass Gutes auf sie herab kommt.

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